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Ausgabe:

Februar/1998

Spalte:

115–126

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Reinhart Staats

Titel/Untertitel:

"Ein feste Burg ist unser Gott"
Die Entstehung des Lutherliedes im Abendmahlsstreit 1527*

Zu Luthers berühmtestem Lied "Ein feste Burg ist unser Gott" sind zahllose Untersuchungen erschienen; allein in den hundert Jahren zwischen 1880 und 1980 hat man 116 Spezialaufsätze gezählt.(1) Zu gewichtig ist auch dieses Lied in der Geschichte des deutschen Luthertums und überhaupt des deutschen Protestantismus, ja des Weltprotestantismus, als daß die Frage nach dem ursprünglichen Ort dieses Liedes im Leben Martin Luthers nicht interessieren könnte ­ und da sind bis heute Fragen offen. Sicher ist man sich hinsichtlich einer relativen Datierung: Die älteste Drucklegung des Liedes brachte das sogenannte "Klugsche Gesangbuch" 1529 zu Wittenberg. Die Datierungen des (verlorenen) Autographs haben sich in der letzten Zeit immerhin eingependelt auf die Jahre 1527 bis 1529. Das neue "Evangelische Gesangbuch" bleibt aber vorsichtig und gibt nur die Spätdatierung 1529 (EG 362), wogegen sich das alte Gesangbuch mit der Angabe 1528 auf die Mitte festgelegt hatte (EKG 201). Immer wieder tauchen auch neue erwägenswerte Beobachtungen auf.

I. Forschungsstand

Gottfried Maron hat im Blick auf die Hauptmetapher "Feste Burg" eine ansprechende Vermutung mitgeteilt: "Vor allem seit 1526 wird das kaum befestigte spätgotische Wittenberg Friedrichs des Weisen in großem Rahmen in eine gewaltige Renaissance-Festung umgebaut mit Bastionen, Pulvertürmen, Lebensmittelmagazinen usw. Das alles bedeutet nicht nur eine entscheidende Veränderung des äußeren Stadtbildes, bis dahin, daß schließlich die Turmhelme der Stadtkirche abgetragen werden, damit dort oben Geschütze postiert werden können; es bedeutet auch eine Veränderung des inneren Lebens der Stadt, zumal der Verantwortliche für den Festungsbau wegen seines rücksichtslosen Vorgehens und seines unsittlichen Lebens stadtbekannt ist. Luthers Haus, das Schwarze Kloster, liegt an einer wichtigen Ecke der Stadt, er sieht nicht nur sehr deutlich, was da tagtäglich geschieht, er ist auch ganz persönlich betroffen. Im März 1532 sagt er: ’Wenn ich noch ein Jahr am Leben bin, so werde ich erleben, daß man mir mein armes Stüblein hinwegreißt, daraus ich doch das Papsttum gestürmt habe, weswegen es ewigen Andenkens wert wäre. Aber die Bastion, der Wall und die Bekrönung des Bollwerks wird mirs wegfressen’ (WA TR 2, Nr. 2540). Luther wird also schließlich der Schreibtisch unter seinen Händen weggerissen. Aber nicht dies Persönliche ist es, was Luther am meisten stört, sondern die Fragwürdigkeit des Festungsbaues hat für ihn theologische Gründe. Er sagt einmal: ’Wir kriegen nicht mit wallen, wie itzt unsere Fürsten, die der Elbe nur zu schaffen machen, sondern wir haben einen stetigen Krieg fide et oratione (also im Glauben und im Gebet). Wer sein religionem auf den wall fundiret, der hat religionem übell studieret’ (WA TR 5, 232,19, Nr. 5552). Es kann also gar kein Zweifel daran sein, daß Luthers Lied eine Mahnung an seine Umgebung ist, sich nicht auf selbsterrichtete Burgen und selbstgeschmiedete Waffen zu verlassen, sondern auf Gott!"(2)

Damit ist womöglich eine erste Frage teilweise beantwortet, die an der historischen Erklärung dieses Liedes hängt. Das ist die Frage nach der Zuordnung dieses Liedes zu Psalm 46. Solche Zuordnung wird seit 1529 bis heute in den Gesangbüchern behauptet, obwohl sie auf schwachen Füßen steht. Eben diese Hauptmetapher von der "festen Burg", aber auch die Bilder von "Waffen" und "Wehr" finden sich nicht im 46. Psalm, trotz dieser Zuschreibung angeblich von Anfang an. Natürlich paßt die erste Strophe mit den Worten "Er hilft uns frei aus aller Not, die uns jetzt hat betroffen" genau zu den ersten Worten des Psalms: "Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben", und die zweite Strophe mit den Worten "Er heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth und ist kein andrer Gott" paßt gut zum Kehrvers des Psalms: "Der Herr Zebaoth ist mit uns; der Gott Jakobs ist unser Schutz" (46,8 und 12). Von einer "Burg" steht freilich nichts in Luthers Psalmenübersetzung von 1524. Die neue (katholische) Einheitsübersetzung handelte daher lutherischer als Luther, als sie das hebräische "misgaw" übersetzte: der Gott Jakobs sei unsere "Burg". Auch die Worte der dritten Strophe, "... so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen", nehmen vielleicht in dichterischer Freiheit den zweiten Vers des Psalms auf: "Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge". Damit sind aber schon die einzigen klaren Bezüge zum Psalm genannt. Jedoch hat das Lied auch ganz andere biblische Motive aufgenommen (besonders Eph 6,11: "Ziehet an den Harnisch Gottes, daß ihr bestehen könnt gegen die listigen Anläufe des Teufels" und Johannesapk. 12,9: "die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt").(3)

