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Ausgabe:

Februar/1998

Spalte:

176–178

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Hörisch, Jochen

Titel/Untertitel:

Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes.

Verlag:

Frankfurt/M.: Suhrkamp 1996. 370 S. kl.8° = Edition Suhrkamp, 1998. Kart. DM 24,80. ISBN 3-518-11998-2.

Rezensent:

Traugott Jähnichen

Der Literaturwissenschaftler und Medientheoretiker Jochen Hörisch legt mit dem vorliegenden Werk den zweiten Teil einer auf drei Bände geplanten Studie über die ontosemiologischen Leitmedien der christlich-abendländischen Kultur vor. Mit dem Kunstwort "Ontosemiologie" bezeichnet Hörisch die Problemstellung, daß und wie eine Kultur eine "Korrelation von Sein und Sinn" ausweisen oder stiften kann, "so daß die Frage danach, ob diese Stiftung auch tatsächlich intersubjektiv gültig sei, gar nicht erst aufkommt" (26). In diesem Sinn stellt er das Abendmahl, das Geld und die neuen elektronischen Medien ­ aufeinander folgend, ablösend, aber auch komplex sich beerbend und einander überlagernd ­ als Epochen überdauernde und zunehmend kulturübergreifende Leitmedien dar, welche Zugriff auf Sinn ermöglichen, Einheitsgesichtspunkte zum Verständnis einer Kultur bereitstellen, soziale Synthesis ermöglichen und schließlich die Zeit- und Raumdimensionen homogenisieren können. In seinem ersten Band "Brot und Wein. Die Poesie des Abendmahls" hat H. zu zeigen versucht, wie ­ beginnend mit dem 17. Jh. ­ spätestens seit dem 19. Jh. das Geld das Abendmahl als Leitmedium ablöst, indem es die Korrelationen von Sein und Sinn nicht mehr substantiell, sondern funktional herstellt. Während das Abendmahl immer mehr an sinnstiftender Plausibilität verliert, sorgen zunächst das Geld für funktionale und in der Gegenwart die neuen Medien für simulative Korrelationen von Sein und Sinn.

Als Belegtexte seiner Thesen dienen H. Werke der Literatur, so daß die Affinitäten und Differenzen zwischen Geld und Dichtung das Thema des hier zu besprechenden Bandes "Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes" bilden. "Poesie des Geldes" meint somit einerseits die Literatur, die Geld zum Thema hat, andererseits aber auch die "poetischen Qualitäten, die das Geld auszeichnen oder bedrohen" (21). Der Vf. stellt eindrücklich die Intensität und Breite dieser poetischen Beobachtungen des Mediums "Geld" in der deutschsprachigen Literatur dar, die bisher jedoch kaum untersucht worden ist. Geld als das ontosemiologische Leitmedium der Moderne ermöglicht in hohem Maße die Lesbarkeit der modernen Welt, die Dichtung hingegen eröffnet Perspektiven, "mehr als nur einen Sinn im Geld zu entdecken" (49). Es geht in dem vorliegenden Band somit um den Aufweis der Ambivalenzen des Geldes ­ Geld ist göttlich und satanisch, rational und irrational zugleich, beruft sich auf Legalität statt Legitimität, Funktionalität statt Transzendenz und Substantialität ­, die in den beiden Seiten einer Medaille ­ Kopf oder Zahl, korrekter: Kopf und Zahl ­ ihren konkreten Ausdruck finden.

Nach diesen programmatischen Einführungen zur Ontosemiologie des Geldes wird in einem phänomenologisch angelegten Überblick die vielfältige Präsenz des Geldes seit der beginnenden Neuzeit aufgewiesen. Ausgehend von der seit dieser Zeit in der Literatur regelmäßig begegnenden Klage oder Diagnose der Ersetzung von Gott, Transzendenz, Religiosität und Sitte durch Geld wird der "funktionale Imperialismus des Geldes" (61) an Hand literarischer Beispiele ­ sehr häufig bezieht sich H. auf Goethes "Faust" ­ aufgewiesen. Im einzelnen wird in diesem Zusammenhang gezeigt, wie Geld Beziehungen selbst über größte Entfernungen und über größte Zeiträume hinweg stiftet, wie es durch den Zins eine eigentümliche Art der Fruchtbarkeit entwickelt und wie es schließlich ­ über Versicherungen, vererbtes Geld oder vererbte Schulden ­ selbst das Totenreich mit Himmel und Erde zu verbinden vermag. Die Neuzeit ist somit "im triumphalen Zeichen der monetären Äquivalenz" (189) zu interpretieren.

