Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | Februar/1998 |
Spalte: | 171 f |
Kategorie: | Kirchengeschichte: Reformationszeit |
Autor/Hrsg.: | Smith, Ralph F. |
Titel/Untertitel: | Luther, Ministry and Ordination Rites in the Early Reformation Church. |
Verlag: | New York-Washington-Bern-Frankfurt/M.-Berlin-Vienna-Paris: Lang 1996. XI, 292 S. 8° = Renaissance and Baroque Studies and Texts, 15. Pp. DM 83,. ISBN 0-8204-2572-9. |
Rezensent: | Hans-Martin Kirn |
Ralph F. Smith, bis zu seinem tragischen Tod Associate Professor für Theologie am Wartburg Theological Seminary (USA), widmet sich in der vorliegenden liturgiehistorischen und -theologischen Studie der Entwicklung der reformatorischen Ordinationspraxis zwischen 1525 und 1580. Im Gegensatz zur gängigen, vom lutherischen Amtsbegriff her primär theologisch motivierten Betonung des Bruches mit der mittelalterlichen Tradition des Weihepriestertums führt die Analyse der sich entwickelnden Ordinationsformulare zur Beobachtung einer grundsätzlichen Kontinuität in Funktion und Intention zentraler Einzelelemente wie des gesamten Ordinationsaktes. Die faktischen Veränderungen, die sich auf der Ebene des Liturgischen ergeben, sind Smith zufolge gradueller, nicht substantieller Art. Dabei wird im Rahmen liturgischer Theologie die Liturgie gilt als Gegenstand wie Quelle von Theologie eine konfessionsübergreifende Einheitsperspektive verfolgt, die dem aktuellen ökumenischen Dialog in der Ämterfrage weiterhelfen soll.
Die Studie beginnt mit einem Übersichtskapitel zur geschichtlichen Gesamtentwicklung der Ordinationsformulare in den Kirchen des Westens, endend mit einer Analyse des Pontifikale von Wilhelm Durandus (Speculator, gest. 1296), das als Referenzmodell für die Beurteilung der evangelischen Ordinationsformulare vorgestellt wird (vom Hauptwerk des Durandus, dem vielfach verbreiteten Rationale, ist nicht die Rede).
Ein zweites Kapitel widmet sich Luthers Amts- und Ordinationsverständnis im theologischen und liturgischen Kontext. Statt wie die ältere und neuere Forschung (Paul Drews, Frieder Schulz) das etwa im Vergleich zum Taufbüchlein von 1523 Innovative der Lutherschen Ordinationsformulare (1535/1539) herauszustreichen, wird gerade in der angestrebten apostolischen Urform eine grundlegende Verpflichtung gegenüber der Tradition gesehen: "Reinigung" im Interesse einer Rückgewinnung ursprünglicher Intention und formale Reduzierung der liturgischen Komplexität stehen im Vordergrund. Der in Wahrheit innovativen theologischen Neubegründung des Amtes ("Theorie") steht somit eine eher konservative liturgische Praxis gegenüber. Dabei scheint Luther im theologischen Disput und in der liturgischen Reform geradezu mit gespaltener Zunge zu sprechen, eine kaum befriedigende Lösung des Problems innerer Spannungen.
Kapitel 3 verfolgt die Entwicklung der reformatorischen Ordinationsformulare in der Zeit des Übergangs zwischen 1525 und 1535. Grundlage sind die Homberger Kirchenordnung für Hessen von 1526, die von Bugenhagen entworfene Hamburger Kirchenordnung von 1529 sowie Luthers Ordinationsformular, das nun in seinen verschiedenen Fassungen und in den Einzelelementen analysiert wird. Die frühen Unterschiede zwischen Bugenhagen und Luther kommen gut zum Ausdruck.
Das vierte Kapitel setzt die Analyse von Ordinationsformularen zwischen den von Konsensfindung geprägten Jahren 1535 und 1570 fort. Vorgestellt werden Luthers Ordination von Nikolaus von Amsdorf zum Bischof von Naumburg 1542, die Bugenhagenschen Entwürfe für Wolfenbüttel (1543) und Hildesheim (1544), die nunmehr im wesentlichen Luthers Ordnung von 1535/1539 folgen, aber noch die Abneigung gegen die in Wittenberg zentral vorgenommene Ordination zeigen. Weiter kommen die Württemberger Formulare von 1547 und 1559, die Hessischen der Kirchenordnung von 1566 und die Wolfenbütteler von 1569 zur Sprache. Dabei wird eigens auf die maßgeblichen Differenzen zwischen Wittenberg, Hessen und Württemberg eingegangen und auch die Problematik der liturgischen Verdunkelung der Unterscheidung von Ordination und Investitur angesprochen.