Kurzum: "Ein feste Burg" ist kein Psalmlied im strengen Sinne. Weder der Gesamtsinn des ganzen Psalms mit dem zentralen friedlichen Bild von der "Stadt Gottes fein lustig ... mit ihren Brünnlein" (V. 5) noch die Reihenfolge der Psalmverse wurden beachtet, was beides sonst Luther, der "Erfinder" des deutschen Psalmliedes seit 1523, durchaus beachtete, wie allein aus seinem bekannten Lied "Aus tiefer Not schrei ich zu dir" zu Psalm 130 hervorgeht (EG 299. Vgl. auch Luthers Lied zu Ps. 12: "Ach Gott vom Himmel sieh darein", EG 273). Die bekannte Anweisung Luthers im Brief an Spalatin 1523 (WA. B. 3,220), daß sich das Psalmlied zwar nicht so sehr am Wortlaut, aber dennoch möglichst klar und nahe am Psalm orientieren und dessen Sinn bewahren müsse ("sententia perspicua et psalmis quam proxima ... accepto sensu, verbis relictis"), widerrät sogar grundsätzlich der Annahme, Luther habe mit "Ein feste Burg" ein Lied zum 46. Psalm verfaßt. Trotzdem hatte der Alttestamentler Otto Eissfeldt 1922 die Ansicht vertreten, Luther habe sein "trotziges Kampflied" in völliger Übereinstimmung mit dem Skopus des Psalms gedichtet. Das überzeugt nicht. Auch davon ausgehende neuere Versuche, in der Beziehung zu Psalm 46 den theologischen Leitfaden des Liedes zu erkennen, beachten zu wenig die bekannten Gegenargumente.(4) Schon gar nicht kann der Versuch überzeugen, mit einem Gewaltstreich die Sache umzudrehen und Luther eine bewußte Verfremdung von Psalm 46 zu unterstellen, so daß das Lied eine "kritische Kontrafaktur", ja eine "Umgestaltung des Psalmes 46 in antithetischer Absicht" gewesen sei.(5)

Die zweite immer noch unbeantwortete Frage gilt der letzten, vierten Strophe, die jedem bürgerlichen, weltlichen Christsein allein mit den Worten widerspricht: "Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib: laß fahren dahin ...". Gerade diese Strophe enthält keinerlei Beziehung zu Psalm 46. Auch ist der Subjektwechsel im Übergang von der dritten zur vierten Strophe zu plötzlich; denn das eine "Wörtlein" muß doch etwas anderes meinen als das "Wort" der ganzen Heiligen Schrift, welches "sie sollen lassen stahn". Daher und wegen ihres anstößigen Inhalts ("eine Zumutung an den Sänger in der Kirche", so Jenny) wollen einige Gelehrte die letzte Strophe von dem Lied als Sondergut ablösen. Es ist interessant, daß sich dieser Ansicht des angesehenen Hymnologen Markus Jenny auch die moderne Literaturkritik anschließt, um wenigstens "die verflixte vierte Strophe" (Walter Jens) eines Liedes los zu werden, welches ein Literat unserer Tage (Peter Rühmkorf) sogar "die eindrucksvollste Glaubensruine des evangelischen Kirchengesangs" zu nennen gewagt hatte. Kurzum: Beziehung zu Psalm 46 und Homogenität sind immer noch die beiden offenen Fragen zu Luthers berühmtestem Lied.(6)

Den Vorschlag, die vierte Strophe vom Lied abzutrennen, dürfte wohl auch die Tatsache einer mißbräuchlichen säkularen Deutung der letzten Zeile in der Nazizeit mit motiviert haben: "Das Reich muß uns doch bleiben". Aber selbst ein Peter Rühmkorf, der heute nur noch "Anfechtungen beim Singen" dieses "Trutzliedes" verspürt, erinnert sich, daß im "Glaubensumkreis der Bekennenden Kirche ... die alles besiegelnde Schlußzeile ’Das Reich muß uns doch bleiben’ als Kampfansage gegen das ’Dritte Reich’ verstanden wurde" (a. a. O. 27). Wem außerdem bekannt ist, daß diese "protestantische Nationalhymne" in Finnland und, bis in unsere Zeit, in Estland und Lettland ein Lied des Widerstandes gegen die kommunistische Diktatur, in Korea gegen die japanische Besetzung, ja in Norwegen 1942-1945 sogar sehr erfolgreich gegen die Hitlerherrschaft war,(7) dem wird die Frage gestattet sein, ob sich hinter solcher Literaturkritik nicht auch die politisch-apologetische Haltung eines neudeutschen "negative Nationalismus" verbirgt.

