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Ausgabe:

Februar/1998

Spalte:

125–128

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Beyerle, Stefan

Titel/Untertitel:

Der Mosesegen im Deuteronomium. Eine text-, kompositions- und formkritische Studie zu Deuteronomium 33.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1997. X, 345 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestmentliche Wissenschaft, 250. Lw. DM 178,­. ISBN 3-11-015062-X.

Rezensent:

Hans-Jürgen Zobel

In dieser von Horst Seebass angeregten und für den Druck überarbeiteten Diss. Bonn von 1994 geht es um das gesamte Kap. 33. Standen in der Vergangenheit wiederholt nur die Stammessprüche im Zentrum der Untersuchung, so wählt Beyerle seinen Ausgangspunkt bei dem Rahmenpsalm. Damit legt er erstmalig seit Buddes Studie von 1922 eine Untersuchung des gesamten Kapitels vor. Beide Arbeiten aber unterscheiden sich schon äußerlich ganz erheblich: umfaßte Buddes Arbeit 50 Seiten, so ist diese jüngste Veröffentlichung zum Mosesegen mehr als sechsmal so umfangreich. Steht damit der Gewinn in Einklang?

B. beschreibt die übernommene Aufgabenstellung als eine dreifache: Nach "textkritische(n) bzw. textgeschichtliche(n)" Erörterungen zu Dt 33 folgt eine "motiv- bzw. kompositions- und redaktionskritische" Analyse, die in eine Überprüfung der bisher "geäußerten gattungskritischen Ergebnisse(n)" (7) mündet. Das wird von einer "Theorie zu Werden und Aufbau der Komposition Dtn 33" abgeschlossen.

Den ersten Hauptteil bildet die "Paradigmatische Exegese des Rahmens" (13-99). B. beginnt mit einer ausführlichen Diskussion der Textkritik mit dem Ergebnis einer weitgehenden Beibehaltung des MT. Das ist eine überzeugende Feststellung. Daß B. für die Versionen einen je eigenen Verstehenshorizont herausstellt, ist ganz interessant, auch wenn es nicht neu ist. Den breitesten Raum nimmt dann die historische Interpretation der Rahmentexte ein. Das sei an einem Beispiel veranschaulicht: B. stellt in V. 5 ("Er wurde in Jeschurun König, als sich die Häupter des Volks versammelten, allzumal die Stämme Israels") über den Textbezug zu 2Sam 5,1 ff. die Verbindung dieses Königs zu David her, meint aber diesen Vers ­ und mit vollem Recht den voraufgehenden V. 4 ­ wie auch den Schlußvers 26 einer späten Redaktionsschicht zuweisen zu müssen. Nun werden die Berührungen zu den Bileamliedern von B. durchaus gesehen (lediglich ein Hinweis auf die unterschiedlich-religiöse Wertung von bdd in Num 23,9 und Dtn 33,28 scheint zu fehlen). Macht man das auch für V. 5 fruchtbar, dann besteht eine direkte inhaltliche Verbindung von der Königswerdung Davids zum Makarismos Israels am Schluß des Mose-Segens, drückt sich doch hierin die nationale Begeisterung zur David-Zeit aus. Dann aber besteht kein Zwang, wegen des abermals vorkommenden Jeschurun auch den V. 26 einer späteren Redaktionsstufe zuzuweisen. Daß der alte Psalm "eine inhaltlich geschlossene Einheit" bildet (82), ist richtig. Ebenso wird man der Redaktion das Bemühen um Angleichung an das Dtn nicht absprechen können (auch wenn nach unserer Meinung nur V. 1.4 dafür übrig bleibt). Hinsichtlich der Gattungszuweisung spricht B. von einem hymnischen Psalm (98).

Der zweite Hauptteil widmet sich den Stämmesprüchen (101-269). Schon der äußere Umfang weist auf das inhaltliche Gewicht dieses Teils hin. Und in der Tat findet sich hier eine solche Fülle an Einzelbeobachtungen, daß diese im Rahmen einer Rezension schwerlich wiedergegeben werden können. Deshalb beschränke ich mich auf wenige Beispiele.

