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Ausgabe:

Februar/1998

Spalte:

173 f

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Emmendörfer, Christoph

Titel/Untertitel:

Hans Kemmer. Ein Lübecker Maler der Reformationszeit.

Verlag:

Leipzig: Seemann 1997. 230 S., 28 Farbabb. auf 24 Taf., 84 schw./w. Abb. 4°. Lw. DM 68,­. ISBN 3-363-00670-5.

Rezensent:

Hans Georg Thümmel

Mit dieser Heidelberger Dissertation liegt eine Monographie über Kemmer vor. Zweierlei ist von vornherein zu begrüßen, daß es unternommen wird, das ‘uvre eines weniger bekannten Meisters, der gleichwohl an hervorragender Stelle gearbeitet hat, zusammenzustellen, und daß ein Beitrag zur Erforschung der evangelischen Bildkunst des 16. Jh.s geleistet wird. Die Arbeit bietet einen Lebenslauf Kemmers, Ausführungen zu seiner Kunst und einen Katalog der Werke. Allgemein kann zur Darstellung gesagt werden, daß der Vf. von vornherein seine Schlußfolgerungen als gesicherte Ergebnisse vorträgt.

Das beginnt beim Namen. In den Lübecker Quellen ist von 1522 bis zu seinem Tode 1561 immer wieder ein Maler und Konterfeier Kemmer bezeugt (180 f.), der immer Johannes (einmal Jost) genannt wird, nie Hans, obwohl diese Namensform in den gleichen Quellen für andere Personen benutzt wird. Die Benennung als Hans beruht darauf, daß es aus diesem Zeitraum das ‘uvre eines Malers gibt, der für Lübeck gearbeitet und mit HK signiert hat, so daß die Identifikation mit Kemmer (die nicht erst E. vollzogen hat), eine gewisse Wahrscheinlichkeit beanspruchen kann. Eine Untersuchung über das Monogramm fehlt, gelegentlich wird angemerkt, daß es immer in Ligatur geschrieben sei.

Kemmer wird von vornherein als Cranachschüler eingeführt, der seine Lehre in Wittenberg absolviert hat. Doch liest man dann in der biographischen Darstellung, daß wir über Kemmer vor seiner Lübecker Zeit gar nichts wissen. Die (nicht erst bei E. begegnende) Lehre bei Cranach ist allein aus den Bildwerken erschlossen. Da nun aber gerade das als ein Charakteristikum Kemmers herausgestellt wird, daß er eine frappierende Fähigkeit besessen habe, fremde Malstile zu übernehmen (31 u. ö.), hätte man sich den Beweis für die Behauptung, daß er direkter Cranach-Schüler war, etwas genauer gewünscht.

Der Katalog der Werke bietet eine (ruinöse, 1928 zerstörte) Wandmalerei, 23 Tafelmalerein, zwei Zeichnungen und mögliche druckgraphische Arbeiten, die hier vernachlässigt werden können. Von diesen ist ein Werk durch den Vertragstext als Arbeit des Johannes Kemmer gesichert (der 1942 durch Bomben zerstörte Olavsaltar, Nr. 2), 11 sind mit HK signiert.

Die Zuschreibung der übrigen 14 Werke basiert auf stilistischen und anderen Kriterien, wobei sich E. stark an die Zuschreibungen anderer, besonders von Schaefer 1917 und Mesquita 1941, hält. Die Abschreibungen (171-179) bestehen, soweit mir das überprüfbar, allesamt zu recht. Der Vf. hätte nun zeigen müssen, was das gesicherte Werk des Meisters HK auszeichnet, und von daher die Zuschreibungen begründen müssen. Das ist nur in geringem Maße geschehen, gleichwohl erscheinen alle Nummern des Katalogs unter dem Namen des Hans Kemmer. Dabei fällt es oft schwer, die Zuschreibungen nachzuvollziehen.

Vieles, was als Eigenart Kemmers geschildert wird, entpuppt sich als allgemein dem Zeitalter zugehörig. In den beiden Ehebrecherin-Bildern von 1525 und 1530 (signiert) ist kaum die gleiche Hand zu erkennen (Nr. 5. 6), und so stellt auch E. stilistische und kompositorische Unterschiede heraus (101 f.). Die beiden (gleichzeitig datierten) Gesetz-Gnade-Kompositionen (Nr. 14. 15) weisen doch erhebliche Unterschiede schon in der Auffassung von Raum und Fläche auf. Die Budapester Tafel ist geradezu von einem horror vacui geprägt, der die Fläche gleichmäßig füllt. Auf der Regensburger Tafel sind Gruppen zusammengefaßt, zwischen denen kaum gegliederte Landschaft Leerräume schafft. Immer wieder muß E. für Kemmer wechselnden Stil und schwankende Qualität annehmen (149 u. ö.).