Ich werde im folgenden einen weiteren Versuch mitteilen, um vielleicht doch noch einen Schritt weiterzukommen, damit Luthers Lied nicht zu den Texten gerechnet werden muß, "die ­ wie viele der ganz großen Werke der Kunst ­ die letzten Geheimnisse ihrer Entstehung und ihres Gehalts vielleicht nie preisgeben".(8) Freilich beginne ich mit einer Vermutung, die schon früher geäußert worden ist: "Ein feste Burg" könnte ursprünglich die poetische Form von Luthers Abendmahlslehre gegenüber Ökolampad und Zwingli im Jahr 1527 gewesen sein.

Schon 1954 hatte Wilhelm Stapel in einer kleinen Anzeige auf zwei merkwürdige Übereinstimmungen zwischen Luthers Schrift von 1527 "Daß diese Worte Christi (Das ist mein Leib) etc. noch feststehen wider die Schwarmgeister" hingewiesen (s. u. II, Nr. 2 u. 18). Dann hatte 1956 Klaus Burba in einer präzisen Untersuchung über "die Christologie in Luthers Liedern" nebenbei bemerkt, daß die christologisch so gewagte Gleichsetzung von Jesus Christus mit dem Herrn Zebaoth in der zweiten Strophe ("und ist kein andrer Gott") eine Spitze gegen die Abendmahlslehre der Schweizer sein könne, nach deren Meinung der Leib Christi zwar hoch erhaben, jedoch räumlich begrenzt, nämlich "zur Rechten Gottes" sitze. Auch Burba fand auffallende Vergleichsstellen im Abendmahlstraktat von 1527 (WA 23, 133, 143, 145).(9) Endlich nahm zwanzig Jahre später Martin Brecht diese Spur wieder auf. 1976 schrieb er: "Daß ’Ein feste Burg’ u. a. eine nicht zu bestreitende innerprotestantische Spitze hat, ist sehr bald und bis heute in der Kirche kaum wahrgenommen worden".(10) In seiner Luther-Biographie hat Brecht diese These wiederholt. Das berühmteste Lied Luthers hält er nun erst recht für ein "bedeutendes Dokument des Abendmahlsstreits", und nun erkennt auch Brecht, daß zumindest "gewisse Gemeinsamkeiten bestehen" zur Geschichtsschau der Vorrede von "Daß diese Worte ...". Brecht hatte nun auch diesen Traktat Luthers als "die systematisch gelungenste unter seinen Abendmahlsschriften" bezeichnet. Schließlich konstatierte Brecht zum Lied selbst: "Hier hat in großer Verdichtung und dennoch ganz einfach das Ausdruck gefunden, worum es Luther mit seiner Christologie gegen Zwingli ging".(11) ­ Von der Forschung noch kaum beachtet (vgl. aber K. Dienst in: Luther 68, 1997, 100) wurde, was Guido Fuchs 1992 in einer Studie zu Nikolaus Selnecker (1530-1592) nebenbei an Parallelstellen zwischen Lied und Traktat "Daß diese Worte Christi ..." beobachtet hatte (s. dazu unten).

II. Wörtliche Parallelen mit "Daß diese Worte ... feststehen", 1527

Brecht hatte nur eine Spur wahrgenommen; er hatte nur auf die Vorrede dieses Luthertraktats von 1527 verwiesen. Ich habe diese Spur genauer verfolgt und bin dabei auf eine stattliche Reihe von Parallelen gestoßen. Sie seien hier mitgeteilt (Ich gebe die Zitate nach der Weimarer Ausgabe an, WA 23,64-283. Das Luther-Deutsch habe ich leicht modernisiert). Die Gegenposition, die Luther in diesem Traktat scharf aufs Korn nimmt, kann bei unserer speziellen Fragestellung außer Acht bleiben; es ist weniger Zwinglis Meinung als vielmehr Ökolampads 1525 erschienene "Gründliche Erörterung" (Genuina expositio) der neutestamentlichen Abendmahlsworte. Die Hauptstichworte, z. B. das von der "festen Burg", stehen dort jedenfalls nicht.

EIN FESTE BURG IST UNSER GOTT, EIN GUTE WEHR UND WAFFEN ... DER ALT BÖSE FEIND, MIT ERNST ER’S JETZT MEINT; GROSS MACHT UND VIEL LIST SEIN GRAUMSAM RÜSTUNG IST

1. Schon im Titel des Traktats klingt die erste Strophe an. Denn wie unser Gott ein’ feste Burg ist, so soll gelten, "daß diese Worte Christi ’Das ist mein Leib’ etc. noch fest stehen".

2. Luther erkennt, daß sich zu seiner Zeit jede Rotte auf die Heilige Schrift beruft: "Also konnte der Teufel den Christen ihre Waffen, Wehre und Burg (das ist die Schrift) ablaufen, daß sie nicht alleine matt und untüchtig wider ihn wurde, sondern auch wider die Christen selbst streiten mußte und sie bei den Christen so verdächtig macht, als wäre sie eitel Gift ... sage mir, ist das nicht ein Kunststücklein des Teufels gewesen?" (64,30-66,4).

