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Ausgabe:

Februar/1998

Spalte:

139–144

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Mayer-Schärtel, Bärbel

Titel/Untertitel:

Das Frauenbild des Josephus. Eine sozialgeschichtliche und kulturanthropologische Untersuchung.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1995. 400 S. gr.8°. Pp. DM 98.­. ISBN 3-17-013913-4.

Rezensent:

Oda Wischmeyer

In den letzten Jahren ist im Rahmen der Ausweitung und Intensivierung der wissenschaftlichen Studien zum Frühen Judentum eine Reihe von Spezialmonographien sowie zusammenfassenden Darstellungen zu dem Thema "Frauen im Frühen Judentum" erschienen, so G. Mayer, Die jüdische Frau in der hellenistischrömischen Antike, 1987 (beachte die Tabellen zum Sterbealter 93 f. und zur Prosopographie 103-127); L. J. Archer, Her price is beyond rubies: the Jewish Woman in Greco-Roman Palestine, JSOT Suppl. 60, Sheffield 1990; A. Levine [Hrsg.], "Women Like This", New Perspectives on Jewish Women in the Greco-Roman World, SBL, Early Judaism and its Literature, Atlanta, Georgia, 1991 (erscheint nicht als eigener Titel im Literaturverzeichnis, sondern nur als Sammelband unter C. V. Camp). G. Mayer und L. Archer haben unabhängig voneinander die soziale und juristische Lage der jüdischen Frauen untersucht (beachte auch die Appendices bei Archer: den Text der Ehe- und Scheidungsdokumente aus Murabbat und Texte topischer Frauenbeschreibungen aus der antiken jüdischen Literatur). Die Beiträge in dem Sammelband von A. Levine sind zum Teil der cultural anthropology verpflichtet (so der wichtige Aufsatz von C. V. Camp, a. a. O 1-40). Die Interessen dieser und vieler anderer Beiträge sind zum Teil sozialgeschichtlicher Art. Weiter spielen die anthropologische honor-shame Fragestellung (dazu Heft 68 der Zeitschrift Semeia: Honor and Shame in the World of the Bible, 1994) und spezifisch feministische Ansätze eine Rolle (so z. B. Levine; Ph. Trible, Gott und Sexualität im AT, 1993 u. a.; grundlegend war u. a. die Forderung von E. Schüssler Fiorenza, In Memory of Her, New York 1985, Zu ihrem Gedächtnis, 1988, nach feministischer Exegese für den Bereich des antiken Judentums).

Inzwischen liegt nun auch eine Reihe von Einzelstudien zum Frauenbild frühjüdischer Schriftsteller und Texte vor (vgl. M.-Sch. 20). Eine eingehende Untersuchung zu Josephus fehlte. Diese Untersuchung hat Bärbel Mayer-Schärtel geschrieben. Sie möchte hier eine "Lücke schließen" (aaO). Ihre Studie zum Frauenbild des Josephus ist im Zusammenhang der sozialgeschichtlichen und kulturanthropologischen Arbeiten von W. Stegemann (Neuendettelsau) entstanden. Die Vfn. nimmt explizit (im Untertitel) die sozialgeschichtlichen und kulturanthropologischen Fragestellungen in einem feministischen Kontext auf (14 f.). Thema ist das Frauenbild bei Josephus daher aus der spezifischen Blickrichtung feministischer Geschichtsschreibung. Leitend ist dabei (1.) das Verständnis des weiblichen und männlichen Geschlechts als "eigene soziale Kategorie" (27) und (2.) die "ideologiekritische" Lektüre des Josephus, nach der "die Texte des Josephus ... die Meinung des Verfassers über bestimmte Frauen und die von ihm vertretene Ideologie einer Geschlechterhierarchie" spiegeln (28).

Kritische Anfrage: Die Verwendung des Ideologiebegriffs bedarf doch wohl einer Klärung. Ideologie definiert sich als Ideenverbund zur Durchsetzung bestimmter Ziele. Bei Josephus scheint mir dagegen die unreflektierte Übernahme und Weitergabe konventioneller Urteile und Vorstellungen seiner Zeit im Zusammenhang mit Frauen vorzuliegen.

