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Ausgabe: | Februar/1998 |
Spalte: | 180 f |
Kategorie: | Christliche Kunst und Literatur |
Autor/Hrsg.: | Prost, Dietrich W. |
Titel/Untertitel: | Stralsund als Orgelstadt. Orgeln und Orgelbauer im praktisch-theologischen Dienst für die Kirchen Stralsunds. |
Verlag: | Hamburg: Dr. Kovac 1996. 106 S. gr.8°. ISBN 3-86064-238-3. |
Rezensent: | Gert Haendler |
Der Vf. war jahrzehntelang als Orgelvirtuose weit über die Grenzen seiner pommerschen Heimat bekannt; er hat sich zudem mit mehreren Arbeiten zur Geschichte des Orgelbaus verdient gemacht. Sein jetzt vorgelegtes Buch ist eine überarbeitete Dissertation, die 1991 der Theologischen Fakultät Greifswald vorgelegen hat. Er berichtet von den Orgeln, die es in Stralsund gab und gibt. Er hat das Stralsunder Stadtarchiv und kirchliche Archive benutzt, er zitiert aus zeitgenössischen Schilderungen und Zeitungen, so daß die verschiedenen Probleme plastisch hervortreten. P. bemüht sich um theologische Begründungen, warum die Orgeln so und nicht anders klanglich gestaltet wurden. Schleiermacher und der pommersche Bischof Carl Ritschl kommen in den Blick (18 f.), später Bonhoeffer und Rudolf Otto (43). Mit besonderer Anteilnahme schildert P. die Orgel in der Marienkirche, die Friedrich Stellwagen in der Mitte des 17. Jh.s erbaute; an ihr hat P. als Organist jahrzehntelang bei Gottesdiensten und Konzerten gewirkt (26-28).
Im Rückblick sieht der emeritierte Kirchenmusikdirektor bei den freien Orgelwerken des Barock primär "Musik der Klage, der Trauer, des Protestes, oft geradezu bis zur Hemmungslosigkeit". Er stellt die Frage, "ob in einer Zeit, in der die vokale Kirchenmusik der Ehre Gottes und der Recreation des Gemüthes zu dienen hatte, nicht vielleicht die Orgelmusik eine entgegengesetzte Aufgabe hatte: Raum zu geben für Klage, Trauer und Protest der Menschen, Orgelmusik als Klagemauer. Dann hätte die Orgel, nicht nur räumlich dem Altar gegenüber, sondern auch innerlich, nach und nach die Funktion des Widerpartes übernommen, des Anklägers vor Gott". P. fügt hinzu, er könne diese Hypothese nicht belegen; sie gibt jedoch seine "jahrzehntelange Spielerfahrung" und die "Hörerfahrung seiner Orgelmusik wieder" (29). P. erinnert an die einst überfüllten Orgelkonzerte in der DDR und erklärt sie auch "aus der Situation der jungen Menschen, die innerlich unzufrieden waren und in der Orgelmusik ihre negativen Emotionen bestätigt und endlich einmal lautgeworden fanden". Er erinnert an Orgelkonzerte am Reformationstag, die zu "Tränenkonzerten" wurden: Abschiedskonzerte für junge Leute, die Anfang November bei der "Nationalen Volksarmee" einrücken mußten (42). P. erinnert an den Karfreitag und fragt: "Warum wurde Karfreitag vormittags der Gottesdienst von 40 Menschen, das Orgelkonzert am Nachmittag jedoch von 400 Zuhörern besucht?". Die kirchliche Verkündigung erreichte viele Menschen nicht mehr. "Jedoch Andacht, d. h. an etwas denken wollten sie, und dazu bot ihnen die Orgelmusik Anleitung und die Marienkirche äußeren und inneren Raum" (43).
Mit diesen Thesen bietet P. weit mehr als nur eine historische Beschreibung der Stralsunder Orgeln; er reflektiert zudem die Situation in der DDR aus der Sicht eines sensiblen Organisten. Neben den vielen Stimmen zur Vergangenheitsbewältigung in der DDR sollte auch diese Stimme gehört werden.