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Ausgabe:

Februar/1998

Spalte:

137 f

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Feldman, Louis H., and John R. Levison [Eds.]

Titel/Untertitel:

Josephus’ Contra Apionem. Studies in its Character and Context with a Latin Concordance to the Portion Missing in Greek.

Verlag:

Leiden­New York­Köln: Brill 1996. X, 517 S. gr. 8° = Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums, 34. Lw. hfl 254.­. ISBN 90-04-10325-2.

Rezensent:

Wolfgang Wiefel

Blickt man auf die Josephusforschung der letzten Jahrzehnte, wie sie uns durch die vorzüglichen Bibliographien von H. Schreckenberg (Leiden 1968, Supplementband 1979) und L. H. Feldman (Berlin 1984) leicht überschaubar erschlossen ist, so ergibt sich ein auffallender Befund. Lange Zeit lag der Schwerpunkt der Arbeiten bei den Hauptwerken Antiquitates und Bellum Judaicum. Das dort gebotene Bild der politischen und religiösen Geschichte des Judentums, vor allem in dem Jahrhundert, das durch die Namen Pompeius einerseits, Titus andererseits markiert wird, regte eine Vielzahl von Studien an. In den zum Gedenken an Morton Smith veröffentlichten, von F. Parente und J. Sievers herausgegebenen Sammelband Josephus and the History of Greco-Roman Period (SPB 41, Leiden 1994) ist der aktuelle Stand dieser Bemühungen erkennbar. Daß jetzt die früher im Schatten stehende kleine apologetische Schrift Contra Apionem zum Gegenstand eines im gleichen Verlag erscheinenden Essaybands von ähnlichem Umfang gewählt wurde, bestätigt die in den Bibliographien erkennbare Erweiterung des Interesses. Parallel zur allgemeinen Erforschung des ebenso rätselhaften wie vielschichtigen Phänomens des Antisemitismus ist auch dessen Ausprägung in der antiken Welt in die Mitte des Aufmerksamkeitsfeldes der einschlägigen Forschung gerückt. Hier stellt jene Schrift, in der der alte, in Rom lebende Josephus die Sache seines Volkes gegen den alexandrinischen Judenfeind Apion verteidigt, eine Quelle ersten Ranges dar.

Die vierzehn Beiträge, zusammengestellt und ausführlich eingeleitet (3-48) von dem an der Yeschiva-University in New York wirkenden Altmeister der Josephusforschung L. H. Feldman und seinem Kollegen J. R. Levison von der Duke University in Durham, NC, sind (mit einer Ausnahme) in englischer Sprache verfaßt, wobei die Hälfte der Beiträge aus den USA, die übrigen aus Großbritannien, Kanada, Israel, Dänemark, Holland und Deutschland stammen. Als hervorragendes Forschungsinstrument erweist sich der Band durch die der Mehrzahl der Aufsätze beigegebenen Spezialbibliographien, das angefügte Register antiker Autoren und Werke, das deren Rezeption durch die Josephusschrift erschließt (424-433), sowie eine als Ergänzung zu Rengstorf-Schalit zu wertende Konkordanz, die H. Schreckenberg zur lateinischen Version von Contra Apionem 2,51-101 angefertigt hat (443-517).

Als Bezugsrahmen dieser Arbeit kann die Studie des gleichen Autors über Text, Überlieferung und Textkritik (49-82) angesehen werden, wo über die in der Überschrift angezeigte Thematik hin auch eine Antwort auf die Frage nach dem ursprünglichen Titel der Apologie versucht wird. Der Vorschlag ­ de gente nostro oder de gente Judaica ­ stellt keine Konjektur dar, sondern unternimmt eine biographisch-historische Einordnung des Werkes. "Nach der Darstellung seiner eigenen Herkunft [in der vita] wäre es eine konsequente Abrundung seiner opera, abschließend über die Herkunft des Judenvolkes zu handeln" (77). Dem literarischen Ort gilt auch der Aufsatz von P. Bilde: Contra Apionem 1,28-56: Josephus’ View of his own Work in the Context of the Jewish Canon (94-114). Hier wird in kritischer Fortführung der bekannten Studie von R. Meyer (196ff.) von den Ausführungen in der apologetischen Schrift her die Intention des Hauptwerkes Antiquitates beleuchtet: einerseits als "postprophetical" wie etwa 1Makk (110), andererseits als "genuine alternative to Greek culture and historiography" (111). Um eine andere, die philologische Seite geht es in der Untersuchung von P. W. van der Horst: The Distinctive Vocabulary of Contra Apionem (83-93), wo in Form einer Konkordanz der spezifische Wortschatz der Schrift und die Rezeption zeitgenössischer Quellen präsentiert werden, sowie in R. G. Halls stilkritischer Analyse, Josephus’ Contra Apionem and Historical Inquiry in the Roman Rhetorical Schools (229-249), mit der Herausarbeitung des dort zur Geltung kommenden Plausibilitätskriteriums ("plausible narration"). Als ein der Gattung des logos protreptikos zugehöriges Buch versucht St. Mason, An Invitation to Judean Philosophy (187-218), das Alterswerk des Josephus zu begreifen.

