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Ausgabe:

Januar/1998

Spalte:

19–22

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Bloth, Peter C.]

Titel/Untertitel:

Einheit und Kontext. Praktisch-theologische Theoriebildung und Lehre im gesellschaftlichen Umfeld. Festschrift für Peter C. Bloth zum 65. Geburtstag. Hrsg. von J. Henkys u. B. Weyel.

Verlag:

Würzburg: Stephans-Buchhandlung M. Mittelstädt 1996. VIII, 403 S. 8° = Studien zur Theologie, 14. geb. DM 29,80. ISBN 3-929734-06-0.

Rezensent:

Friedrich Winter

Achtzehn Autoren haben dem Jubilar ihre Beiträge gewidmet, unter ihnen ein Drittel aus dem Osten Deutschlands. War doch Bloth nicht nur ein Beobachter, sondern auch ein hilfreicher und kritischer Begleiter, der an Kirche und Theologie im Osten Anteil nahm. Er hatte Zeit für viele Begegnungen über die Grenze hinweg. Man vergleiche eine ganze Reihe von Beiträgen in seiner Bibliographie (395-401).

Die Herausgeber hatten das Thema "Einheit und Kontext" vorgegeben. "Die Frage nach der Einheit der Praktischen Theologie durchzieht das akademische Wirken Peter C. Bloths" (V). Sie sei wach zu halten angesichts einer Tendenz zur Auf- und Ausgliederung in isoliert arbeitende Teildisziplinen. Im akademischen Lehrvollzug und im Dienst an der Kirche hat Bloth diese Einheit reflektiert. Das beschäftigte ihn nicht nur als theoretisches Problem, sondern er hat zugleich sein Augenmerk "auf die Bedeutung der sich durch Zeit und Ort ergebenden konkreten und unverwechselbaren Situation" (V) gerichtet und auf die von ihm sogenannte "Zeit-Stelle" praktisch-theologischen Nachdenkens hingewiesen. Die Herausgeber greifen den aus der englischsprachigen Ökumene stammenden Begriff des Kontextes auf und setzen dann "Einheit und Kontext" als Begriffspaar in Beziehung; letzterer sei bestimmt durch den Aspekt des jeweiligen gesellschaftlichen Umfeldes.

Wie sind nun die Autoren auf diese thematischen Hinweise eingegangen? Sieben Beiträge sind dem Bereich von Katechetik und Religionspädagogik zuzuordnen:

G. Adam setzt sich dafür ein, daß Luthers Erklärung zum 3. Artikel auch heute seinen Platz in der Erwachsenenbildung behalten soll: "Der Geist und die Geister. Die Rede vom Heiligen Geist in Luthers Katechismen und ihre gemeindepädagogische Relevanz" (1-23). Elementare Lehrstücke der Tradition behalten ihre Bedeutung für die heutige Anleitung zur laientheologischen Urteilskraft.

Über den Weg eines führenden Religionspädagogen der Weimarer Zeit denkt F. Kraft nach: "Hermann Schuster: Religionsdidaktik zwischen ’völkischem Aufbruch’ und ’kirchlicher Selbstbesinnung’" (238-264). Dieser entwickelte sich vom theologischen Liberalismus über deutsch-christliche zu biblisch-kirchlichen Konzeptionen hin.

Gegenüber einer populistischen Sicht der nationalsozialistischen Zeit bedürfen Schule und Gemeinde eines differenzierten Umgangs mit der Vergangenheit: J. Ohlemacher, "Erinnern als Aufgabe. Theologie- und Zeitgeschichte am Beispiel der Anne Frank" (314-332).

J. Henkys beschreibt aufschlußreich, wie die Religionspädagogik bzw. Katechetik im Westen und Osten durch Bloth unter dem Aspekt des unterschiedlichen Kontextes, aber im Bemühen um Einheit bedacht worden ist: "Kontext, Konflikt, Konsens. Zur Deutung und Bewertung praktisch-theologischer Ansätze aus der Zeit des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR" (135-154).

Ch. Grethlein und J. Hermelink bieten einen guten Überblick zur Debatte um den Religions- und Ethikunterricht sowie den Modellversuch ’Lebensgestaltung-Ethik-Religion’. Wegen des höchst unterschiedlichen Kontextes sind englische Versuche mit einem multireligiösen Unterricht nicht auf die Situation in Ostdeutschland übertragbar: "Religionsunterricht im Kontext ’multi-faith’. Religionsdidaktische Anregungen aus Birmingham" (111-134).

Über den Weg seines Lehrers reflektiert R. Lachmann: "Wandlung und Aktualität: Gert Ottos Religionspädagogik 1980-1995" (265-278). Es ist Ottos Verdienst, gesellschaftliche Wandlungen erspürt zu haben; aber sein Konzept für einen heutigen religionspädagogischen Ansatz ist zu hinterfragen.

K.-H. Bieritz beobachtet die plurale Beeinflussung seiner Kinder durch die Medien und setzt optimistisch darauf, daß sich in der körperlichen Begegnung mit lebendigen Personen, Gemeinde und Kirchenraum die biblischen Geschichten orientierend auswirken: "Postmoderne für Kinder. Heranwachsende im Dschungel der Geschichten" (23-40).

Zwei Beiträge behandeln seelsorgerliche Fragen:

Quantitativ fällt der Beitrag von Sabine Bobert-Stützel aus dem Rahmen: "’Man is born broken. God’s grace is glue?’ Eine pastoralpsychologische Perspektive auf das Thema fragmentierter Einheit und die Suche nach dem bzw. der einheitsstiftenden Anderen" (41-76). Nach einem forschen und sprachlich komplizierten Durchgang durch die psychologische Diskussion um das Wesen des Narzißmus wird dieser der Barthschen theologischen Kategorie, daß Gott der ganz Andere sei, konfrontiert. Der Kontext ist anthropologisch gezeichnet von der Gebrochenheit des Menschen, der sich nach Einheit sehnt. Er findet sie in der Annahme durch Gott, der eben der ganz Andere ist.

