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Ausgabe:

Februar/1998

Spalte:

149–151

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hvalvik, Reidar

Titel/Untertitel:

The Struggle for Scripture and Covenant. The Purpose of the Epistle of Barnabas and Jewish-Christian Competition in the Second Century.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1996. XIII, 415 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 82. Kart. DM 118,­. ISBN 3-16-146534-2.

Rezensent:

Gottfried Schille

Das als Nr. 82 der 2. Reihe in die Wissenschaftlichen Untersuchungen zum NT aufgenommene Werk ist die "slightly revised" (VII) Dissertation des Autors an der Norwegian Lutheran School of Theology von 1994, betreut von Oskar Skarsaune. Hat sich die ältere Diskussion um den Barnabasbrief besonders dem Nachweis der in diesen aufgenommenen dissonanten Traditionen gewidmet, so steht seit Ende der 50er Jahre die Frage nach einer übergreifenden Einheitlichkeit an, die man in der Verfolgung eines lehrhaften Themenkreises oder aus der Notwendigkeit einer aktuellen Fragestellung begründet sehen kann. Dabei schließen sich die älteren und die jüngeren Erkenntnisse nicht unbedingt aus. H. sieht die Einheit des Schreibens in einem deutlichen und durch den ganzen Brief gehenden Affront gegen das Judentum gegeben: "He seeks to show that only the Christians are able to understand the intented meaning of the texts this indicates that the Jews have totally misinterpreted and misunderstood God’s commandments; consequently their religious observance is quite in opposition to God’s will" (323).

In Part One: Introduction ( 1-55) werden die üblichen Einleitungsfragen besprochen, ohne daß nennenswerte neue Erkenntnisse gewonnen werden. Was A. Ehrhard 1894 über Verfasser, Abfassungsort, Zeit, Leser usw. schrieb, wird im wesentlichen bestätigt: so gut wie alles bleibt unsicher. Der Brief ist nicht im Blick auf die jüdische Hoffnung geschrieben, der im Jüdischen Krieg zerstörte Tempel könne wieder aufgebaut werden. Einzig gesichert ist die Entstehungszeit im ersten Drittel des 2. Jh.s und die Frontstellung gegen das Judentum, dessen Anziehungskraft auf Christen der Barn zu zerstören versucht.

In Part Two: The Purpose of Barnabas ( 57-211) untersucht H. zunächst die meistverwendeten Vokabeln und deren semantische Felder, sodann den literarischen Charakter. Es handelt sich um einen Brief mit konventionellen Merkmalen (75), "though it has some formal affinity to preaching/teaching" (81). Präziser: "the autor wants to warn his readers against becoming like Jews" (90). Das setzt nicht nur ein gedachtes Judentum im Umfeld voraus, sondern die aktuelle Bedrohung durch jüdische law observance (97). Daß außerhalb der christlichen Gemeinden "Judaism existed as a living religion" löst innergemeindliche Debatten aus, auf die der Brief eingeht (98). Die mehr systematischen Ausführungen im ersten Briefteil und die ethischen Weisungen der Zwei-Wege-Lehre Barn 18-20 verfolgen den gleichen Zweck: "He will demonstrate the superiority of Christianity over against Judaism" (101). Die Untersuchung der Schriftzitate und deren Einführungsformeln (105 ff.) belegt deren autoritativen Charakter, jedoch nicht im historischen Schriftsinn, sondern in Abweisung der vom Menschen gemachten Frömmigkeit zugunsten der von Gott gemachten. So wird Barn 16 eben nicht auf die erhoffte Wiedererrichtung des Jerusalemer Tempels geblickt (all these rites and institutions were man-made), sondern auf die in der Taufe erfolgte Erneuerung, die die Christen zum geistlichen Tempel gemacht hat (128). Der Brief im ganzen möchte "a correct understanding of scripture" sein. Das dient dem frontalen Angriff auf das Judentum, der Unterminierung "everything which is important to the Jews: their scripture, their history, their religious rites and institutions" (132). Das gesamte Judentum erscheint als "man-made and thus in antagonism to what God has commandet" (134).

