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Ausgabe:

Februar/1998

Spalte:

129–132

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Joosten, Jan

Titel/Untertitel:

People and Land in the Holiness Code. An Exegetical Study of the Ideational Framework of the Law in Leviticus 17-26.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1996. XIII, 223 S. = Suppl. to Vetus Testamentum, 67. Lw. hfl 135.­. ISBN 90-04-10557-3.

Rezensent:

Eckart Otto

Seitdem A. Klostermann 1877 eher beiläufig in einer Parenthese den Begriff des "Heiligkeitsgesetzes" für die Kapitel Lev 17-26 in die Diskussion geworfen(1) und J. Wellhausen der These eines "Heiligkeitsgesetzes" unabhängig von der Priesterschrift zum Durchbruch verholfen hat, ist, wie nicht anders zu erwarten, die Diskussionslage komplexer und unübersichtlicher geworden. Bei aller Differenzierung lassen sich dort, wo nicht generell literaturhistorisch diachrone Arbeitsweisen abgelehnt werden, wie jüngst in bezug auf diese Kapitel des Leviticusbuches durch R. Rendtorff(2), drei exegetische Modelle in der Einordnung von Lev 17-26 in den literarischen Kontext unterscheiden. J. Wellhausen und ihm folgend zahlreiche Exegeten bis in die Mitte dieses Jahrhunderts interpretierten Lev 17-26 als eigenständige Gesetzessammlung, die, zwischen Deuteronomium und Priesterschrift stehend, von P aufgenommen und überarbeitet wurde. Einen "Paradigmenwechsel" vollzog K. Elliger 1966 in seinem bis heute, was die literaturhistorischen Fragen des Leviticusbuches betrifft, unüberholten Kommentar in der Reihe HAT. Er erkannte, daß es kein "Heiligkeitsgesetz" unabhängig von der Priesterschrift gegeben hat, vielmehr Lev 17-26 von P literarisch mehrschichtig ergänzt wurde. Diese Position wurde von A. Cholewi´nski(3) in einer, was die Relationierung von D mit H betrifft, unüberholten Arbeit aufgenommen. Er konnte aufzeigen, daß in H eine Integration von D in den Horizont der Priesterschrift vollzogen wurde. Diese Position wird kaum durch die jüngsten literaturhistorisch unscharfen Versuche von E. Blum und F. Crüsemann, Lev 17-26 als integrativen Teil der Priesterschrift zu erweisen, in Frage gestellt und ist vielmehr durch die jüngste jüdische Exegese in Gestalt des monumentalen Leviticus-Kommentars von J. Milgrom in der Anchor Bible (1991) und durch die Jerusalemer Dissertation von I. Knohl(4) bestätigt worden. Beide rechnen mit einer Ergänzung der Priesterschrift in Lev 17-26 durch die Holiness School, die in P konsequent ausgeblendete Themen von Kult und Ethos der Volksreligion reintegriert. Da H mit der Endredaktion des Pentateuch identisch sein soll, berührt sich diese These mit der vom Rez.(5) vertretenen Position, daß Lev 17-26, um den Ausgleich von Bundesbuch, Deuteronomium und Priesterschrift bemüht, auf die Pentateuchredaktion zurückzuführen sei.

Die hier anzuzeigende Brüsseler Dissertation von J. Joosten, Professor für Biblische Philologie an der Faculté Protestante der Universität Straßburg, leitet die Diskussion wieder auf die Bahnen der älteren Forschung zurück, insofern Lev 17-26 eine eigenständige Rechtssammlung umfassen soll, die, dem literarischen Kontext vorgegeben, vorexilisch zu datieren sei. Im Gegensatz aber zur älteren Forschung wird die Unabhängigkeit vom Deuteronomium betont. Diese beiden, vom Vf. als Ergebnis seiner Arbeit präsentierten Thesen bestimmen entscheidend die exegetische Analyse, die nicht auf das rechtshistorische Verstehen des Gesetzes zielt, sondern sich vor allem auf die paränetischen Rahmenpartien in Lev 17-26 konzentriert und das den Gesetzen zugrundeliegende Ideengebäude in seiner Systematik erheben will, wobei die Untersuchung sich auf Konzeptionen von Volk und Land sowie ihres Verhältnisses zueinander konzentriert. In Exodus habe Gott sein Volk von der Sklaverei befreit, damit es ihm als "Sklaven" auf dem Lande um das Heiligtum dienen kann. Da das Volk Gottes Eigentum ist, kann ein Israelit nicht versklavt werden, wie auch das Land als Besitz Gottes nicht veräußert werden kann. Wie Tempelsklaven hat Israel die Heiligkeit des Tempels zu achten. Die Heiligkeit Gottes geht auf das Heiligtum über, von dort auf die Priesterschaft am Heiligtum und schließlich ist sie Forderung an die Laien, im Gehorsam den Gottesforderungen gegenüber Heiligkeit zu erreichen. Für das Volk Israel, das für H nur aus den Vergemeinschaftungsformen der Familien und der Versammlung besteht und damit sehr viel unkomplexer als im Deuteronomium mit seinem Ämtergesetz gezeichnet wird, gibt es kein anderes Gesetz als das in Lev 17-26 offenbarte, was auf eine Situation politischer Selbständigkeit weisen soll. Diese Gesetze dienen dem Schutze der Heiligkeit Gottes, der im Heiligtum in der Mitte seines Volkes anwesend ist. Wird die Heiligkeit Gottes verletzt, so verliert das Volk das Land, das, als Subjekt fungierend, das Volk ausspucken wird. Das Land als Ausweitung des Tempels ist mit der Heiligkeitskonzeption verbunden, so daß auch die nichtisraelitischen Fremdlinge an die apodiktischen Gebote, deren Bruch das Land verunreinige, gebunden sind. Werde den Nichtisraeliten der Wille Gottes auferlegt, sei auch das nur vorexilisch denkbar.

