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Ausgabe:

Februar/1998

Spalte:

134–136

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

C. Colbe u. J. Holzhausen

Titel/Untertitel:

Das Corpus Hermeticum Deutsch. Übersetzung, Darstellung, Kommentierung in drei Teilen. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften bearb. u. hrsg. von C. Colpe u. J. Holzhausen. 1: Die griechischen Traktate und der lateinische ’Asclepius’, übers. u. eingel. von J. Holzhausen. 2: Exzerpte, Nag-Hammadi-Texte, Testimonien, übers. u. eingel. von J. Holzhausen.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1997. XIII, 316 S. u. VIII, S. 317-665 8° = Clavis Pansophiae, 7, 1+2. ISBN 3-7728-1530-8 u. 3-7728-1531-6.

Rezensent:

Hans-Martin Schenke

Der lange gehegte Wunsch einer ziemlich breiten wissenschaftlichen Öffentlichkeit ist endlich in Erfüllung gegangen: Die bislang so sehr vermißte deutsche Gesamtübersetzung der hermetischen Texte ist nun endlich da! Sie stammt aus dem Kreis, der sich um Carsten Colpe an der Freien Universität Berlin gebildet hat und dort "blüht". Und das Unternehmen hat hier in Berlin auch eine nicht zu kurze und auch wohl recht komplizierte Vorgeschichte. Irgendwie war nach meiner Erinnerung auch Karl-Wolfgang Tröger von der Humboldt-Universität, wenigstens eine zeitlang, daran beteiligt; und dessen Engagement in dieser Sache dürfte wiederum ein Vermächtnis seiner Lehrerin in Philosophie und Religionsgeschichte, Liselotte Richter, sein. Solche Einzelheiten der Vorgeschichte erfährt man freilich vorerst noch gar nicht. Denn sie sind dem dritten, noch ausstehenden Teil vorbehalten, den Carsten Colpe selbst schreiben will. (Vgl. die Andeutung in [Teil 1] XII3: "Eine Rohübersetzung der ersten zehn Traktate lag von Carsten Colpe vor. Im Vorwort zum dritten Teil wird Carsten Colpe über die Entstehung des Projekts und seinen eigenen Anteil daran Auskunft geben").

Dieser dritte Teil soll ja nun auch noch die Einleitung zu dem ganzen Werk nachreichen. Das heißt, die uns jetzt zum Gebrauch überlassenen zwei Bände sind gewissermaßen "ohne Kopf" auf die Welt gekommen. Der entscheidende Passus im Vorwort zu Teil 1, der das zu erklären versucht, lautet folgendermaßen: "Auf eine Gesamteinleitung im ersten Teil konnte verzichtet werden, da die Sachdarstellung im dritten Teil zugleich die Aufgaben einer Einleitung in das gesamte Werk erfüllt. Dieser Teil enthält auch weitere religionsgeschichtliche Kommentierungen zu den einzelnen hermetischen Texten. Der Autor des dritten Teiles wird Carsten Colpe sein" (XII). Etwas schade ist es aber schon, daß der Benutzer nun "kopfüber" in die Sache selbst hineingestoßen wird, vor allem ohne zu erfahren, wie das Bearbeiter-Team denn nun die durchaus problematische "hermetische Frage" ("Hermetik": Was ist das eigentlich?) heute sieht.

Der "Macher" der real vorliegenden zwei Teile bzw. die treibende Kraft, die hinter ihnen steht, ist jedenfalls der Altphilologe Jens Holzhausen, auch wenn die Angabe der Autorschaft des zweiten Teils noch ein wenig im Lichte eines weiteren Satzes aus dem Vorwort von Teil 1 zu modifizieren ist, der da lautet: "Die Übersetzung und Einleitungen der Testimonien im zweiten Teil stammen von Herrn Vikar Andreas Löw" (XII). Im nächsten Satz des Vorworts erfährt man dann auch gleich noch, wer eigentlich der Autor des schönen, sehr instruktiven und detaillierten Registers ist, mit dem der zweite Band schließt (601-641), nämlich cand. phil. Tobias Perlick. Dies Register bezieht sich nur auf die übersetzten Texte selbst, gibt ihre Stellen nach den originalen Einteilungen an und erfüllt überhaupt in glücklicher Weise etwa denselben Zweck wie der rein sprachliche Index einer Textausgabe. Es folgt dem Register nur noch ein, ebenfalls ausführliches, Literaturverzeichnis (643-665).

Meines Erachtens haben Holzhausen in der Hauptsache, aber auch Löw und Perlick ihre Sache sehr gut gemacht. Das ganz Besondere dieser sowieso schon vorzüglich gelungenen Übersetzung besteht in einer ganz neuartigen Vollständigkeit. Denn es werden nicht nur die Texte der klassischen griechisch (bzw. lateinisch)-französischen Ausgabe von Nock-Festugière berücksichtigt, sondern auch alle nach deren Erscheinungszeit (1945 bzw. 1954) entdeckten Hermetica kleineren oder größeren Umfangs gleichrangig einbezogen, insbesondere natürlich die drei hermetischen Nag Hammadi-Texte (NHC VI, 6.7.8). Einer der schönsten hermetischen Texte, nämlich ein bestimmtes Dankgebet, erscheint im ganzen nun nicht nur zweimal, nämlich als Schlußstück des Asclepius (314-316) und als NHC VI, 7 (535-537), sondern dreimal, weil auch die Version aus dem Papyrus Mimaut gleichberechtigt unter die Übersetzungen aufgenommen worden ist (537 f.). Mir erscheint aber neben dem sowieso unübersehbaren Zuwachs durch den Nag Hammadi-Fund auch die Einwirkung des etwa gleichzeitigen Tura-Fundes als hervorhebenswert, wie sie sich bei der Behandlung der Testimonien des Didymus von Alexandrien bzw. eben bei (nunmehr) Ps-Didymus findet (587 f. bzw. 589).