Beim Juda-Spruch wird etwa so argumentiert: Juda ist unbedeutend, er ist auf JHWHs Hilfe angewiesen, die dieser in der Geschichte wiederholt erwiesen hat; der Spruch "rekurriert also auf eine Situation in exilisch-nachexilischer Zeit, in der die Heimkehr der Deportierten artikuliert wird" (111), und geht folglich auf die Redaktion zurück, was freilich Fragen aufwirft.­ Beim Benjamin-Spruch wählt B. seinen Ausgangspunkt in der Tatsache, daß der Stammesname nicht im Spruch, sondern in der redaktionellen Einleitung steht, was dahin führt, den gesamten Spruch als "ursprünglich integrative(n) Bestandteil des älteren Rahmenpsalms" (150) zu deuten. Wenn B. auch noch sagen könnte, weshalb kein Benjamin-Spruch zur Verfügung stand und warum dann die Redaktion diesen Vers für Benjamin reklamierte, würde seine Konstruktion noch an Überzeugungskraft gewinnen. ­ Zur Interpretation des Gad-Spruchs wird Num 24,9 herangezogen und festgestellt, daß beide Texte darin übereinstimmen, daß sie "einen im blühenden Mischor sicher siedelnden Stamm Gad vorstellen" (220). Fraglich bleibt, warum das dritte Bileam-Lied in seinem Eingang nicht von Gad, sondern von Jakob/Israel spricht. ­ Interessant erscheint die erarbeite zwiefache Interpretationsmöglichkeit des Dan-Spruches, wobei die relecture des Verses 22 der dtr Endgestalt von Dtn 33 zugeordnet werden könnte.

Der dritte Teil faßt in vier Paragraphen die Ergebnisse der Exegese zusammmen (271-294). In der "Vorbemerkung" wird noch einmal darauf hingewiesen, daß es nach B. in Dtn 33 eine Grundschicht und zwei Redaktionsschichten gibt. "Textkritik und Textgeschichte" haben einerseits den MT als exegetischen Ausgangspunkt erhärtet, andererseits aber angezeigt, daß es zwar keine "Textgeschichte des gesamten Kapitels", wohl aber "Textlinien in Kontinuität und Diskontinuität" (272 ff.) gebe. Als "wesentliche Erkenntnis" erachtet B., "daß die Gattung Stammesspruch nicht existiert" (274), weil die herausgearbeiteten Gattungselemente sich "als zu vielfältig und zu unterschiedlich" erwiesen.

Richtig ist diese Beobachtung hinsichtlich einiger Gattungselemente schon; aber sie rückt in ein anderes Licht, wenn man nicht Dtn 33 für sich betrachtet, sondern die Nähe zum Jakob-Segen sieht. Geht man von diesem aus, ergeben sich eindeutige gattungsmäßige Übereinstimmungen, so daß die Abweichungen von dorther eine andere Erklärung erfahren können. Was schließlich den theologischen Ort der Grundschicht anlangt, so denkt B. mit Recht an die erste Hälfte des 11. Jh.s v. Chr. (279). Weiter nimmt er einen "dtr Sammler" mit seinem "konzeptionelle(n) Einwirken auf die Komposition" (280) an, der, falls der Benjamin-Spruch auf ihn zurückgeht, "weiter südlich" orientiert wäre, sowie einen "spät-dtr Bearbeiter" (284). Damit hat B. die Möglichkeit gefunden, die "Frage nach der Bedeutung des Mosesegens für den Dtn-Schluß" (286) zu stellen und zu beantworten.

Die Übersetzung des Mose-Segens, ein umfängliches Literaturverzeichnis und ein Stellenregister beschließen den Band (295-345).

B. hat ein stattliches Werk geschaffen. Dafür sollte man ihm dankbar sein. Die Besonderheiten seiner Untersuchung sind ohne Zweifel die ausführliche Textgeschichte und eine insgesamt spannend zu lesende Motiv- und Kompositionskritik. So fraglich es erscheint, ob für die von B. verfolgte Absicht die Textgeschichte so viel ergibt, wie ihr Umfang ausmacht, so aufmerksam nimmt man doch die Motiv- und Kompositionskritik zur Kenntnis, weil sie neue Fragestellungen und Gesichtspunkte in die Exegese einbringt und damit ein differenzierteres Verständnis des Mose-Segens ermöglicht. Das bedeutet freilich nicht, daß die neuen Erkenntnisse B.s allgemeine Zustimmung erfahren werden. Aber man wird nicht umhin können, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Und das hat B. auf alle Fälle erreicht. Wer sich zukünftig mit Dtn 33 beschäftigt, muß sein Werk zur Hand nehmen und wird dabei vielfältige Anregungen erfahren.