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Ausgabe:

Februar/1998

Spalte:

187–189

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Peschke, Karl-Heinz

Titel/Untertitel:

Christliche Ethik. Spezielle Moraltheologie.

Verlag:

Trier: Paulinus 1996. XX, 879 S. gr.8°. Geb. DM 58,­. ISBN 3-7902-0063-8.

Rezensent:

Martin Honecker

Die "Christliche Ethik" von K. H. Peschke ist eine nicht dem heute üblichen Stil in der gegenwärtigen katholischen Moraltheologie entsprechende Publikation. Das allgemeinen Interesse unter den Moraltheologen gilt der Fundamentalmoral, der allgemeinen Moraltheologie. Die Fundamentalmoral erörtert die Prinzipien sittlichen Verhaltens: Themen der allgemeinen Moral sind daher die menschliche und sittliche Handlung, Gewissen, Urteilsbildung, die objektiven Grundlagen, Naturrecht, Gesetz sowie Freiheit und Verantwortung der Person usw. Die spezielle Moraltheologie wendet hingegen diese sittliche Forderung auf verschiedene Bereiche und Situationen an. Sie steht insofern in der Tradition der Kasuistik. P.s Werk erschien zuerst 1978 in Englisch; der Autor ist Steyler Missionar, dozierte 1959 bis 1962 Moraltheologie in Sao Paolo/Brasilien, also vor dem 2. Vaticanum; 1968 bis 1984 war er an einem Priesterseminar auf den Philippien tätig, 1984 bis 1991 an der Päpstlichen Universität Urbania in Rom. Seit 1991 lehrt er Moraltheologie an der Theologischen Hochschule St. Gabriel/Mödling bei Wien. Die deutschen Kontroversen in der Moraltheologie um autonome Moral, Methodenfragen usw. haben ihn weithin gar nicht berührt. Dagegen wird viel an englischsprachiger Literatur herangezogen. Schon im Aufbau folgt P. dem konventionellen Schema. Heribert Jone, Katholische Moraltheologie, 1953, 16. Aufl. hat z. B. sein Handbuch in drei Bücher eingeteilt: 1. Prinzipienlehre (Menschliche und sittliche Handlungen, Gesetz, Gewissen, Sünde, Tugenden). 2. Gebote: die drei göttlichen Tugenden und die zehn Gebote. 3. Sakramente. P. behandelt als Teil I "Christliche Verantwortung im religiösen Bereich"; Religion und die drei göttlichen Tugenden, Glaube, Liebe, Hoffnung, im Teil II "Christliche Verantwortung für die geschaffene Welt", Themen sind dabei Nächstenliebe und Gerechtigkeit; Leben und Gesundheit; Ehre, Wahrhaftigkeit und Treue; Sexualität und Ehe; Sittliche Verantwortung im Gemeinschaftsleben (z. B. Familie, Staat); Arbeit, Eigentum und Sozialwirtschaft; Verantwortung für die Schöpfung.

Das Profil des Buches kennzeichnet, daß im Index der Begriff "Vernunft" fehlt ebenso Epikie, Autonomie wird nur als "falsche" registriert, Gewissen nur unter dem Stichwort Gewissensfreiheit genannt, dafür finden sich Stichworte wie beispielsweise Küssen, Moralität; Liebesspiel, eheliches; Lobhudelei; Marihuana oder Maskottchen. Es handelt sich also um ein Manual, ein Handbuch, in welchem die entsprechenden Weisungen der Traditionen und des Lehramtes zusammengestellt werden. Begründungen und Argumente treten dabei zurück. Betont wird vielfach der Glaubensgehorsam und die kirchliche Autorität. Der Katechismus der katholischen Kirche von 1993, der sogenannte Weltkatechismus, der bei P. nur an wenigen Stellen zitiert wird, macht dieses Vorgehen wieder zum kirchlichen Modell und Maßstab (vgl. vor allem Teil III des "Weltkatechismus" "Das Leben in Christus").

Die "Nächstenliebe" wird deutlich von der Gottesliebe unterschieden und dem Teil II zugewiesen. Als Themen seien aus dem Teil I nur beispielhaft erwähnt: Aberglaube (1. Wahnglaube, 2. Wahrssagerei, 3. Magie), die Sonntagsfeier, die Ehrfurcht vor gottgeweihten Personen, vor heiligen Stätten, vor heiligen Gegenständen und Dingen. Bei den Pflichten der "Ehrfurcht vor dem Heiligen" geht es sehr ins Detail. Im 2. Teil des Umgangs christlicher Verantwortung mit der geschaffenen Welt werden Individualethik und Sozialmoral nicht grundsätzlich unterschieden. Sie gehen ineinander über.