An religiösen Themen erscheinen auf den mit HK signierten Werken Salome, die Ehebrecherin, der Salvator, der Gnadenstuhl, Kruzifixus und Ecce homo. Dazu kommen aus den Zuschreibungen Maria, Heilige, Passionsszenen, Adam und Eva,Gesetz und Gnade, Taufe Christi und Predigt Johannes des Täufers.

Bei einem evangelischen Maler alles evangelisch zu deuten, ist ein unfehlbares Prinzip. Aber Luther- und Bibelzitate allein tun’s nicht. Es bedarf zusätzlicher Kriterien, daß eine bestimmte Aussage auf einem bestimmten Denkmal gemeint ist. Und es bleibt zu fragen, ob nicht vieles einfach weiterläuft. Man hätte gern deutlicher gewußt, was in dieser Zeit neu, und was davon evangelisch ist, was der in dieser Hinsicht gewiß schöpferischen Cranach-Werkstatt und was speziell Kemmer zugehört. Ist die Predigt Johannes des Täufers ein Modethema oder ein evangelisches Bildargument? Oder wird ein Modethema für die evangelische Aussage benutzt? Die Darstellung der Ehebrecherin ist älter, scheint aber doch im evangelischen Kontext eine besondere Bedeutung zu haben. Wenn E. das Evangelische in der Halbfigurigkeit und der Brüstung sieht (99), dann ist das Problem gewiß zu eng gefaßt. Die Brüstung (und die durch sie bedingte Halbfigurigkeit) ist (wie die Wandöffnung, "Fenster", überhaupt) ein allgemeines Mittel jener Zeit, Bildraum und realen Raum miteinander in Beziehung zu setzen, das bei Madonnenbildern ebenso wie bei Porträts angewandt wird.

Der Olavsaltar von 1522-24 ist ein rein "katholisches" Auftragswerk. Einer Altarstiftung folgt die Stiftung eines Retabels, dessen Themen die heilige Sippe, Heiligengestalten und eine Kreuzabnahme sind. Die Logik, daß die Kreuzabnahme eigentlich als Fronleichnamsthema gemeint sei, das eigentliche Fronleichsnamsthema aber die Gregorsmesse sei, so daß das Ersetzen dieses katholischen Themas durch die biblische Kreuzabnahme evangelisch motiviert sei, wobei mit Luther-Texten argumentiert wird, die gegen Fronleichnamsvorstellung gerichtet sind, ist mir unverständlich geblieben. Der "katholische" Charakter würde nur unterstrichen, wäre die Kreuzabnahme als Fronleichnamsthema gemeint. Aber gerade dies ist nur eine Vermutung. Und wenn dann noch mit der Lehrlingszeit Kemmers in Wittenberg argumentiert wird, wird eine weitere Hypothese zum Beweis herangezogen. Nur erwähnt sei, daß auch die Heiligengestalten evangelische Deutung erfahren. Bei unvoreingenommener Betrachtung hat Kemmer nur ausgeführt, was ihm aufgetragen wurde. Weder am Auftrag noch an der Ausführung zwingt irgend etwas, das Werk nicht im Sinne herkömmlicher Frömmigkeit zu verstehen. Die Frage ist deswegen so wichtig, weil wir andernfalls hier eine der frühesten Äußerungen evangelischer Kunst überhaupt vor uns hätten.

Das Problem des Porträts ist eine ebenso wichtige wie leidige Frage. Gerade das späte 15. und frühe 16. Jh. hat die im 15. Jh. erschlossenen Möglichkeiten ähnlicher Darstellung von Personen genutzt, sie in mannigfacher Weise in das Heilsbild einzubringen. Aber die Kunstwissenschaft besitzt kaum praktikable Kriterien, die mögliche Identifikationen beträfen. Natürlich sind dem Künstler bei dem Versuch, die Personen einer Gruppe individuell wiederzugeben, auch Kopftypen und Gesichtszüge untergekommen, die ihm geläufig waren, vielleicht aus eigenem Porträtieren. Etwas ganz anderes ist es, wenn Personen als solche (etwa in der Funktion von Stiftern, von Verstorbenen auf Epitaphien, als Bekenner im religiös gefärbten Porträt) in Erscheinung treten. Und noch etwas anderes ist es, wenn sie sich als sogenannte Assistenzfiguren ins Bild einbringen, wie etwa Kardinal Albrecht als assistierender Kardinal bei der Messe Papst Gregors. Aber ich vermag nicht im Ehebrecherin-Bild unter den steinigenden Juden Bugenhagen zu entdecken (104f.), noch könnte ich mir vorstellen, was er dort zu suchen hätte.

Daß auch sonst subjektiv beliebige Assoziationen als Ergebnisse ausgegeben werden, sei nur angemerkt. Meines Erachtens muß die Frühgeschichte evangelischer Bildkunst unter strengeren Maßstäben neu geschrieben werden.