Die eigentliche These ­ Geld als das ontosemiologische Leitmedium der Neuzeit ­ entwickelt H. im dritten Kapitel. Ausgangspunkt ist hier der literarische Streit in der späten Goethezeit um das Vorrecht von Geist oder Macht ­ Feder oder Schwert. Diesen Streit beantwortete Adelbert von Chamisso, indem er unzweideutig dem Geld die Priorität zuerkannte. Aufschlußreich ist hier ferner, daß als möglicher Gegenkandidat die Religion überhaupt nicht mehr vorgekommt. Der Prioritätenstreit wird nun "rein innerweltlich ausgetragen" (194), was die dramatische Tiefe der Verschiebungen etwa zum 13. Jh. deutlich macht, wo in ähnlicher Weise das Motiv eines Prioritätenstreits zwischen Macht, Geld und Heil aufweisbar ist. Die hier eher anekdotisch reflektierte Prioritätensetzung der Neuzeit wird im folgenden systematisch entfaltet, indem H. sich auf Alfred Sohn-Rethel bezieht und dessen These, daß abendländische Rationalität und Subjektivität "Epiphänomene des Geldes" (214) sind, entfaltet. Geld stellt in dieser Perspektive "nicht nur Äquivalenzen zwischen nicht-gleichen Dingen, sondern auch funktionale Korrespondenzen zwischen Abstrakta und Sachen, Denk- und Realabstraktion ... bzw. Sinn und Sein her" (ebd.). Damit wird im Kern die neuzeitliche Subjektivität auf die Waren- und Geldform rückbezogen. Diese These Sohn-Rethels versucht H. durch Verweise auf Novalis, Keller und Nietzsche zu erhärten, die er als dessen "Vorläufer und Vordenker" (220) interpretiert. Letztlich geht es ihm in diesem Zusammenhang um den Aufweis des Geldes als der sichtbaren Gottheit der Neuzeit, das zum Fetisch wird und in der bürgerlichen Gesellschaft sich als Religion des Alltagslebens erweist. Zu den Verlierern dieses Siegeszuges des Geldes gehört ­ neben der Religion ­ auch die Sprache. So ist es ­ speziell in der romantischen Beobachtungsperspektive ­ irritierend, daß Geld trotz seiner Sprachlosigkeit ein hochfunktionales Kommunikationsmedium ist. "Es stiftet Einheit, es macht Unterschiedlichstes kompatibel, es synthetisiert auf bemerkenswerte und prätentiöse Weise Mannigfaltiges" (304). Geld wird somit das bestimmende, sprachlose Kommunikationsmedium der Neuzeit, das Verbindungen und Vereinigungen herstellt, welche "die christliche Theologie dem Pfingstgeist als genuine Leistung zugerechnet hat. Nicht umsonst ist die Sprache des Geldes international verständlich. Sie ist die profane Erleuchtung in postbabylonischen Sprachwirren" (316).

H. schließt seine Studie mit einer Analyse von drei Romanen aus der Zeit um 1900 ab, in denen die von ihm aufgewiesenen ontosemiologischen Leitmedien Abendmahl, Geld und neue Medien gemeinsam im Zentrum der literarischen Aufmerksamkeit stehen. Beispielhaft sei hier Bram Stoker’s Dracula-Roman genannt. Um den Blutdurst des erdverhafteten Grafen zu bekämpfen, müssen seine Widersacher vor allem über Hostien und Kruzifixe, ferner über Geld, aber auch über Schreibmaschinen, Telegraphen und Phonographen verfügen, über älteste und modernste Medientechnik somit. Bemerkenswert ist hier nach H., daß sich bereits um 1900 die neuen Medien als ontosemiologisches Leitmedium ankündigen. Speziell in der Gegenwartsliteratur wird sehr aufmerksam die mediale Überformung des Geldes beobachtet, ebenso wie in der älteren Literatur die monetäre Überblendung religiöser Ontosemiologie registriert worden ist. H. kündigt dementsprechend einen dritten Band über die Poesie der neuen Medien an, in dem er der Frage nachgehen will, ob und inwiefern das abendländische Projekt einer verbindlichen Ontosemiologie durch die neuen Medien einen prekären Abschluß bzw. eine Destruktion erfährt: "Gott, Geld und Subjekte, die Sein auf Sinn und vice versa beziehen wollen, werden gemeinsam in Informationen aufgehen" (348). Ob das alte Medium Dichtung solchen medialen Verschiebungen thematisch gewachsen bleiben kann, ist nach H. äußerst fraglich.

Das hier zu besprechende Projekt H.s, der Aufweis und die Untersuchung der ontosemiologischen Leitmedien der abendländischen Kultur in literaturwissenschaftlicher Perspektive, ist faszinierend, obgleich auch kritische Fragen zu stellen sind. Die Kategorie der Ontosemiologie, die versucht, an die systemtheoretische Kommunikationstheorie anzuschließen, bedürfte einer genaueren Klärung. Insbesondere die Vorstellung einer aufeinander folgenden Ablösung ontosemiologischer Leitmedien ist zu problematisieren. Sicherlich ist eine funktionale Priorität der Ökonomie in modernen Gesellschaften zu konstatieren, ob jedoch die Diagnose einer ontosemiologischen Ersetzung des Abendmahls durch das Geld genügend Trennschärfe aufweist, erscheint fraglich, da es die komplexen Vorgänge des Entstehens moderner, funktional ausdifferenzierter Gesellschaften, die eine streng hierarchisch strukturierte Gesellschaftsordnung ablösen, nicht hinreichend in den Blick zu nehmen vermag. Insofern müßte H.s Konzeption wohl präzisiert werden. Faszinierend bleibt jedoch die Art und Weise, wie er die deutsche Literaturgeschichte auf das Thema "Geld" hin untersucht und dabei nicht zuletzt interessante Bezüge zum religiösen Denken herzustellen weiß. Trotz der genannten Kritik ist dieser Band nur zu empfehlen, der viele literarische Texte neu zu lesen lehrt.