Auf S. 17 schärft die Vfn. ihre Perspektive: "Vor dem Hintergrund seiner [sc. des Josephus] Überzeugungen läßt sich herausarbeiten, ob und wiefern sich die im Neuen Testament zum Tragen kommenden Geschlechterbeziehungen von den herrschenden Vorstellungen abheben. Und es läßt sich dann evtl. zeigen, wo biblische Texte ’patriarchale Kultur- und Plausibilitätsstrukturen kritisch durchbrechen’" (17).

Kritische Anfrage: Wird hier nicht von vornherein Josephus der herrschenden Meinung zur Herstellung einer negativen Folie zugeordnet, von der sich dann das NT abheben kann? Sollte nicht viel präziser nach den Eigenarten des Josephus nicht vor dem Hintergrund, sondern im Kontext seiner jüdisch-hellenistisch-römischen Kultur gefragt werden? Und müßte nicht dasselbe danach auch für die neutestamentlichen Texte gelten?

Die Vfn. versteht ihre Studie letztlich als Grundlage einer neutestamentlichen Untersuchung, die im Einzelnen noch zu leisten ist, am Schluß aber schon skiziert wird (Kap. 6). S. 14 f. formuliert die Vfn. dies Interesse: Die Studie soll "den sozialen und kulturellen Hintergrund auch derjenigen Frauen ... erhellen, von denen im Neuen Testament die Rede ist" (Dazu differenzierte Ergebnisse bereits bei E. W. und W. Stegemann, Urchristliche Sozialgeschichte, 1995, 329 zu den Frauen der Jesusnachfolge und den Frauen in den städtischen Christengemeinden 338 f., 245 f.).

Die Vfn. untersucht das Frauenbild des Josephus in drei methodischen Schritten: einmal bezüglich des sozialen Status von Frauen (Kap. 2); weiter hinsichtlich der Beziehungen, in denen die Frauen lebten (Kap. 3), woraus sich eine "Auswertung der beiden Untersuchungsschritte, verbunden mit dem Vorschlag für ein Gesellschaftsmodell, das die Bedeutung der Kategorie Geschlecht integrieren könnte" (30) (Kap. 4), ergibt; schließlich folgt eine kulturanthropologische Untersuchung (Kap 5). Eine "Problemskizze" zum "Frauenbild des Josephus" und den "Frauenbildern des NT" schließt das Buch ab (Kap. 6).

1. Die Einleitung führt zunächst jeweils sehr kurz in Flavius Josephus, in die theologische Frauenforschung und in die historische Frauenforschung im Bereich der Antike ein (11-20). Die Skizzen zu den einzelnen Forschungsbereichen sind eher allgemein. Die Darstellung der Sozialgeschichte und Kulturanthropologie des NT (14) ist zu pauschal, besonders die Literaturangaben Anm. 16 f. Dies gilt in erhöhtem Maß für die Einführung in die theologische Frauenforschung. Hier wird zu einfach informiert und ’from within’ geurteilt. Setzte "die kritische" Betrachtung der biblischen Schriften erst mit der feministisch orientierten Exegese der siebziger Jahre ein (15)? Waren alttestamentliche Frauengestalten tatsächlich vorher "unbekannt" geblieben (ebd.)? Sollte wirklich erst "inzwischen" deutlich geworden sein, "daß das Neue Testament insgesamt in eine patriarchale Gesellschaft eingebettet ist" (16)? Ist Patriarchatskritik im historischen Kontext "notwendig" (16)? Woher nimmt die Vfn. die Kriterien für das Urteil, diese Kritik sei von Luise Schottroff in den Kassler Sommeruniversitäten "bereits erfolgreich beschritten" (ebd.)?

Wichtiger noch: Kann man so einfach und semantisch wenig reflektiert von einer "Ideologie" des Josephus sprechen (17)? Gerade angesichts der scharfen Kritik an dem sogenannten antijudaistischen Bild der jüdischen Frau bei älteren Forschern (18 mit Anm. 49 und 50: dort zur Kritik von Katharina von Kellenbach an Joachim Jeremias), von dem sich in unsachgemäßer Weise ein positives Bild der Frau bei Jesus und im NT abhebe, muß doch nach der eigenen Konzeption des Buches gefragt werden. Tut die Vfn. nicht gerade das selbst, was sie hier kritisiert, mit dem einzigen Unterschied, daß sie nun nicht das antike Judentum insgesamt, sondern "nur" Josephus von vornherein negativ sieht ("Josephus zeigt in seinen Schriften ... deutlich das vorherrschende Weltbild eines antiken Oberschichtmannes, zu dem auch seine Vorstellung vom Verhältnis der Geschlechter und von der Position von Frauen im Rahmen seiner Ideologie gehört", 17)?

