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Ausgabe:

Februar/1998

Spalte:

185–187

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Kessler, Hans [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ökologisches Weltethos im Dialog der Kulturen und Religionen. Im Auftr. von "Theologie Interkulturell".

Verlag:

Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1996. IX, 287 S. gr 8°. Pp. DM 58,­. ISBN 3-534-12969-5.

Rezensent:

Rolf Becker

Am Fachbereich Katholische Theologie der Universität Frankfurt am Main gibt es einen Forschungsschwerpunkt "Theologie Interkulturell", für den die Kooperation mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Kulturen und Disziplinen wesentlich ist. Im Zwei-Jahres-Rhythmus wechseln dabei die Forschungsprojekte. Die wichtigsten Beiträge zweier vom Herausgeber geleiteter Symposien (1993 und 1994) zu Fragen eines ökologischen Weltethos sind im vorliegenden Band abgedruckt.

In einem einleitenden "Problemaufriß" des Hg.s, der in seiner Urfassung zu Beginn des ersten Symposions vorgetragen wurde und den Referenten des zweiten Symposions vor Beginn ihrer Ausarbeitung vorlag, wird zunächst die gewaltige öko-soziale Herausforderung für die Kulturen und Religionen in den Blick gerückt; sodann werden das Natur- und Selbstverständnis der Moderne (aufgezeigt an den Bereichen Naturwissenschaft/ Technik, Ökonomie und Lebensstil), seine Hintergründe und sich globalisierenden Folgen analysiert und die mit dem nötigen Kurswechsel gegebenen Probleme der handlungsmotivierenden Triebkräfte, darunter der mythisch-religiösen Grundeinstellung zum Dasein und des Ethos, thematisiert; daran schließen sich Rahmenhypothesen zu einem interkulturellen ökologischen Ethos an:

Es gibt in allen kulturell-religiösen Traditionen Weisheiten und Grundhaltungen der Bejahung und Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Oft steckt in ihnen eine tiefe Weisheit der Selbstbeschränkung und Respektierung des anderen und ein Ethos der Genügsamkeit (und des Genießens !), die für Jahrtausende Leben ermöglichten, weil sie zur Achtung der Lebensrechte der Nachkommen und anderer Lebewesen und zu einer gerechten Verteilung der Lebensressourcen verhalfen und noch immer verhelfen. ­ Statt eines uniformierten Weltethos [gemeint ist das "Projekt Weltethos" von Hans Küng] brauchen wir die vielen kulturell-religiösen Traditionen mit ihrer Ökosophie, ihrem öko-sozialen Ethos und ihrer besorgten Ökophilie. ­ Zwischen den pluralen Traditionen gibt es Überschneidungsbereiche, wo sich Grundüberzeugungen treffen und die Möglichkeit zur Verständigung über verbindende Prinzipien gegeben ist. Um des gemeinsamen Überlebens willen muß dabei [mit Küng] in den ethischen essentials ­ aber auch nur in diesen ­ eine Übereinstimmung angestrebt werden.

Ein solcher Kernbestand an kulturübergreifenden öko-sozialen Prinzipien und Orientierungen kann aber [und das ist bei Küng nicht genügend beachtet] nur aus der Vielfalt religiös-kulturell verankerter, tief eingewurzelter Ethosformen hervorwachsen. ­ Es gilt, die kultureigenen Weisheiten und ethischen Elemente in der jeweiligen Kultur stark zu machen. Jede Kultur muß ihre Lösungen finden. ­ Behauptete kulturspezifische Muster bedürfen allerdings der kritischen Prüfung ­ im intratraditionalen und interkulturellen Dialog ­ daraufhin, ob sie realitätsgerecht und moralisch tragbar sind. Dabei spielt der Rekurs auf die transkulturelle Übereinstimmung in ethischen Mindeststandards (als Art Rahmenethos) die Rolle eines gewichtigen Kriteriums. ­ Es ist zu vermuten, daß ­ durch die kritische Aktivierung der kultureigenen Formen von Weisheit und Ethos und durch die gleichzeitige Verständigung über verbindende ethische Prinzipien und elementare Mindeststandards (bis hin zu dann möglichen rechtlichen Regelungen) und durch eine zunehmende Vernetzung ­ die Resistenz gegen ein um sich greifendes technisch-ökonomisch-konsumistisches Einheitssystem mit seinem quantitativen Infinitismus (immer mehr, schneller, flüchtiger) und seiner fortschreitenden Aushöhlung der (natürlichen, psychischen und sozialen) Kräfte gestärkt wird.

