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Ausgabe:

Februar/1998

Spalte:

198 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Jost, Renate, u. Ulrike Schweiger [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Feministische Impulse für den Gottesdienst.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1996. 256 S. gr.8°. Kart. DM 39,80. ISBN 3-17-014009-4.

Rezensent:

Birgit Weyel

Die Planung und Gestaltung des christlichen Gottesdienstes stellt eine anspruchsvolle und größte Sorgfalt erfordernde Aufgabe dar. Insbesondere drei Perspektiven müssen dabei berücksichtigt werden, um der Bedeutung des Gottesdienstes in angemessener Weise gerecht zu werden. Zum ersten sollte die Öffentlichkeit der Veranstaltung gewahrt bleiben, so daß der Gottesdienst für jeden und jede offen ist. Denn ein Gottesdienst, der lediglich einer festumrissenen Zielgruppe zugänglich ist, wird zu einem nischenartigen Privatfest. Zweitens soll im Gottesdienst die wirklichkeitserschließende Kraft des christlichen Glaubens erkennbar werden. Daraus folgt, daß die Inhalte stets mit der Lebenswelt der Teilnehmenden auf eine Weise verwoben sein sollten, die über die Darstellung gegenwärtiger Wirklichkeit hinaus einen neuartigen und Leben eröffnenden Blick auf die Lebensverhältnisse freigibt. Schließlich ist bei der Vorbereitung unbedingt zu beachten, daß der Gottesdienst als ein inszenatorisches Geschehen zu begreifen ist, in dem Formen und Inhalte nicht der Ordnung allein, dem Moderationsgeschick der Verantwortlichen oder gar dem Zufall überlassen bleiben dürfen. Die Gestaltungsaufgabe rückt vielmehr in den Mittelpunkt, gerade dann, wenn die Kriterien der Öffentlichkeit und der wirklichkeitseröffnenden Perspektive für den konkreten Gottesdienst tatsächlich eine angemessene Rolle spielen sollen.

Das Verdienst der vorliegenden Aufsatzsammlung ist es, darauf aufmerksam zu machen, daß die genannten Kriterien angesichts der gängigen sonntäglichen Gottesdienstpraxis in der Regel Desiderate darstellen. Der feministische Fokus rückt in den Blick, daß die Erfahrungswelt und das religiöse Selbstverständnis vieler Frauen häufig nur mangelhaft berücksichtigt werden, so daß der Gottesdienst tatsächlich exkludierende Strategien verfolgt und die Öffentlichkeit verfehlt sowie eher Klischees durch festgelegte Rollenzuweisungen zementiert, statt eine befreiende Sichtweise auf das Geschlechterverhältnis zu eröffnen.

Die Entstehung des Buches verdankt sich der Sammlung und Dokumentation von Projekten, die sich mit der Erneuerung des Gottesdienstes aus feministischer Sicht befassen und im Frauenstudien- und -bildungszentrum der EKD (FSBZ), im Anna-Paulsen-Haus (Gelnhausen), miteinander ins Gespräch gebracht wurden. Es handelt sich um 23 Beiträge von 27 Autorinnen und Autoren (die beiden männlichen Autoren haben gemeinsam mit vier Autorinnen einen Beitrag verfaßt), die im Anschluß an einen einleitenden Artikel von Renate Jost, der Studienleiterin des FSBZ, in vier Gruppen gegliedert sind. Ein deutliches Schwergewicht liegt auf dem ersten Teil: "Der Gottesdienst am Sonntagmorgen" mit 13 Beiträgen, die sich mit gottesdienstlichen Texten (Lieder, Gebete, Perikopen) befassen. Drei Beiträge widmen sich in diesem Teil erfreulicherweise der Predigt, der bislang im feministischen Kontext wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde (vgl. dazu Annette Noller, 146-158). Ebenfalls in drei Beiträgen werden Grundlegungen zum Gottesdienstverständnis formuliert.

Ein zweiter Teil widmet sich unter der Überschrift "Identität von Pfarrerinnen" der Frage nach der Gestaltung von Ordinationsgottesdiensten und auf welche Weise Frauenbiographien und theologische Ausbildung zusammengehen. Drittens werden "Von Frauen gestaltete besondere Gottesdienste" vorgestellt (z.B. zum Weltgebetstag von Ulrike Bechmann), bevor schließlich viertens zwei Beiträge "Perspektiven" aufweisen wollen, wie eine erneuerte Praxis aussehen könnte. In einem Anhang werden Projekte zu Gottesdienst und Frauenliturgie vorgestellt sowie eine ausführliche Bibliographie geboten.

Manche der zum Teil sehr knappen Beiträge (z. B. Heidi Rosenstock in Teil 1 unter der Rubrik "Grundlegungen" 23 f.) leisten kaum mehr, als "Inklusivität" lediglich anzumahnen. Informativ ist es in jedem Fall, die Erfahrungsberichte zu lesen, etwa über die Arbeit an der Erneuerten Agende (Antje Heider-Rottwilm) und über feministisch-liturgische Arbeit in der ehemaligen DDR (Christine Pampel und Friederike Woldt). Bei der Lektüre des Bandes zeigt sich, daß das programmatische Adjektiv im Titel keineswegs einheitlich von den Autorinnen verstanden wird. Einleuchtend und klärend ist der Aufsatz von Isolde Karle, die betont, daß es sich bei der Kategorie "Geschlecht" um ein "durch und durch kulturelles Konstrukt" (27), nicht aber um eine biologische, "natürliche" Identität handelt. Von da aus gewinnt sie ein theoretisches Potential, das auch innerhalb der feministischen Diskussion kritisch wirksam werden kann, wenn etwa durch die Unterscheidung "männlich" ­ "weiblich" mit scheinbar eindeutigen Attributzuweisungen Rollenvorgaben eher verfestigt werden, statt daß die "massive Identitätszumutung und -festlegung" (31) aufgebrochen wird, die mit der Betonung von Geschlecht einhergeht. Karle rückt somit die Frage in den Blick, wie im Gottesdienst "Geschlecht inszeniert, dargestellt und hervorgebracht" wird (28).

Mit eben dieser Frage, die sich für jede gottesdienstliche Formgebung stellt, ist eine Komplexität gewonnen, die dem Gegenstand angemessen ist und weit über das Beharren auf sprachlicher "correctness" und dem ablehnenden Verdacht gegenüber jeder christlichen Tradition hinausgeht. Frauen und Männer sind gefordert, sich dieser Frage zu stellen, um die öffentlichkeitswirksame und wirklichkeitserschließende Funktion des Gottesdienstes nicht zu verfehlen.