Vom Literarischen zum Historischen führt die Behandlung der Frage nach den Lesern der Schrift, wie sie M. Kasher in seinem Beitrag, Polemic and Apologetic Methods of Writing (143-186), stellt. Zu denken sei an Juden mit hellenistischer Erziehung, die sich in Ägypten, aber auch darüber hinaus, mit den in der Folge des Jüdischen Kriegs heftiger werdenden Angriffen auseinandersetzen müssen. Der Rekonstruktion der von Josephus polemisch angegangenen, gegen die Juden ins Feld geführten Schriften (Agatharchides, Manetho, Apion selbst) dienen die Ausführungen von L. H. Feldman, Reading between the Lines (250-269).

Dem Inhalt von Contra Apionem entspricht es, daß eine Anzahl von Beiträgen der religiösen Thematik im engeren Sinne gelten. A. J. Droge stellt die Rolle des im orientalisch-ägyptischen Kontext zu wertenden Altersbeweises für das Judentum heraus, der angesichts des Fehlens der Juden in der klassischen Historiographie (etwa bei Herodot) von besonderem Gewicht war: Josephus between Greeks and Barbarians (115-142). Eine ganze Folge von Aufsätzen behandelt den Vorwurf der Eselsverehrung im Jerusalemer Tempel, der zu den zentralen Topoi antiker antisemitischer Polemik geworden ist und im ägyptischen Raum seinen Ursprung hat: J.-W. van Henten und R. Abusch, The Jews as Thyphonians and Josephus’ Strategy of Refutation (271-309); B. Bar-Kochva, An Ass in the Jerusalem Temple ­ The Origins and Development of the Sklander (310-326) und R. Bauckham, Josephus’ Account of the Temple in Contra Apionem 2,102-109 (327-347).

Den sachgerechten Abschluß bildet M. E. Hardwick mit seiner Untersuchung Contra Apionem and Christian Apologetics (369-402). Die geläufige Erkenntnis, daß der von den Juden verschmähte Josephus zum Modell für die christlichen apologetischen Schriften werden konnte (370), führt zur Frage, wer von den altchristlichen Autoren von Contra Apionem Gebrauch gemacht hat. Es werden genannt: Theophilos von Antiochien, Origenes (von Feldman nachgewiesen!), Eusebius (in der Praeparatio); eine Kenntnis bei (Ps)Justin und Tertullian ist wahrscheinlich, aber nicht beweisbar. Der von Josephus geführte Altersbeweis war im Ringen der Christen mit der antiken Kultur wichtig. Er verschwand (und mit ihm das Interesse für diese Schrift) mit dem Sieg des Christentums. Die Beziehung zur Patristik ist nicht minder signifikant wie die Nicht-Geschichte im Bereich des klassischen Judentums. Der Blick auf die Überlieferungsgeschichte mag das zugespitzte Urteil bestätigen: Josephus gehört (wie Philo) mehr der altchristlichen als der jüdischen Literaturgeschichte an.

Die Widmung des Sammelbands gilt Martin und Marianne Hengel. Über den persönlichen Dank der Herausgeber hinaus dürfte darin die Reverenz eines weltweiten Forscherkreises an Tübingen zum Ausdruck kommen. Hier wurde seit den Tagen Adolf Schlatters gegenüber einem zeitweise dominierenden spekulativen Geschichtsbild daran festgehalten, daß Josephus noch vor dem frührabbinischen und intertestamentarischen Schrifttum die Bausteine bereitstellt, die für den noch unabgeschlossenen Bau einer kritischen Geschichte des neutestamentlichen Zeitalters gebraucht werden.