Vollends fragwürdig sind die Ausführungen zur "Kritik an der Historiographie" (21 ff.). Hier wird Josephus einfach in den Zusammenhang einer auf die Gegenwart bezogenen Problematik objektiver bzw. interessengeleiteter Geschichtsschreibung hineingestellt, in die er als antiker Historiker nicht gehört. Daß Josephus "stark an seinen Aussageabsichten und Zielen orientiert ist" (23), ist im Rahmen antiker Historiographie selbstverständlich, lange bekannt und bei den in Anm. 76 genannten Autoren nicht im Blick. Die Kritik der sogenannten androzentrischen Geschichtsschreibung (23 ff.) hat zwei Stoßrichtungen: Einmal werden geschlechtsspezifische Wahrnehmungsweisen und Interesseleitungen der Historiker aufgedeckt, zweitens werden noch einmal speziell die antiken (männlichen) Schriftsteller kritisch beleuchtet. Mit dem Urteil "Defizit und Einseitigkeit" (26) geht die bekannte Forderung nach Frauengeschichtsforschung einher. Dem können sich männliche und weibliche "Geschichtsforschende" anschließen, sofern weder moralische noch ideologische Urteile bzw. Rahmenbedingungen impliziert sind. Die Darlegungen zur Methode der Untersuchung, vor allem die Einbeziehung des Geschlechts als "Analysekategorie" (26) sind plausibel.

2. Zur Bestimmung des sozialen Status von Frauen bei Josephus benutzt die Vfn. die bekannten Modelle von G. Lenski zur Sozialstruktur fortgeschrittener Agrargesellschaften (38) und von G. Alföldy zur "Darstellung der Stände-Schichten-Struktur der römischen Kaisergesellschaft" (39; besser: kaiserzeitlichen Gesellschaft!). Im Anschluß an Alföldy arbeitet die Vfn. mit den Kriterien: Herkunft, Macht und Einfluß, Besitz und Vermögen, Ansehen, Arbeit, persönliche Fähigkeiten und Tugenden, Bildung, Religion, Bürgerrecht/persönliche Freiheit/Rechtsposition (43), wobei sie das Alföldy-Modell, das überwiegend an der römischen Männergesellschaft gewonnen ist, spezifisch geschlechterbezogen benutzt.

Die Ergebnisse zeigen zwei Tendenzen: Ähnlichkeit und Abweichung von dem männerbezogenen Statusmodell. Der soziale Status der Frau leitet sich wesentlich von dem "der Familie, der sie entstammt, und der, in die hinein sie verheiratet ist", her. Und: "Macht und Einfluß von Frauen werden ambivalent bewertet, weil sie die Macht eines männlichen Gegenübers oder Konkurrenten beschneiden könnten" (181). Weiter: "Der eigene Beitrag einer Frau zu ihrem Ansehen ist vor allem im Bereich ihrer arete zu sehen" (ebd), die den jüdischen Frauentugenden konform ist.

Vgl. in diesem Zusammenhang die wichtige Kritik an der Natur der "Leadership" von L. Rutgers, The Jews of Late Ancient Rome. Evidence of Cultural Interaction in the Roman Diaspora, Leiden 1995, 134 f. an B. J. Brooten, Women Leaders in the Ancient Synagogues. Inscriptional Evidence and Background Issues, BJS 36, Chico, CA 1982.

3. Das Kapitel "Frauen in Beziehungen" fragt nach der "Bedeutung des Geschlechtes für den sozialen Status" (298). In der Logik der Untersuchung liegt hier eine weiterführende Differenzierung der Frage nach dem sozialen Status vor, da das weibliche Geschlecht eben eine differenzierende Bedeutung für den jeweiligen sozialen Status der Frau hat. M.-Sch. unterscheidet zwischen der Bruder-Schwester-Beziehung, der Ehe und der Beziehung zu den Kindern. Sie untersucht zunächst besonders die Aussagen des Josephus zu Salome, der Schwester des Herodes, und Berenike, der Schwester Agrippas II., zwei einflußreichen Frauen, die durchaus eine eigene, wenn auch an ihre Brüder angelehnte repräsentative, politische und gesellschaftliche Rolle spielten, dabei aber selbstverständlich trotz gleicher sozialer Ausgangsposition aufgrund der Geschlechterzugehörigkeit weniger einflußreich sind. (Dabei hat die Vfn. allerdings nicht angemerkt, daß dies natürlich auch für die jeweiligen jüngeren Brüder gilt).