Die List des Teufels ist hier dessen raffiniertes "Kunststücklein", welches sogar die Evangelischen an der Heiligen Schrift irremacht. Das listige Angebot des Teufels besteht darin, daß er den Christen, hier konkret den Oberdeutschen und den Schweizern, "wiewohl sie es gut meinten", vorhält, die Schrift sei "nicht genug, man müßte der Concilia und Väter Gebot und Auslegung auch haben" (66,11-13). Im Lauf seines Traktats kommt Luther dann ja auch darauf zurück, indem er an einigen ihm von Ökolampad entgegengehaltenen Kirchenvätern (besonders Tertullian, Irenäus und Augustin) demonstriert, wie ausgerechnet diese Kirchenväter der Schrift, auf die es doch allein ankommt, nicht widersprechen. Doch aus den Kirchenvätern ohne Schrift kann schließlich nur ein Papsttum werden, "darin nichts gilt denn Menschengebot und Glossen nach dem Herzensschrein des heiligen Vaters. Da das der Teufel sah, spottete er und dachte: Nu gewonnen! Die Schrift liegt, das Schloß ist zerstört, die Waffen sind niedergeschlagen, dafür sie nun stroherne Mauern flechten und machen Waffen von Heu, das ist, sie wollen sich nun mit Menschengeboten wider mich setzen ... es dienet mir wohl, daß sie nicht sich zanken in der Schrift, und des Worts müßig gehen ... und gläuben, was Concilia und Väter sagen" (66,15-25).

3. Das Motiv von "Waffen" und "fester Burg" begegnet noch einmal in der Mitte des Traktats, hier in der Antithese, daß die Schweizer Schwärmer nach ihrem Abendmahlsverständnis den Leib Christi in den Himmel und in den Geist "als in eine feste Burg" verscheuchen wollen, wo doch keine feste Burg sei.

Ausgangspunkt ist das johanneische Leitwort der Abendmahlslehre Zwinglis: "Das Fleisch ist nichts nutze" (Joh 6,63). Aber, so Luther, das ist nicht vom Fleisch Christi geredet, "weil da nicht stehet: Mein Fleisch nützet nicht, sondern schlechthin Fleisch nützet nicht" (170,26 f.). Ein "Wörtlein", das Possessivpronomen "Mein" stehe nun einmal nicht in diesem Vers des Johannesevangeliums. Wenn Christus gemeint hätte "Mein Fleisch ist nichts nütze", wäre allen gnostischen Ketzereien, welche die irdische leibliche Existenz Christi leugnen, wie Manichäern und Valentinianern, Tor und Tür zur Kirche geöffnet. Nur den alten Gnostikern ähnliche moderne Schwärmer können aber leugnen, daß Maria "mit Gottes Sohn leiblich schwanger war ... und bracht ihn danach leiblich zur Welt wie eine Mutter". Windeln und Krippen, Jesu Taufe im Jordan und Lebenswandel ­ das alles soll fleischlich und "nichts nütze" sein? So fragt Luther (172-176).

Sein Einwand gegen Ökolampad und Zwingli kulminiert also im Vorwurf der Leugnung der wahren Menschheit Christi, ohne die andererseits auch Christi Gottheit überhaupt nicht begriffen werden kann. Die Schwärmer meinen jedoch, Christus sei nur im Himmel zur Rechten Gottes wie in einer "festen Burg". Damit erscheint das Leitwort von der "festen Burg" nun auch im Bilde der gegnerischen Irrlehre. Doch Jesus Christus als Gott und Mensch ist dennoch gegenwärtig im Brot des Abendmahls: "Da siehe, welch einen mächtigen Schwarm kann zuwege bringen der Spruch (,Fleisch ist kein nütze’), daß er Christi Leib Himmel und Erden zu enge macht, und jagt ihn schlicht auch vom Himmel und aus dem Geist, dahin doch ihn die Schwärmer verscheucht hatten als in eine feste Burg, mit eitel eisern Mauern befestigt, daß er ja wohl verwahret wäre, auf daß ihn die Buben auf dem Altar nicht unehrlich handeln könnten. Drum ist fürwahr dieser Spruch der allerstärkste Grund und ist eine recht eiserne Mauer, ja für uns wider sie, und hätten nichts Stärkeres mögen wider sich selbst aufbringen, denn eben diesen Spruch, den sie am höchsten für sich rühmen. Also gehet es uns armen Sündern und unbedachten wehrlosen Dienern des gebackenen und brotenen Gottes, daß wer uns schlagen will, der bringt uns Waffen genug, damit wir sie schlagen, und uns verteidigen" (176,3-14).

ER HEISST JESUS CHRIST, DER HERR ZEBAOTH, UND IST KEIN ANDRER GOTT

4. Die indirekt ausgesprochene Wesenseinheit von Gott und Jesus Christus kommt deutlich heraus, da geradezu provozierend der alttestamentliche Gottesname "Herr Zebaoth" auf Christus selbst übertragen wird. Das paßt zu Luthers Anerkennung des Begriffes "Wesenseins" (Homousios) im nizänischen Glaubensbekenntnis.