Das Schlußkapitel beschreibt mit der Hessischen Agenda von 1574 und den Regelungen im albertinischen Sachsen von 1580 die vorläufigen Endpunkte der Entwicklung. Gerade Hessen zeigt die verbliebenen Unklarheiten in der Ämterfrage, so im Blick auf das Diakonat. Andere Formen der Kontinuität tauchen auf, wenn etwa die Verpflichtung auf die Bekenntnisschriften an die Stelle der alten Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber dem Bischof tritt. Von Interesse sind noch thematische Erörterungen, so die Frage nach der Zahl der "Modelle" der Ordination, die sich im Zeitalter der Reformation herausbildeten. Anders als Frieder Schulz, der (durchaus differenziert) Wittenberg, Hessen und Württemberg als je eigenen Typus betrachtet, relativiert S. die Differenzen zwischen den beiden letzteren und plädiert für zwei Grundtypen. Faktisch bleibt nur die Differenz zwischen dem Typus der zentralen, vom Wirkungsort gelösten Ordination wie in Wittenberg und der lokalen, die sich mit der Investitur trifft was wiederum die alte Unterscheidung von absoluter und relativer Ordination fortführt. Der Grund: Als konstitutiv für die evangelische Ordinationspraxis gilt nur die aktive Beteiligung der (Laien-)Gemeinde (in Gebet und Gesang), die sich bei absoluter und relativer Ordination anders bemißt, nicht aber das Vorkommen bestimmter Elemente des Ritus selbst. Die Beteiligung der Gemeinde aber gehört zu den Grundintentionen des Ordinationsritus von Anfang an. Am Ende gilt: Die Reformatoren entdecken den liturgischen Kernpunkt von Ordination und Investitur, die Gemeindebeteiligung, neu, ohne den gesamtkirchlichen Aspekt der Ordination zu verlieren. Nur wo dieser in Frage steht, so wird man schließen dürfen, kann nach S. mit Recht von einem Bruch mit der Tradition gesprochen werden.
Der Anhang bietet zentrale Texte zur Ordinationsfrage aus dem Mittelalter (lat.-engl. Übers.), die Hamburger Kirchenordnung von 1529 sowie einschlägige Abschnitte zu Hessen und Württemberg (engl. Übers.). Eine leider in fast jeder Hinsicht unbekümmerte, von vielen Druckfehlern und Auslassungen entstellte Bibliographie und ein Index schließen den Band.
Insgesamt handelt es sich um eine brauchbare Einführung in die reformatorische Ordinationspraxis. Die Stärke der Studie liegt weniger im Bereich eigenständiger Quelleninterpretation und Analyse als vielmehr darin, daß sie die Debatte um Kontinuität und Diskontinuität zwischen (Spät-)Mittelalter und Reformation anhand einer wichtigen Fragestellung perspektivisch bereichert. Wie der anvisierte Prozeß des "cultural-ritual dialogue" (4) in Aufnahme, aber auch Überbietung des bislang stark rubrizistisch orientierten liturgiehistorischen Denkens näher beschrieben werden soll, bleibt Aufgabe künftiger Forschung.
In jedem Fall verdient die Liturgie als eigene Sprachform im gesamtgesellschaftlichen Kontext mehr Aufmerksamkeit. Dazu gehört freilich auch die Auswertung der bei S. nicht berücksichtigten Gattung der Ordinationszeugnisse.
Für die neuere deutschsprachige Forschung ist besonders auf die ebenfalls ökumenischen Interessen verpflichtete Arbeit von Otto Mittermeier, Evangelische Ordination im 16. Jahrhundert ... (MThS.S 50), St. Ottilien 1994, hinzuweisen, die sich vor allem durch eine übersichtliche Aufarbeitung des Materials und eine ausführliche Quellendarbietung empfiehlt.