Die umfangreichen Ausführungen zur Ehe (aus der Sicht der Frau) machen den Hauptteil des Kapitels aus. M.-Sch. untersucht das Heiratsalter, die Partnerwahl, Verfahren und Ablauf der Eheschließung, Formen der Ehe, die Eheideologie, die Hierarchie der Geschlechter, die Scheidung und die Wiederheirat und das Levirat.

Bei den einzelnen Themen des Kapitels stellt sich jeweils die Aufgabe, die spezifischen Aussagen des Josephus in den allgemeinen jüdischen Rahmen zu stellen und Konvergenzen und spezifische Differenzen aufzuzeigen (so z. B. programmatisch zutreffend S. 198 zur Partnerwahl).

In diesem Zusammenhang wirkt sich methodisch verunklärend aus, daß Verfasserin öfter nicht zwischen Textwelt und Lebenswelt unterscheidet. Großenteils berichtet Josephus ja nur über die Ehepraktiken der biblischen Gestalten oder der Hasmonäer und der Herodianischen Familie. Dementsprechend muß Verfasserin öfter zur Nachzeichnung eines Bildes diese Verbindungen übergehen (z. B. 210-215) und verliert die Frage nach spezifischen Darstellungszügen des Josephus aus den Augen. Es wird dann auch bereits Bekanntes zur Partnerwahl und anderen entsprechenden Punkten aus Josephus erhoben (z. B. 215 f.).

Dem stehen wichtige Ergebnisse gegenüber, die in einem differenzierten Bild von der Stellung des Josephus zur Rolle der Frau im frühjüdischen Kontext beitragen. Folgende Züge seien hier notiert:

Zu den Vorausetzungen der Eheschließung: Josephus verwendet Toravorschriften für Priesterehen ganz allgemein (198 ff.). Hier hat er anscheinend als Pharisäer das priesterliche Reinheitsdenken übernommen. Er betont des weiteren Patriarchalisierungstendenzen (202). Weiter: die Ausführungen zur Polygynie. Offiziell ist die Polygynie in Israel ja nie aufgehoben worden, obgleich sich die Monogamie im Judentum des Zweiten Tempels sicher durchgesetzt hat. Die Essener, Jesus und die neutestamentlichen Schriftsteller kennen alle nur unterschiedliche Spielarten der Einehe. Josephus hat an der Legitimität der Polygynie festgehalten (219), obgleich sie zu seiner Zeit sicher nicht mehr geübt wurde. Vgl. zuletzt N. Lewis, Judah’s Bigamy, ZPE 116, 1997, 152. Bezüglich der Scheidung schließt Josephus sich der weiteren Auslegung Hillels von Dtn 24,1 an (239). Er berichtet kritisch über die Scheidungen Salomes, Berenikes, Mariammes, Drusillas und der Herodias (242 ff.). M.-Sch. weist dazu auf die Diskussion über die Scheidungsmöglichkeit jüdischer Frauen seit B. Brooten hin (vgl. G. Mayer und M. Fander, 246 ff.). Wichtig ist auch der Hinweis darauf, daß Josephus nicht das Ideal der univira teilt, sondern die "sukzessive Mehrehe" für natürlich hält (251 f.). Dasselbe gilt für die Ächtung der Frauenschändung durch Josephus. Er selbst hat nach eigener Aussage als Feldherr alle Frauenschändungen verhindert (262). Homosexualität ächtet Josephus besonders streng von der jüdischen Tradition her und in bewußter Abgrenzung gegen die hellenistisch-römische Kultur seiner Zeit (266 ff.).

Bei dem Thema Mutterschaft ist die Berechnung der Kinderzahl der Herodianischen Großfamilie aufschlußreich (281 ff.: Die Kinderzahl ist gering, die Zahl kinderloser Frauen hoch), ohne daß dieser Umstand etwas mit dem Frauenbild des Josephus zu tun hätte. Für die Darstellung der Mutter-Sohn-Beziehung bei Josephus bedient sich M.-Sch. der einleuchtenden Analyse B. Malinas, nach der "die wichtigste verwandtschaftliche Beziehung innerhalb der Familie, die eine Ehefrau besitzen kann, diejenige zu ihrem Sohn" ist (B. Malina, Die Welt des NT, 1993, 124 f.). Die Vfn. erhebt, daß sich Josephus eng an diese Deutung anschließt (291 ff.).