Im Traktat streicht Luther immer wieder die Bedeutung des Abendmahls für das Glaubensbekenntnis heraus, und nicht zufällig kommt es im Laufe dieses Abendmahlsstreites zu dichten Anknüpfungen an das christologische Dogma der frühen Kirche, besonders in Luthers persönlichem Glaubensbekenntnis, das er ein Jahr später, 1528, zum Schluß seines großen "Bekenntnisses vom Abendmahl" formulieren wird: "... daß solcher Mensch sei wahrhaftig Gott, als eine ewige, unzertrennliche Person aus Gott, und Mensch geworden, also, daß Maria, die heilige Jungfrau sei eine rechte wahrhaftige Mutter, nicht allein des Menschen Christi, wie die Nestorianer lehren, sondern des Sohnes Gottes, wie Lukas, (1,35) spricht: Das in dir geboren wird, soll Gottes Sohn heißen, das ist, mein und aller Herr Jesus Christus, Gottes und Marien einiger, rechter, natürlicher Sohn, wahrhaftiger Gott und Mensch" (WA 26,501,10-17). Auch Luther ist somit ein Zeuge für den in der gesamten Geschichte christlicher Theologie begegnenden eigentlichen "Sitz im Leben" der richtigen Christologie im richtigen Abendmahlsverständnis, wie schon Irenäus sagte, daß unsere Lehre mit der Eucharistie übereinstimmen müsse und umgekehrt (Adv. haer. IV,18,5).

Luther hatte auch in unserem Traktat von 1527 die Wesenseinheit Christi mit Gott im Stile abendländischer Christologie klar formuliert: "Es ist ja unser Glaube, wie die Schrift uns lehret, daß unser Herr Jesus Christus wesentlicher, natürlicher Gott sei und die Gottheit in ihm ganz und gar leibhaftig wohnet ... also daß außer Christo schlicht kein Gott noch Gottheit ist" (138,25-29). Luther bezieht sich auch auf Irenäus und kritisiert an Ökolampad, daß dieser die Gottheit Jesu Christi nicht ernst nehme, weil er unterstelle, daß die reale Gegenwart Christi im Brot zur Spekulation darüber verführe, "wie" Christus zu Leib und Brot würde: "Es ist doch ja verdrießlich Ding mit solchem Teufels Gaukelwerk Zeit und Worte verlieren, gerade als hätte uns Christus befohlen zu erforschen, wie sein Leib im Brot wäre: Also wollt’ ich auch sagen: Christus ist nicht Gott ..." 208,3-9).

UND WENN DIE WELT VOLL TEUFEL WÄR UND WOLLT UNS GAR VERSCHLINGEN, SO FÜRCHTEN WIR UNS NICHT SO SEHR, ES SOLL UNS DOCH GELINGEN

5. Die Erfahrung der Welt voller Teufel war bekanntlich eine Grunderfahrung im Leben Luthers. Die Weltregierung des Teufels kommt aber auch hier stark heraus, gleich mit den allerersten Worten des Traktats:

"Wie ist doch das Sprichwort so ganz wahr, daß man sagt: Der Teufel ist ein Tausendkünstler; welches er zwar in allen anderen Stücken, damit er seine Welt regiert, gewaltiglich beweist, als in leiblichen, äußerlichen Listen, Tücken, Sünden, Schalkheit, Morden, Verderben usw., aber sonderlich und über alle Maßen beweist er’s in geistlichen Sachen, die Gottes Ehre betreffen und das Gewissen" (64,6-11). Der Teufel "ein Tausendkünstler"! Wir haben schon gesehen, wie die "groß Macht und viel List" für Luther gerade auch im "Kunststücklein" des Teufels besteht, die Christen am klaren Wortlaut der Bibel irre zu machen (s. o. Nr. 2).

6. Vom Sieg des klaren Wortes Gottes "Das ist mein Leib" auch über die Welt voller Teufel kann er später sagen: "Wird doch der Teufel, Tod, Sünde, Hölle und alles Unglück eitel Nutz und Hilfe, wenn es in Gottes Wort gefasset uns vorgetragen, und von uns geglaubt wird. Kann nun mir der Tod nütze sein zu Leib und Seele, wenn ich Christi Wort dazu habe, das da spricht: ’Wer sein Leben verlieret um meinetwillen, der wird’s finden etc.’ (Mt 16,25). Und muß also der Tod durchs Wort meine Seele treiben und stärken zur Gerechtigkeit und Gehorsam des Glaubens, und meinen Leib hindurch jagen ins Leben. Sollte denn nicht auch Christi Leib, der an ihm selber eitel Leben, Seligkeit und voll Gott ist, durchs Wort mir so nütze sein, als der Tod, Sünde und Teufel? Ja man fühlet und siehets nicht. Fühlet und siehet man es doch auch nicht, wie der Teufel und Tod nütze sind, durchs Wort? Der Glaube fühlet’s aber" (258, 24-260,1).

DER FÜRST DIESER WELT, WIE SAUER ER SICH STELLT

7. Der aus dem Johannesevangelium (12,31; 14,30; 16,11. Vgl. Eph 2,2) stammende Teufelstitel "Fürst dieser Welt" kommt gerade in unserem Text ebenso vor und wird wie in einem kleinen Kommentar zum Lied erklärt: "Wollen wir auf Menschen Concilia und Ratschläge, so verlieren wir die Schrift gar, und bleiben des Teufels eigen mit Haut und Haar. Er ist Satan und heißt Satan, das ist, ein Widersacher; er muß widerstehen und Unglück anrichten, anders kann er nicht tun. Dazu ist er ein Fürst und Gott der Welt, daß er Macht genug hat und kann es tun" (70,4-9). Das klingt übrigens auch ähnlich im Lied: "Mit unsrer Macht ist nichts getan ...".

