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Ausgabe:

Februar/1998

Spalte:

189–191

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Schmitz, Philipp

Titel/Untertitel:

Fortschritt ohne Grenzen? Christliche Ethik und technische Allmacht.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 1997. 256 S. 8° = Quaestiones Disputatae, 164. Kart. DM 48,­. ISBN 3-451-02164-1.

Rezensent:

Ulrich H. J. Körtner

Fortschritt ohne Grenzen? Die plakative Frage ist selbstverständlich nur rhetorisch gestellt. Wer würde es auch heute noch wagen, ein Plädoyer für grenzenlosen Fortschritt, zumal noch der Technik zu halten? Entsprechend plakativ ist das Schlagwort von der technischen Allmacht im Untertitel. Menschliche, mithin auch technische Allmachtsphantasien werden theologisch üblicherweise eo ipso negativ beurteilt und als sündige Hybris charakterisiert. Daß christliche Ethik einem ungezügelten Fortschrittsglauben nur eine Absage erteilen kann, wird daher keinen Leser überraschen. So handelt nun das vorliegende Buch von den Grenzen, welche der Technik zu ziehen sind, innerhalb derer aber ihre Legitimität als schöpfungsgemäße Kulturleistung des Menschen bejaht wird.

Der erste Hauptabschnitt des in sechs Teile gegliederten Buches beginnt mit der lapidaren Feststellung: "Es gibt Grenzen für die Technik", und zwar weniger solche der technischen Machbarkeit als vielmehr solche der kulturellen Akzeptanz. "Mit der Feststellung ’Grenzen der Technik’ wird das Ende der Toleranz einer Kultur angesagt" (17). Von theologischer Warte aus erörtert Schmitz also das Problem der "Vereinbarkeit von Technik und Kultur" (22), wobei die Aufgabe der Grenzziehung einerseits recht unbestimmt als "Aufgabe aller" (22), andererseits aber als die spezifische Aufgabe der Ethik betrachtet wird. Religiös verstanden wird der Technik nach Sch.s Auffassung eine letzte Grenze durch den Tod gezogen (41 ff.), und zwar deshalb, weil nur Gott das Paradies schafft, alle Technik also unter eschatologischem Vorbehalt steht bzw. ihr jede soteriologische Überhöhung bestritten werden muß. Positiv gewendet möchte Sch. das Sabbatgebot für die ethische Grenzziehung und Technikfolgenabschätzung fruchtbar machen (43 ff.).

Im zweiten Hauptteil erörtert Sch. Typen ethisch-technischer Urteilsbildung. Er unterscheidet drei Typen von Ethik, nämlich eine auf die Person des Handelnden zugeschnittene Standesethik, eine an den vom Handeln Betroffenen orioentierte Ethik der Akzeptanz ­ bei der es sich freilich wegen des fehlenden Bezugs zum handelnden Subjekt "nur um einen ersten Einstieg in die Ethik" handele (13) ­ sowie eine vom kulturellen Gesamtziel menschlichen Handelns aus argumentierende "Handlungsethik". Sch. selbst favorisiert den letztgenannten Ethiktyp, den er auch als "kommunikative Vernunftethik" bezeichnen kann (51 ff.). Grundlegendes Prinzip der ethischen Urteilsbildung auf technologischem Gebiet ist für Schmitz das Prinzip des Verzichts (58ff.). Nur wer grundsätzlich zum Verzicht auf eine technische Option bereit ist, könne "vorbehaltlos" über die Anwendung oder Entwickung neuer Technologien entscheiden. Theologisch wird das Prinzip des Verzichts im Sinne der Askese begründet. Der dritte Hauptteil analysiert das ethische Motivationsgefüge. Die spezifisch theologische Perspektive besteht für Sch. darin, technisches Handeln aus dem Blickwinkel von Abfall und Sünde zu betrachten, wobei er, ausgehend von der Doppelsinnigkeit des Wortes "Abfall" einige überraschende Einsichten zum Problem des Mülls und der Abfallbeseitigung bzw. -vermeidung zutage fördert. Der vierte Hauptteil versucht das ethische Ziel technischen Handelns schöpfungstheologisch zu bestimmen, wobei Schmitz einerseits den vieldeutigen Begriff der Natur und die Naturrechtstradition, andererseits davon unterschieden den Schöpfungsbegriff diskutiert. Die Kirche als "Hüterin der Religion" (139) habe mit dem Schöpfungsgedanken "trotz aller formellen Verwandtschaft" mit dem Begriff der Technik in den ethischen Diskurs "einen Gegenbegriff" einzubringen, welcher bei aller Nutzung technischer Möglichkeiten die Ehrfurcht vor dem Leben und allen grundsätzlich gleichwertigen Lebensformen einklage (137). Der fünfte Teil bestimmt die heutige Lebenswelt grundsätzlich als Welt der Technik bzw. als "Technosphäre" (141), die aber um des Menschen willen besteht und daher menschengerecht zu gestalten ist. Ein materialethischer Teil, der sich mit den ethischen Problemen der Gentechnik, der modernen Reproduktionsmedizin, der Energieversorgung (insbesondere der Kernenergie) sowie der neuen Informations- und Kommunikationstechniken befaßt, beschließt das Buch.

Sch. hat einen respektablen Versuch zur Grundlegung einer Ethik der Technik vorgelegt, der von katholischer Seite zu den neuen Technologien eine theologisch begründete Stellung bezieht. Das Hauptpoblem seines Buches scheint mir allerdings darin zu bestehen, daß es gewissermaßen den zweiten Schritt vor dem ersten tut, d. h. die Frage der Grenzziehung aufwirft, ohne zuvor das Wesen der Technik, und zwar das spezifische Wesen der neuzeitlichen Technik hinreichend zu bestimmen. Insbesondere hätte Heideggers Technikdeutung, auch wenn man ihr nicht folgen will, mehr Beachtung verdient. Sch.s Ausführungen zum Wesen der Technik, die sich an Ortega y Gasset, Hans Sachsse, Arnold Gehlen u. a. anschließen, sind meines Erachtens unzureichend. Ob sich der modernen Technosphäre, die man wohl als ökonomisch dominierte Technokratie bezeichnen muß, überhaupt noch ethische Grenzen ziehen lassen, wie es Sch. vorschwebt, ist sehr die Frage. Bezeichnenderweise bleiben die Subjekte der intendierten Grenzziehung bei Sch. einigermaßen unbestimmt. Der Appell an "alle" bzw. "die Gesellschaft" wirkt ein wenig hilflos und ist sozialethisch unbefriedigend. Allzu grobmaschig erscheint mir auch Sch.s Typologie ethischer Ansätze, wobei es unter anderem erstaunt, daß Sch. eine "Handlungsethik" vertreten möchte, ohne auf Begriff und Geschichte der Verantwortungsethik einerseits und auf J. Habermas’ und K.-O. Apels Theorie kommunikativer Urteilsbildung andererseits einzugehen.

Verdienstvoll ist das Bemühen, ethische Kriterien für die Beurteilung neuer Technologien wie etwa der Gentechnik zu entwickeln. Ausdrücklich vermerkt sei, daß Sch. nach Wegen sucht, der katholischen Moraltheologie auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin gegenüber der offiziellen Linie des Vatikan einen gewissen Freiraum zu verschaffen. Im übrigen aber gelangt Sch. jedoch über die banale Feststellung, daß sich auf dem Gebiet der neuen Techniken überall "große Chancen und gewaltige Gefahren" zeigen (165), leider kaum hinaus.