Erst hier gehe ich auf Abschnitt 5 "Eheideologie" (227 ff.) ein. Es ist wohl zunächst einfach "die Sinngebung" gemeint (besonders bei der "Nachkommenschaft als Zweck der Ehe" 229 f.). Auch die interessante Zusammenstellung der Lexeme für die eheliche Liebe (231) kann kaum "ideologische" Zusammenhänge meinen. Erst auf Abschnitt 6 "Hierarchie der Geschlechter in der Ehe" (235 ff.) ließe sich unter Umständen der Begriff "Ideologie" anwenden. Aber auch hier sollte man m. E. vorsichtiger von "Theorie" (so auch 236) sprechen, da Ideologie das Element der Neuinterpretation und gezielten Veränderung von Wirklichkeit enthält, die antiken Theorien fremd ist.

In der Zusammenfassung (298 ff.) versucht die Vfn., die methodische Unschärfe der Verbindung von Textwelt und Lebenswelt durch eine Analyse der Perspektive des Josephus auszugleichen. Sie kommt zu einem nur sehr allgemeinen Fazit (308): "Das Ansehen von Frauen ist ... abhängig ... auch davon, wie sie sich gegenüber Männern verhält (sic). Nur die Anpassung an ein Weiblichkeitsideal, das die Übernahme der passiven Rolle in persönlichen Beziehungen, in Gesellschaft, Politik und Religion vorsieht, verschafft ihr Anerkennung ... Die Ideologie der Geschlechtertrennung ... verhindert, daß Frauen aktiv und direkt in gleicher Weise wie Männer an der Gestaltung ihrer sozialen Welt beteiligt waren". Dies Ergebnis erscheint zutreffend, war allerdings auch zu erwarten.

4. Die "Auswertung der Analyse" (309 ff.) holt einige Überlegungen nach, die besser an den Anfang der Untersuchung gehört hätten. Hier werden die Tendenzen (besser als "Ideologie" 309) und die allgemeinen historischen und kulturellen Rahmenbedingungen der Geschichtsschreibung des Josephus kurz angesprochen: seine Zugehörigkeit zum Römischen Reich und die männliche Perspektive antiker Geschichtsschreibung. M.-Sch. will nun die männliche Perspektive auf die antike Gesellschaft durch eine weibliche Perspektive ergänzen, wobei sie von dem Umstand ausgeht, "daß das ’Geschlecht’ als soziale Kategorie ausgesprochen große Bedeutung für den sozialen Status einer Person hat" (312). Dazu legt sie eine Alföldy modifizierende Sozialpyramide vor, die die "soziale Schichtung innerhalb der weiblichen Bevölkerung" des Römischen Rreichs darstellt (311). Die Aussagekraft des "modifizierte[n] Stände-Schichten-Modell[s] unter Einbeziehung des Faktors Geschlecht" (315) ist m. E. allerdings gering.

5. Das fünfte Kapitel verwendet nach der sozialgeschichtlichen Analyse nun kulturanthropologische Kategorien im Anschluß an das Programm von C. Geertz in der spezifischen Anwendung auf die Welt des Neuen Testaments durch B. Malina, J. H. Neyrey, u. a.: Status, Traditionalismus, Persönlichkeit und die einschlägigen zentralen Begriffspaare von Männlichkeit-Weiblichkeit, Ehre und Scham-Schande u.a. (319). Aus der Erhebung dieser Motive bei Josephus entsteht die Rekonstruktion seines "ordentlichen Weltbildes" (344 ff.) mit "biologisch begründetem Dualismus" und "Ablehnung von Grenzüberschreitungen" (345). Dies ordentliche Weltbild schlägt sich bei Josephus in einer biologischen Bestimmung des Wesens oder der Natur der Frau, die zu den klassischen antiken Geschlechterdifferenzierungen von aktiv-passiv, außen-innen, rational-emotional, rein-unrein, führen, nieder (347 ff.). In diesem Bereich teilt Josephus "die Grundüberzeugung seiner Kultur und Gesellschaft, die neben der sozialen Ungleichheit und der Aufteilung der Gesellschaft in verschiedene, hierarchisch gegliederte Schichten noch eine zweite, dazu quer verlaufende Demarkationslinie kennt: die Trennung der Geschlechter" (358ff.). Wichtig sind hier gewisse Akzente bei Josephus: so die rigoristische Bestimmung, "daß Frauen nicht als Zeuginnen vor Gericht auftreten können" (355), und die Beschneidung "weibliche[r] Eigenständigkeit" (357) biblischer Frauengestalten. Ein besonderes "Konzept der Gefährdungen" der Männer durch die Frauen hat Josephus allerdings nicht entwickelt (364).