F.-W. Lindemann, "Freiräume gestalten. Beispiele aus der Eheberatung und pastoralpsychologische Bemerkungen zu ethischen Orientierungen der Evangelischen Kirche" (279-294). Nach drei Fallbeispielen setzt sich der Vf. mit kirchenamtlichen Stellungnahmen zu Ehe, Familie und eheähnlicher Beziehung auseinander und findet sie in der Regel zu dogmatisch formuliert, wünscht sich einen stärker argumentierenden, Freiräume gewährenden Stil und plädiert für ein kontextoffenes plurales Eheverständnis.

Auch die Homiletik ist mit zwei Aufsätzen vertreten:

H. Schröer, "Die Einheit der Predigt. Was leistet der Kontext?" (333-347). Er meint, daß die "Wahrnehmung des Kontextes eine besonders ergiebige Voraussetzung für die Einheit der Predigt ist" (333). Diese These will er im Gespräch mit Homiletikern aus Vergangenheit und Gegenwart erhärten.

Mit Hilfe von exegetischen Erörterungen und vorliegenden Predigtmeditationen untersucht B. Weyel das paulinische Zeugnis vom Dienst der Versöhnung besonders anhand von 2Kor. 5,18: "... Versöhnung als einheitlicher Leitbegriff des Predigens? Eine homiletische Annonce des Paulus" (348-378). Versöhnung bleibt ein homiletischer "Verhältnisbegriff" (378), der gerade in der Bewegung auf den Kontext zu seine Einheit behält.

Je ein Beitrag behandelt ein liturgisches und ein diakonisches Problem:

M. Meyer-Blanck, "Zwischen Zeichen und Historie. Zu Rainer Volps Liturgik und den künftigen Aufgaben der Liturgiewissenschaft" (295-313). Die Liturgik darf sich nicht historischen und semantischen Theorien ausliefern, so sehr sie ihrer bedarf, sondern ist gebunden an die aktuelle Geschichte, die von Ostern herkommt und auf das Reich Gottes hin offen ist.

Daß die Diakonie unter dem Druck zu umfassender Modernisierung steht, macht J. Degen klar: "Diakonie als ganzheitlicher Dienst am Menschen" (77-90). Gegenüber der Tendenz zur Professionalisierung einer "verrückten Gesundheits- und Fitnessindustrie" (89) hat die kirchliche Diakonie ihrem Modell ganzheitlich gelebter Barmherzigkeit treu zu bleiben.

Fünf Aufsätze befassen sich mit Fragen der Kybernetik:

Den weitesten Bogen schlägt V. Drehsen, der der Kirche, die nur aus der Einheit des Evangeliums lebt, empfiehlt, die Freiheit zur Streitkultur in und mit der heutigen Gesellschaft zu suchen und sich nicht vornehmlich mit sich selbst zu beschäftigen. Das gehört zur volkskirchlichen Pluralität dazu: "Protestantische Pluralität diesseits des Himmels" (91-110).

Einen hoch interessanten Überblick versucht E. Herms zur Einbettung der Theologie als Wissenschaft im Laufe ihrer Geschichte zu geben: "Die Theologie als Wissenschaft und die Theologischen Fakultäten an der Universität" (155-186). Er fordert, daß die Theologie angesichts der multikulturellen Situation dafür eintritt, auch anderen Kulturen in der Universität einen Platz zuzuweisen.

H.-H. Jenssen äußert sich detailliert zur kirchen- und literaturpolitischen Seite der Entstehung des Handbuches für Praktische Theologie: "Kontext und Einheit im Entstehungsprozeß des Berliner Handbuches für Praktische Theologie. Ein Beitrag zur Vergangenheitsrekonstruktion" (187-212). Der Jubilar hatte die Einheit des Lehrbuches im Leben der Kirche und den Bezug auf den Kontext der damaligen Situation positiv gewürdigt.

Auf die Lehre von der Ordination geht K.-P. Jörns ein, wenn er sie in einen engen Zusammenhang mit einem funktionsbezogenen und ortsgemeindenahen Verständnis bringen will: "Die Taufe ordiniert zum geistlichen Stand. Eine Herausforderung nicht nur für die Praktische Theologie" (213-237).

Der letzte Beitrag in der alphabetischen Anordnung der Beiträge stammt von E. Winkler und gibt, verbunden mit allgemeinen zeitgeschichtlichen Beobachtungen, einen Überblick: "Das evangelische Pfarrhaus in Ostdeutschland 1945-1995" (379-394).

Fragt man nach der Durchführung des Themas der Festschrift, so sieht das sehr unterschiedlich aus. Manche Beiträge nehmen die Thematik nicht weiter auf. Einige tun das mehr mottoartig. Andere ersetzen den Begriff des Kontextes auch durch ähnliche Begriffe wie etwa Situation, persönlich erlebte Geschichte, Lebenswirklichkeit, Pluralität. Überhaupt taucht der Begriff des Kontextes häufiger auf als der der Einheit. Die Einheit der Praktischen Theologie kommt mit Hilfe von wissenschaftstheoretischen, zeitgeschichtlichen und theologischen Erwägungen in den Blick. Die Beziehung zwischen beiden Begriffen ist dynamisch offen und sehr unterschiedlich bedacht worden, manchmal auch nicht.