8. Gleich im darauffolgenden Absatz behandelt Luther noch einmal den "Fürst dieser Welt", da er schreibt: "Weil er’s denn tun kann und will, so ist uns nicht zu denken, daß wir Friede vor ihm haben mögen, er feiert nicht und schläft nicht. So wähle du nun, ob du dich lieber willst mit dem Teufel raufen oder lieber sein eigen sein ... Doch es hilft hier keine Ermahnung, kein Warnen, kein Drohen, der Teufel ist ein Tausendkünstler; wo Gott nicht wehret und hilft, ist unser Tun und Raten nichts. Man wende es hin und her, so ist er der Welt Fürste. Wer’s nicht weiß, der versuch’s. Ich hab etwas davon erfahren. Niemand aber soll mir glauben, bis er’s auch erfahre" (70,9-11,23-28). Wieder klingt mit diesem letzten Satz jene Zeile des Liedes an: "Mit unserer Macht ist nichts getan ...". ­ Im Ganzen ist auch hier wieder eine große Nähe zum Bild des Teufels spürbar als des zu bekriegenden "Tausendkünstlers" im Liede: "Groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist".

9. Der Teufel stellt sich "sauer". Vielleicht entspricht auch dieses Bild im Lied jener kämpferischen Äußerung Luthers zu Anfang des Traktates, wo er von seiner eigenen "sauren" Leistung spricht, die Schrift wieder zur Geltung gebracht zu haben. Denn im Ringen mit den Listen des Teufels sei darauf zu achten, daß er nicht nur von vorne (d. h. durch die Künsteleien der Papstkirche), sondern auch von hinten mit scheinbar biblischer Theologie unseren Sieg schwer macht: "... haben wir der Sachen auch durch Gottes Gnaden wollen raten und fürwahr mit großer saurer Arbeit die Schrift wieder hervorgebracht, und Menschengeboten Urlaub gegeben, uns frei gemacht und dem Teufel entlaufen, wiewohl er sich redlich gewehret und noch wehret. Aber doch weil er uns muß lassen gehen, vergißt er dennoch seiner Künste nicht, hat auch heimlich seines Samens unter uns gemenget, die unsere Lehre und Wort sollten fassen, nicht dazu, daß sie uns beistünden und hülfen die Schrift treiben, sondern während wir wider Menschentand vorne stritten, sie hinter uns in unser Heer einfielen, Aufruhr anrichten und wider uns tobten, auf daß wir zwischen zwei Feinden desto leichter untergingen. Das heißt, meine ich ja, Quecksilber in den Teich geworfen" (68,12-22).

TUT ER UNS DOCH NICHT; DAS MACHT ER IST GERICHT’. EIN WÖRTLEIN KANN IHN FÄLLEN

10. "Ein Wörtlein". Was mag damit gemeint sein? Wer in den Schriften Luthers außerhalb seiner Abendmahlstexte nach einer Antwort auf diese Frage sucht, wird sie kaum finden. In den Abendmahlsschriften finden wir eine Antwort, wiederum in unserem Traktat von 1527, "Daß diese Worte Christi ’Das ist mein Leib’ noch feststehen". Für Luther als Schriftausleger, wie für viele große Theologen, kann sich die ganze christliche Lehre in einem einzigen kleinen "Wörtlein" kundtun. Hier sind es zunächst die "Wörtlein" in den Einsetzungsworten "Ist" und das "Mein Leib", die stehen bleiben müssen: "Sie sprechen: Das Wörtlein ’Ist’ soll so viel gelten als das Wort ’Bedeutet’, wie Zwingli schreibet, und das Wort ’Mein Leib’ soll so viel heißen als das Wort ’Meines Leibes Zeichen’, wie Ökolampad schreibt" (88,33-90,2).

11. Man darf die Abendmahlsworte nicht pressen und quälen. Letzthin entscheidend in diesem Streit ist, daß die Gegner nicht das Wörtlein "Mein" gelten lassen: "Zwingli martert das Wörtlein ’Ist’; Ökolampad martert das Wörtlein ’Leib’. Die andern martern den ganzen Text und kehren das Wörtlein ’Das’ um und setzen’s hintenan und sprechen also: ’Nehmet, esset, mein Leib, der für euch gegeben wird, ist das’ ... So gröblich närret uns der Teufel. Wohlan, da ist nichts mehr zu martern an dem Text, denn das Wörtlein ’Mein’, das will ich durch der Schwärmer Hechel ziehen, auf daß ja kein Bein an dem Text ganz ungemartert bleibe, und wollen niemand etwas mehr dran zu schwärmen lassen" (106,24-27; 108,11-14).