Besondere Aufmerksamkeit verdient 5.6 "Die Frauenfeindlichkeit des Josephus", die in der Literatur schon topisch zu werden scheint (so z. B. auch bei Jesus Sirach). Die Vfn. zeigt hier an einigen ­ allerdings wenigen ­ Punkten auf, daß Josephus weniger Interesse an der gesellschaftlichen und kulturellen Rolle der Frau als andere jüdische und nichtjüdische Schriftsteller und religiöse Gruppen hatte (besonders die sehr zurückhaltende Zeichnung von Heldinnen des AT, das schon genannte Scheidungsverständnis, "Kritik an emanzipatorischen Tendenzen" hellenistisch-römischer Frauen der Oberschicht). Ob diese Züge aber ausreichen, um das ja moralisch gefärbte Urteil der Misogynie zu rechtfertigen (373), darf doch offenbleiben.

Kritische Anfrage: Handelt es sich bei dem Begriff "konservative Haltung in der Frauenfrage" nicht um eine moderne Kategorie, die für das Selbst- und Gesellschaftsverständnis des Josephus nichts austrägt? M. E. wären derartige implizit bipolare Kategorien nur sinnvoll, wenn es eine zeitgenössische jüdische Debatte über eine Frauenfrage gäbe (so z. B. in nuce in 1Kor 7 vorhanden). ­ Deutlich ist dagegen, daß Josephus sein "Frauenbild" wenig differenziert hat (376).

6. Für die neutestamentliche Wissenschaft könnte die Problemskizze zum Frauenbild des Josephus und zu den Frauenbildern des NT in Kapitel 6 wichtig sein. Allerdings kommt die Vfn. hier kaum über allgemein bekannte Aussagen hinaus, die zudem in das Schema konservativ-fortschrittlich eingezeichnet sind.

Kritische Anmerkung: M. E. könnte man für Paulus und seine Gemeinden sowie für die Deuteropaulinen durchaus solch Schema benutzen, nicht aber allgemein.

Das Spektrum reicht vom Markusevangelium, das "neue Identifikationsaspekte für Frauen" (381) enthält, bis zu der "rein konservative[n] Richtung" der Deuteropaulinen (386). ­ Vor dem Hintergrund des Markusevangeliums und einiger fortschrittlicher Frauenpassagen, die "durchaus eine egalitäre Struktur der sozialen Beziehungen" zeigen (387), ist "das Frauenbild des Josephus ... geprägt von dem Beharren auf einer ­ vermeintlich ­ von der Natur und dem göttlichen Schöpfer vorgegebenen Trennung der geschlechtsspezifischen Aufgabenbereiche und einer hierarchischen Ordnung zwischen den Geschlechtern" (387). Josephus ist ein Traditionalist. Dem wird man zustimmen.

Ergänzungen zur Literatur: S. B. Pomeroy: Goddesses, Whores, Wives and Slaves, Women in Classical Antiquity, New York 1975.

C. Vatin: Recherches sur le mariage et la condition de la femme mariée à l’époque hellénistique, Paris 1970.

F. Dexinger: Art. Frau III, TRE 11, 424-431.

N. P. Bratsiotis: Art.vyai h ŠVai in ThWAT 1, 238-252.

W. Plautz: Monogamie und Polygamie im AT, ZAW 75, 1963, 3-27.

T. Kronholm, Polygamie och monogamie i Gamle Testament, Svensk exegetic Årsbok 47, 1982, 48-92.

A.-J. Levine [Hrsg.], "Women Like This." New Perspectives on Jewish Women in the Greco-Roman World, Atlanta/Georgia 1991 (nur unter C. V. Camp und R. Sh. Kraemer zitiert).