Beeindruckend und ein besonderes Wort verdienend ist (wiederum) die Sorgfalt, ja Meisterschaft Holzhausens in der philologischen Detailarbeit, die mir nicht nur aus dem persönlichen Umgang vertraut ist, sondern auch schon anläßlich einer Rezension der Druckfassung seiner Dissertation hervorzuheben war (vgl. ThLZ 122, 1997, 234-236). Dieses Können zeigt sich nun in erster Linie in den Anmerkungen zur Übersetzung, wo er sich textkritisch mit den varia lectiones oder den so oft nötigen Konjekturen seiner Vorgänger auseinandersetzt. Die griechischen Wörter, Phrasen oder Texte, die da in der jeweiligen Kurzdiskussion eine Rolle spielen, sind von solcher Korrektheit, wie ich sie selten gesehen habe. Daß bei den koptischen Wörtern oder Textstücken im zweiten Teil die Markierung der Buchstaben als unsicher durch Unterpunktierung völlig fehlt, kenne ich schon aus den Vorarbeiten und liegt wohl einzig und allein daran, daß das ursprünglich benutzte Computerprogramm die entsprechende Möglichkeit nicht bot.

Der sachlichen Kommentierung der Einzeltexte dienen die jeweiligen, zum Teil sehr langen Einleitungen. Übrigens richtet sich ihre Länge in etwa nach der Länge der betreffenden Texte. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß für diese Einleitungen das "literarische" Genus der Inhaltsangabe das hervorstechende Merkmal ist. Und damit ist auch schon eine kleine Anfrage gegeben, die ich dennoch an dieses verdienstvolle und hervorragende Werk habe. Mir persönlich kommt es nämlich so vor, als wäre damit eine gewisse Doppelheit gegeben. Und zwar könnte man einwenden, daß solche ausführlichen Inhaltsangaben nur da wirklich sinnvoll sind, wo sie an Stelle des Textes selbst geboten werden.

Diese Einleitungen sind aber natürlich nicht nur auf eine Inhaltsangabe beschränkt. Man kann aus ihnen z. B. auch die Stellung Holzhausens zu zweien der ganz großen und schon klassischen Probleme der Hermetik herauslesen. Diese sind, ob die hermetischen Texte eigentlich auch einen hermetischen Kult voraussetzen bzw. widerspiegeln, und ob bzw. in welcher Weise die Hermetik mit der Gnosis in Zusammenhang zu sehen ist. Holzhausen ist sowohl in der Frage eines hermetischen Kultes als auch einer gnostischen Beeinflussung einzelner hermetischer Texte (vor allem des Poimandres) oder wenigstens einzelner Passagen ausgesprochen skeptisch bzw. direkt ablehnend.

Nun kann er für seine Stellungnahme natürlich gute Gründe geltend machen, obgleich es mir hier nun doch so scheint, als könnte man auf die gleichen Fragen auch etwas andere Antworten bekommen, wenn man sie nur etwas anders stellt. Mitteilenswert ist aber auch noch Holzhausens Stellung zu einer neuen Frage der Hermetik-Forschung, die durch das Hinzutreten des NH-Traktats (NHC VI, 6): De Ogdoade et Enneade (OgdEnn) bzw. "Die Achtheit offenbart die Neunheit" als einer Parallele zum berühmten Traktat CH XIII "Über die Wiedergeburt" entstanden ist. Seine Meinung steht auf S. 516 und lautet, daß der neue NH-Text traditionsgeschichtlich später als CH XIII anzusetzen sei. Ganz zum Schluß kann ich auch die Artikulierung einer kleinen direkten Meinungsverschiedenheit nicht unterdrücken bzw. drängt es mich, auf einen Punkt hinzuweisen, wo nur ich selbst es bin, der inzwischen zu einer "verschiedenen Meinung" gekommen ist. Es geht um die kurze, aber als sachlich sehr wichtig geltende, sogenannte "Schreibernotiz" NHC VI p. 65, 8-14, die so merkwürdig zwischen der siebenten und achten Schrift von NHC VI steht, und das Problem ihrer Zugehörigkeit. Die Diskussion des Pro und Contra der Möglichkeiten findet sich S. 539 mit den Anmerkungen135 und 136. Holzhausen selbst schließt sich dem an, was im Augenblick wohl als die communis opinio gelten kann, und bezieht diese Notiz also auf den folgenden Text (Nr. 8). Wenn man nun aber, wie es z. B. Alexandr Khosroyev vor kurzem in seinem Buch "Die Bibliothek von Nag Hammadi" (1995) getan hat, diese Schreibernotiz in die Perspektive aller Kolophone der Nag Hammdi-Codices rückt, muß man meines Erachtens doch zu der alten und von Mahé, wie Holzhausen sagt, "widerlegten" Auffassung zurückkehren, die diese Notiz zu Schrift 6/7 zurechnete, aber mit der neuen Nuance, daß diese unerwartete Position eines Kolophons zwischen Texten sich nur so erklärt, daß dieser Kolophon ursprünglich einmal die wirkliche Schlußnotiz eines Schreibers war, der eben nur diesen kleinen Textkomplex bestehend aus dem, was jetzt NHC VI 6.7 ist, in einem Papyrusheft oder auf einem Rollenstück kopiert hatte.