12. An späterer Stelle, wo es um den vollen Wortlaut von Johannes 6 Vers 63 geht (s. o. Nr. 3) darf umgekehrt nicht ein "Wörtlein", nämlich dasselbe Possessivpronomen "Mein", in den Text hineingetragen werden: "Also liegt die eiserne Mauer mit einem Wörtlein umgeblasen, das heißt ’Mea, Mein’; denn weil da nicht stehet: ’Mein Fleisch nützet nicht, sondern schlechthin ’Fleisch nützet nicht’, haben wir erstlich also gewonnen, daß nicht mag von Christi Leib verstanden werden. Denn weil er’s nicht selbst hinzusetzt und spricht ’Mein Fleisch’, so ist’s verboten, seine Worte zu bessern und etwas hinzuzutun ..." (170,25-30).

DAS WORT SIE SOLLEN LASSEN STAHN

13. Aus dem zuletzt Mitgeteilten ist klar geworden, daß es bei Luthers Streit um die Gültigkeit eines einzelnen neutestamentlichen Wörtleins um die Gültigkeit der Heiligen Schrift insgesamt gehen kann. So gibt es auch zu dieser Zeile in der letzten Strophe des Lutherliedes Parallelen in unserem Traktat: "Meinethalben darf ich zwar nicht wider sie schreiben, sondern ihre eigene Schrift ist meine Stärke. Wenn ich dieselbige lese, machen sie mich stark und freudenvoll, weil ich sehe, daß der Teufel mit solchem Ernst wider Gottes Wort tobet ... So will ich nun wiederum, um zu verachten den Teufel, auf dieses Mal nicht mehr denn den einzigen Spruch Christi für mich nehmen ’Das ist mein Leib’ und sehen, was ihm die Schwärmer abgebrochen" (74,30-76,2). Später heißt es, "... daß dieser Spruch Christi ’Das ist mein Leib’ in ihrem Herzen steckt wie ein ewiger Stift, dessen sie nirgend mögen los werden, es sei denn, daß sie ganz verrucht sind, die nichts mehr fühlen" (88,8-10).

14. Nahe an das "Lassen stahn" kommt auch die Äußerung: "Ich aber will der beste Schwärmer sein und den Text weder verrücken noch verkehren und kein Wort anders deuten, denn es lautet in der Schrift; sondern ein jegliches lassen stehen, wie es stehet, auf daß Ökolampad sehe, daß Leib nicht müsse vonnöten ’Leibs Zeichen’ heißen" (108,14-17).

15. Ähnlich erklärt Luther das biblische Fundament seiner so frühkirchlichen Christologie der Einheit von Schöpfung und Erlösung: "... wollt ich auch wohl beweisen, daß kein Gott noch Kreatur wäre, wenn ich nur Gottes Wort wegtue, wie sie im Abendmahl tun. Tu das Wort weg ’Gott schuf Himmel und Erden’, so will ich gerne sehen, wer einen Gott habe, oder wozu Gott nütze sei. Tut das Wort weg ’Christus, Gottes Sohn, ist unser Heiland’, so will ich sehen, wer Christum habe, oder wem er nütze sei" (182,12-17).

16. Das Wort Gottes verkündet eben dieses uns nützliche Heilshandeln Gottes und ist darum selbst nützlich: "Das will ich gesagt haben, wenn’s möglich wäre, daß im Abendmahl Christi Leib alleine und ohne Gottes Wort wäre. Nun aber ist das nicht, denn da stehen Gottes Wort ’Das ist mein Leib’, die fassen, begreifen und geben uns den Leib Christi leiblich, darum muß der Leib Christi durch’s Wort nütze sein" (258,11-15).

ER IST BEI UNS WOHL AUF DEM PLAN MIT SEINEM GEIST UND GABEN. NEHMEN SIE DEN LEIB, GUT, EHR, KIND UND WEIB: LASS FAHREN DAHIN

17. Bei der schon zitierten Stelle zu Beginn des Traktats, wo die "feste Burg" gepriesen wurde, hatte Luther auch gesagt, daß gerade die erste vordere Front gegen den Papst und dessen Berufung auf eine lehramtliche Tradition von willkürlich gewählten Kirchenvätersprüchen ­ er bezeichnet diese als "Glossen" ­ sich zugleich gegen "Ehre und Gut auf Erden" richtet: "Da mußte wohl aufhören Zwietracht und Hader in der Schrift, welches ist ein göttlicher Hader, das ist, da Gott mit dem Teufel hadert, wie St. Paulus sagt Eph 6,12: ’Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit der geistlichen Bosheit in der Luft etc.’. Aber dafür ist eingerissen menschliche Zwietracht um Ehre und Gut auf Erden, und dennoch bleiben einträchtige Blindheit und Unverstand der Schrift mit Verlust des rechten christlichen Glaubens, das ist: einmütiger Gehorsam der Väterglossen und des heiligen Stuhles zu Rom. Ist das nicht auch ein Stück teuflischer Kunst?" (66,36-68,8; vgl. 69,5!) ­ Die vierte Strophe steht also stärker in der ersten Front gegen die Papstkirche, was auch den störenden Subjektwechsel vom "Wörtlein" zum "Wort" vornean erklären kann.