So entsteht ein insgesamt recht geschlossenes Bild dessen, was der Vf. "ideational framework" des Heiligkeitsgesetzes nennt. Doch bleibt methodisch unbefriedigend, daß der Vf. stets nur auf der Satzebene argumentiert und das Rahmenwerk in seinem Kontext nicht literarisch erhebt. Hätte er das getan, so hätte sich gezeigt, daß H eine eigene Redaktionsstruktur aufweist. Die paränetischen Rahmenstücke zeigen ihre literarische Geschlossenheit nicht zuletzt dadurch, daß sie jeweils an die vorangehenden anknüpfen und in den Schlußparänesen in Lev 25,18 f. 38.42a.55; 26,1 f. die Eingangsparänesen aufgenommen werden.

Wird in Lev 18,2-5 der Gebotsgehorsam mit der Verheißung von Leben verbunden, so wird dies in Lev 25,18 f. als sicheres Wohnen im Lande konkretisiert. Dazwischen liegt in Lev 18,24-30; 19,1-4; 20,7 f.22-27; 22,8.31-33 die komplexe paränetische Ausgestaltung des Zusammenhanges von Heiligkeit der Priester und des Volkes und seinem Wohnen im Lande. Aber nicht nur innerhalb von H wird die literarische Analyse des Textes in der hier anzuzeigenden Monographie ausgespart. Auch der literarische Kontext von H wird nicht geklärt. Einerseits wird H durch typische P-Überschriften in Lev 17,1; 18,1; 19,1 usw. (vgl. Lev 11,1; 12,1 usw.) durchzogen, andererseits finden sich die charakteristischen H-Stücke außerhalb von Lev 17-26 in Ex 6,6-8; 31,13-17; Lev 11,44 f. u. ö.

Letzteres will J. Joosten mit der von Milgrom und Knohl übernommenen These der H-Schule lösen, wobei aber gleichzeitig die notwendige Voraussetzung bestritten wird (16 Anm. 82), daß sich H über Jahrhunderte erstrecken muß, wenn Lev 17-26 vorexilisch und H gleichzeitig mit der Endredaktion des Pentateuch zu identifizieren sein soll. Und wie soll bei vorexilischer Datierung von Lev 17-26 die Fortsetzung des P-Überschriftensystems in Lev 17-26 erklärt werden, ohne gleichzeitig P vorexilisch zu datieren und für noch älter als ein vorexilisches H zu halten ­ eine Konsequenz, der der Autor auszuweichen scheint. Zurecht sieht er die Tragfähigkeit der sprachstatistischen Arbeiten von A. Hurvitz in Zweifel, da eine alte Sprachgestalt von P/H auch auf eine archaisierende Tendenz der Autoren in nachexilischer Zeit zurückzuführen ist(6). Es wäre zu ergänzen, daß auch die Datierung der Ezechieltexte, die als Fixpunkte dienen, umstritten ist.