Auf die damit aufgeworfenen Fragen gehen Expertinnen und Experten aus der jeweiligen Perspektive ihrer Kultur (Schwarzafrika, Indien, Japan, China, Australiens Aborigines, andine Quechuas und Aymaras, Europa) und Religion (Stammesreligionen, Buddhismus, Islam, Christentum verschiedener Konfessionen) ein. Dies geschieht unter kulturanthropologischen, religionswissenschaftlichen, historischen, feministischen, philosophisch-theologischen, spirituellen, sozial- und umweltethischen sowie umweltvölkerrechtlichen Aspekten.

In seinem Schlußbeitrag unternimmt K. den Versuch, wichtige Aspekte einerseits der Diskussion zu den Einzelbeiträgen, andererseits des gesamten Gesprächsgangs nochmals aufzunehmen, sie zu strukturieren, die Ansätze weiterzuentwickeln und in einen Zusammenhang zu bringen und so die Zwischenbilanz dieses interkulturellen Dialogs zu ziehen. Den Höhepunkt bildet dabei der Abschnitt über die konkrete "Realisierung" eines ökologischen Weltethos.

K. benennt vier notwendige ethische Grundhaltungen als Kern einer Spiritualität für unsere Zeit, die sensibel ist für die soziale und natürliche Mitwelt (gerade indem sie in ihr und nur noch durch sie hindurch, nicht über sie hinweg und jenseits von ihr Gott erreicht): Gegen die öko-soziale Distanz gilt es eine auch affektive Beziehung zur Erde zu wecken; denn: nur für das, was man liebt, ist man zu einschneidender Verhaltensänderung bereit. ­ Gegen die aushöhlende Beschleunigung in nahezu allen Bereichen (z. B. Verkehr, Informationen, Finanzspekulationen) werden bewußt Verlangsamung, Innehalten, Aufmerken und Hinhören gesetzt.

Gegen die gewalttätige Aggressivität steht eine ­ letztlich religiös verankerte ­ mitfühlende Güte und Freundlichkeit zu sich selbst, zu den Menschen und zu allen Wesen und Erscheinungen der Natur. Dies freilich in einer "abgestuften Solidarität" zwischen Mensch und anderen Wesen gemäß dem Grad ihrer Komplexität und Sensitivität. ­ Gegen die Ansprüche der Konsummentalität und den Verschwendungswohlstand gilt es dankbar Gebrauch zu machen von den Dingen, die für ein menschliches Leben benötigt werden und die anderen Dinge freizugeben. "Die Erde hat genug für jedermanns Bedarf, aber nicht für irgendjemandes Gier."

Über diese ethischen Grundhaltungen hinaus lassen sich faktisch in den differenten Kulturen und über ihre Grenzen hinweg einige immer schon geltende, universal gültige Prinzipien feststellen: z. B. die Goldene Regel oder die in allen Kulturen als verbindlich geltenden sozialen Pflichten wie die der zweiten Dekalogtafel sowie selbstverständliche Pflichten gegenüber der natürlichen Umwelt (faktisch stets abgestufte Rücksicht gegenüber anderen Lebewesen, Verbot unnötigen Tiere-Quälens, Wahrung der Regenerationsfähigkeit der Öko-Systeme).

Jetzt geht es darum, daß möglichst viele Menschen auf allen Ebenen und in allen Bereichen - bei jedem gegebenen Anlaß ­ sich und anderen diese Prinzipien und Grundhaltungen ins Gedächtnis zurückrufen, sie aussprechen, befolgen und darauf drängen, sie verstärkt in der öffentlichen Meinung, d.h. im allgemeinen moralischen Bewußtsein, verankern und gegebenenfalls Rückfälle hinter sie anprangern.

Ohne entsprechendes moralisches Bewußtsein kommen staatliches wie internationales Umweltrecht nicht zustande und haben auf Dauer auch keinen Bestand. Sie müssen durch ein kontextuell verwurzeltes ökologisches Ethos getragen sein.