P.s konkrete Ethik verknüpft die Disziplinen Moraltheologie und Sozialethik. Sie schreitet einen beachtlichen Spannungsbogen religiös und sittlich relevanter Handlungen ab. In den Lebensbereichen "Achtung vor dem Leben einer Person", "Verantwortlichkeit für Gesundheit und Leben" oder auch in der Sexualethik findet sich durchaus immer wieder ein Bemühen um Differenzierungen und eine ­ gelegentlich begrenzte ­ Bereitschaft, die Komplexität schwieriger Sachverhalte wahrzunehmen. Der religiöse Ausgangspunkt dieses weit ausgreifenden Standpunktes ist strikt katholisch und in der persönlichen Haltung gläubig-engagiert. Die Ausführungen zur Tugend der Gerechtigkeit sind knapp und konventionell. Detailliert erörtert werden Leben und Gesundheit (Kap. VII) (z. B. Organtransplantationen, Sterilisation und Kastration, Operationen bei Risikoschwangerschaften usw. oder Selbstmord, Mord und indirekte Tötung, Notwehr usw.) sowie Sexualität und Ehe (Kap. IX). Bei der Geburtenregelung wird die kirchliche Lehre breit entfaltet. Der Abschnitt "Sittliche Verantwortung im Gemeinschaftsleben" (Kap. X) faßt die Natur der Gesellschaft, Familie, Staat Friedensschutz und Kirche zusammen. Am Schluß werden Arbeit, Beruf, Eigentum, die sittliche Ordnung der Sozialwirtschaft (Kap. XI) und die Verantwortung für die Schöpfung ­ sehr knapp ­ (Kap. XII), dargelegt.

Das Kapitel über Arbeit, Eigentum und Sozialwirtschaft bedenkt zwar auch Ordnungsfragen, betont aber mit Schwergewicht die sittlichen Pflichten des Einzelnen. Eine ausgearbeitete Gesellschaftstheorie wird nicht vorgelegt. Ganz beiseite bleibt, sieht man von der religiösen Pflicht der Gottesverehrung ab, der Lebensbereich der Kultur. Zum Argumentationsstil seien einige Beispiele angeführt. Zum "Wesen des theologischen Glaubens" wird als erstes festgestellt: "Theologischer Glaube wird gewöhnlich verstanden als Zustimmung zu Wahrheiten, die in der biblischen Offenbarung enthalten sind, und zu Lehren, die von der Kirche als Glaubensdogmen verkündet werden. Glaube ist jedoch nicht in erster Linie Zustimmung zu einer bestimmten Reihe von Lehrsätzen. Er ist eine persönliche Begegnung mit Gott, eine Selbstoffenbarung des göttlichen Vaters und persönliche Hingabe an ihn" (15). Trotz der Herausstellung des personalen Charakters des Glaubens werden jedoch Glaubensgehorsam, die Autorität in der Kirche und die Kirchlichkeit des Glaubens betont. Zu Aberglaube heißt es: "Aberglaube in weitem Sinn sind Bräuche und Praktiken, die objektiv grundlos und daher nichtig und absurd sind." Die Magie wird auf zwei Seiten erörtert, nachdem schon zuvor das magische Pendel als para-psychologisches Phänomen bedacht wurde. Die Moralität der Nacktkultur wird im Zusammenhang mit Mode und Tanz bedacht. Zur Pflicht der Steuerzahlung heißt es: "Steuerhinterziehung ist ein Übel und Beweis mangelnden Gemeinschaftsgeistes". Die Beispiele belegen, daß die spezielle Moraltheologie von P. ein Regelwerk der Gebotsmoral mit vielen Details und mit einer breiten Kenntnis von Tradition und aktueller Diskussion vorlegt. Klaus Demmer konstatiert zur Moraltheologie: "Die Geschichte der Moraltheologie ist ein empflindlicher Seismograph wechselnder Denkformen, Wissenschaftsideale und praktischer Notwendigkeiten". P.s Werk ist Indiz einer Renaissance der Manualistik mit ihrer Gebots-, Akt- und Sündenmoral. Der Vorzug solcher Werke ist pastorale Praktikabilität und pragmatische Verwendbarkeit. Ihre Schwäche ist ein Mangel an methodischer Reflexion und an theologischer Vertiefung. Prinzipielle Überlegungen zu "Normen" und "Werten" fehlen.

P.s "Christliche Ethik" ist ein Werk zum Nachschlagen, das den Ansatz einer Gebotsmoral aktualisiert. Das umfangreiche Opus führt damit zurück auf eine Kasuistik, in der Gebote und Prinzipien mit klugen Überlegungen auf Situationen und Konfliktlagen angewandt werden. Die moraltheologische innerkatholische Grundsatzdiskussion spielt dabei allenfalls am Rande eine Rolle. Das Buch ist insofern repräsentativ für einen Typus und Argumentationsstil innerhalb der Moraltheologie. Deshalb verdient es auch Aufmerksamkeit seitens evangelischer Ethik. Denn es informiert breit und umfassend über religiöse und sittliche Forderungen und Normierungen in der katholischen Kirche und Tradition. Einen weiterführenden Beitrag zur theologischen und ethischen Grundlagendiskussion leistet diese "Christliche Ethik" freilich nicht.