Schließlich wird auch über das Verhältnis von H zum Deuteronomium ohne eingehenderen Textvergleich geurteilt. Die Argumente von Cholewi´nski, der eine Abhängigkeit des Heiligkeitsgesetzes vom Deuteronomium diagnostiziert, werden nicht aufgenommen und die Gegenthese von G. Braulik, der in mehreren Veröffentlichungen eine partielle Abhängigkeit des Deuteronomiums von H durch detaillierte Textanalyse aufzeigen will, mit einem einzigen Satz (11) abgetan. Wird auf eine sorgfältige Textanalyse verzichtet, bleiben dem Autor selbst nur sehr allgemeine Erwägungen, um das Verhältnis zwischen H und Deuteronomium zu klären. H kennt vor allem nicht die Integration des Volkes durch ein komplexes System von Ämtern, sondern, priesterschriftlicher Perspektive entsprechend, nur die genealogische Integration. Wenn H und Deuteronomium gleichermaßen vorexilisch sein sollen, bedürfen die Unterschiede einer Erklärung, die nicht in einer diachronen Abfolge der Verarbeitung der Exilserfahrung gesucht werden kann. Die Antwort ist die schon genannte Theorie der literarischen Unabhängigkeit des Heiligkeitsgesetzes vom Deuteronomium, wobei das Deuteronomium eine Jerusalemer Stadtperspektive habe, H dagegen die von Jerusalemer Priestern, die, auf dem Lande lebend, eine landjudäische Sicht in den Vordergrund rücken ­ eine These, von der der Autor selbst zurecht sagt, sie dürfte "excessively speculative" sein. Die Frage, warum ein Hoherpriester, nicht aber die Ältesten erwähnt werden, ist so nicht zu erklären.

Soll das Gottesgesetz in H das einzige in Israel gültige Gesetz sein, so ist auf diese Art gerade nicht eine politisch selbständige Nation zu führen. Wesentliche Rechtsbereiche, die das Bundesbuch und das Deuteronomium regeln, und wesentliche Kultinstitutionen, die in P geordnet werden, fehlen. H ist nur als Fortschreibung dieser Texte zu verstehen und setzt sie in Details voraus (vgl. nur Lev 17,11.14 als Aufnahme von Dtn 12,23 und Gen 9,4, Lev 17,15 von Ex 22,30 und Dtn 14,21). Das ist so wenig vorexilisch denkbar wie die Fiktion Israels im Lager in der Wüste, die H entscheidend prägt. Die nachexilische Abfassung des Heiligkeitsgesetzes, das den gesamten Pentateuch von Genesis bis Deuteronomium überschaut, wird vollends deutlich, wenn man auf den Abschluß von H in Lev 26 schaut. In Lev 16,9.11-13 werden die Aufforderungen zur Mehrung in Gen 1,28; 35,11 und die entsprechende Verheißung in Gen 17,6 sowie das Bundesmotiv aus Gen 17 und das der Gottesgegenwart im Heiligtum in Ex 29,45 als Zielpunkt der Priesterschrift vorausgesetzt. Lev 26,46 knüpft mit dem Begriff tôrôt nicht nur an Gen 26; Ex 16; 18, sondern mit dem Ausdruck "zwischen sich und den Israeliten" an den Noahbund in Gen 9,12-17 und den Abrahambund in Gen 17,10 f. an. Derartige Bezüge ließen sich noch verdichten, wenn es nicht das Genus einer Rezension sprengen würde. Vorexilisch sind sie jedenfalls undenkbar.

Der Autor hat eine Systematisierung der Theologie des Heiligkeitsgesetzes vorgelegt, dessen literaturhistorischen Fundamente nur begrenzt tragfähig sind. Die Monographie wird durch ein Literaturverzeichnis abgeschlossen. Register fehlen.

Fussnoten:

(1) A. Klostermann kreiert diesen Begriff im Rahmen der Zurückweisung der These, Ezechiel sei der Verfasser von Lev 17-26 gewesen: Ezechiel redet "ganz besonders mit den Worten unserer Gesetzessammlung, die ich von nun an kurz ’das Heiligkeitsgesetz’ nennen will"; s. Der Pentateuch, 1893, 385.
(2) S. Is it possible to read Leviticus as a separate book?, in: J. F. A. Sawyer [Ed.], Reading Leviticus. A Conversation with Mary Douglas, JSOT.S 227, 1996, 22-35.
(3) S. Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium, AnBib 66, 1976.
(4) S. The Sanctuary of Silence. The Priestly Torah and the Holiness School, 1995.
(5) S. Das Heiligkeitsgesetz Leviticus 17-26 in der Pentateuchredaktion, in: FS H. Graf Reventlow, 1994, 65-80; ders., Theologische Ethik, 1994, 233 ff.
(6) Zum Stand der Diskussion um die Priesterschrift cf. Verf., Forschungen zur Priesterschrift, ThR 62, 1997, 1-50.