Entsprechend verwendet Barn die Worte "unsere" bzw. "ihre": "the Church did not take over the place and status of the Jews, but they got the place meant for the Jewish people" (147). Barn vertritt damit eine radikale Lösung der Frage nach dem rechten Volk Gottes. Die Juden werden sowohl ihrer Schriften als auch ihres Bundes beraubt (157). H. bestimmt den Barn nun stilistisch als Protreptikos logos (Mahnrede) (158 ff.). Der Brief ist nicht an Außenstehende oder gar an Juden geschrieben. Er ist vielmehr in einer Situation verfaßt, in welcher das Judentum als mögliche Gefahr erscheinen konnte (163 f.). In einem Schlußteil, den man auch als selbständige Einheit verstehen kann, geht H. den Brief im ganzen durch (166 ff.). Barn erscheint im Licht der erkannten Frontstellung als eine literarische Einheit, als "more than a collection of various traditional materials" (203). Einzig die Christen "are able to understand the Scriptures in a correct way". Das ist der Sinn der Zwei-Wege. Die Juden folgen dem Weg in den Tod!

Part Three: Judaism as a Challenge to the Early Church (213-321) sucht den Nachweis, daß das Judentum noch bis ins vierte Jahrhundert hinein ein ernstzunehmender Konkurrent des Christentums gewesen sei. Nach einem Hinweis auf die Unterschiedlichkeit innerhalb des Judentums (214) geht H. auf die Konkurrenzsituation der geschwisterlichen Minderheiten Judentum und Kirche im Römischen Reich ein. So sehr man von Glaubensstreit reden könne, so sei doch eine allgemeine Ausstoßung der Christen durch die Juden kaum gesichert (236 ff. mit Blick auf das Achtzehnbittengebet, dessen Sektierer- Fluch keineswegs immer als Kampfansage gegen die Christen verstanden worden sei). Man dürfe hier nicht generalisieren (247). Der den Streit auslösende Faktor sei in der Missionspraxis zu suchen. Vor anderem sei es um den Gewinn der Einflußreichen gegangen, die als Sponsoren und Patrone nützlich waren (267). Dabei sieht H. das Judentum als "Missionary" Religion (268 Titel). Das heißt natürlich nicht, daß sie eine reguläre "Sendung" gekannt hätten. H. hilft sich mit einer Definition von Mission (den Begriff gebe es erst seit 1558: 269) im religionsphänomenologischen Sinn (270), ohne zu bedenken, daß dies nun erst recht modernisierend ist. Seine Definition erlaubt ihm, den christlichen Anfängen das Moment der Sendung abzusprechen, Paulus als Beispiel einer auch bei Juden möglichen Selbstinstallation zu deuten und so gut wie alles Missionarische aus dem Judentum abzuleiten. So aussagekräftig das herangezogene Material für das 2. bis 4. Jh. sein mag, auf diese Weise wird der unerhörte und explosive Anfangserfolg der Christenheit historisch unverständlich.

Nimmt man hinzu, wie einfach H. die Act paraphrasiert, als gebe es da keine Dissonanz zwischen deren Traditionen (die höchstens ausnahmsweise von einer Predigt in der Synagoge wissen) und der Rahmenthese des Lukas, so liest sich bei H. vieles wie eine Legende: "If it has, it shows at least that missionary work among Gentiles was seen as a possibility among Palestinian Jews in the first century" (295). Ein Blick in das Literaturverzeichnis (343-382) erklärt vieles. Die neuere mitteleuropäische Literatur zum Thema Soziologie und Mission fehlt so gut wie ganz. Hier wird einmal mehr der Anfang von den Kirchenvätern her interpretiert, aber ohne daß deren Behauptung, die weltweite Verkündigung sei von den Aposteln besorgt worden, ernstgenommen wird. In der Tat hat H. die Vokabel "Apostel" anscheinend glatt übersehen! Daß das Judentum über das Debakel des Jüdischen Krieges und des Bar-Kochba-Aufstandes hinweg werbekräftig geblieben ist, weil es eine weltweite Größe darstellte, die man gar nicht überall unterdrücken konnte, und weil es im Monotheismus eine selbst vom Hellenismus nicht übertroffene Einsicht zur Voraussetzung hatte, bleibt unberührt. Hier hätte man sich eine viel vorsichtiger auf die sehr unterschiedlichen Bewertungen des Judentums eingehende Befragung der Quellen gewünscht.

Kurz: Dieser Teil fällt dem Vorangehenden gegenüber in mancherlei Hinsicht ab, und sein Ergebnis wirkt keineswegs überzeugend: "the hostility seems to be the consequence of a ’missionary competition’ between Jews and Christians" (319). Denn genau dies, daß sich die Überzeugungskraft des Judentums, ähnlich wie im Christentum, in einer Art Mission ein Werkzeug geschaffen hatte, darf man weiterhin füglich bezweifeln.

Mit einer Conclusion (Part Four, 323-331), einem Appendix zu den Schriftbelegen (333-341) und Registern schließt der Band, dessen Hauptteil man sich gern zustimmend anschließen wird.