18. Die Einheit der Kirche besteht wesentlich "im Geist". Daher kann Luther auch das evangelische Leitwort aller christlicher Märtyrer und echten Asketen für seine Lehre in Anspruch nehmen: ",Wer Vater und Mutter, Weib und Kind, Haus und Hof, dazu seine Seele mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert’ (Mt 10,37) ... Sollen wir nun christlich eins mit ihnen sein und christliche Liebe zu ihnen haben, so müssen wir ihre Lehre und Tun lieb haben und lassen uns gefallen, oder je zum wenigsten dulden. Das tu, wer da will; ich nicht. Denn christliche Einigkeit stehet im Geist, da wir eines Glaubens, eines Sinnes, eines Mutes sind (Eph 4,6)" (84,24-32). Trefflich ist damit der letzte Vers des Liedes kommentiert. Denn dieser Vers wehrt einem christlichen äußeren Besitzstandsdenken und ist daher in einer nur bürgerlich empfindenden Gemeinde ja auch so schwer verständlich. Denn die christliche Ökumene soll zuvörderst nicht im Materiellen gegeben sein, sondern sie "stehet im Geist", d. h. Christus "ist bei uns wohl auf dem Plan mit seinem Geist und Gaben".

19. "Laß fahren dahin" ­ das heißt im Traktat auch, "daß man sehe, wie der Teufel sich kann unter falsche Demut, Friede und Geduld schmücken, zur Warnung allen, die nicht von Herzen sich demütigen, daß sie sich vorsehen beide vor dem Teufel und vor sich selbst ... Und wen solch (teuflische) Stücklein nicht entsetzt noch warnet, den laß fahren, er will verloren sein. Der heilige Geist redet und gibt solch Stücklein nicht vor durch seine armen Sünder, wie hier der Teufel tut durch seine Heiligen" (86,5-8, 19-21).

III. Psalm 46 ­ ein vom historischen Kontext ablenkender Nachtrag?

Diese neunzehn Parallelen habe ich gefunden in Luthers Lied "Ein feste Burg ist unser Gott" und in seinem Abendmahlstraktat von 1527 "Daß diese Worte ’Das ist mein Leib’ noch feststehen". Auffallend ist die Fülle nicht nur der theologischen, sondern besonders der äußerlich begrifflichen Übereinstimmungen, von vornherein mit dem Bild von der "festen Burg". Auch die kämpferische Sprache, die das Ringen um das Wort Gottes mit einer ritterlichen, gleichwohl teuflischen Fehde gleichsetzt, hier wie dort, rückt beide Texte nahe aneinander. Daraus darf der Schluß gezogen werden, daß das Lied ein ausführlicher Kontext zu Luthers Traktat ist. Aus jeder Periode in Luthers Leben mögen sich "parallele Äußerungen zu ’Ein feste Burg’ in Fülle" beibringen lassen, wie Martin Brecht in seiner ersten Erörterung zum Thema gemeint hatte.(12) Aber es dürfte keinen einzigen Text geben, bei dem die äußere und innere Parallelität qualitativ und quantitativ so dicht beieinander ist.

Erst nach Abschluß dieses Manuskriptes stieß ich auf die 1992 in Göttingen publizierte Studie von Guido Fuchs: "Psalmdeutung im Lied. Die Interpretation der ’Feinde’ bei Nikolaus Selnecker (1530-1592)". Auch Fuchs folgt der irrigen Annahme, daß das Lied ein exemplarisches Beispiel für Luthers Psalmdichtung sei und zieht daraus m. E. viel zu weit gehende Schlüsse für Selneckers Lieder insgesamt, die doch nicht nur Psalmlieder sind. Aber ein beiläufiges Resultat in der Untersuchung von Fuchs ist von großem Gewicht. Wissenschaftlich gebotene Bescheidenheit nötigt mich nun nämlich zu der Anerkennung, daß schon Fuchs meine Parallelen Nr. 1,7,8,10-12 u. 18, wenn auch ohne Kontextanalyse, gesehen hatte (51-54). Zusätzlich fand er zu Vers 1: "mit Ernst er’s jetzt meint" die Stelle im Traktat: "daß der Teufel mit solchem Ernst wider Gottes Wort tobet" (WA 23,75,32f.). Auch in der Datierung des Liedes (nicht vor März/April 1527) kann ich Fuchs nur bestätigen. Immerhin ist die unabhängig voneinander gefundene, so intime Parallelität ein Beweis für die Richtigkeit der Datierung und biographischen Zuordnung. Originell und ebenso wichtig ist auch die Beobachtung, daß noch eine Generation später Selnecker "Ein feste Burg" im Kontext einer Erwähnung des Luthertraktats von 1527 und tatsächlich als ein Lied gegen die Bestreiter der lutherischen Abendmahlslehre mehrmals zitiert (deutlich im Prolog zum Psalmenkommentar 1566. Vgl. Fuchs 56 f.,70).

Es ist also zu schließen, daß das Lied während der Arbeit an diesem Traktat oder bald danach entstanden ist, mithin im Frühjahr des Jahres 1527. Ende März war Luther mit dem Traktat fertig geworden.(13)

Weniger wahrscheinlich ist die umgekehrte Annahme, daß der Traktat das Lied schon voraussetzt. Denn die übereinstimmenden Begriffe folgen nicht strikt der Reihenfolge im Lied; auch lassen sie sich zuerst aus der kirchengeschichtlich konkreten "Langfassung" des Traktats erklären. Diese konnte dann im Lied zu ihrer kurzen, erhabenen, poetischen und auch verallgemeinernden und auch von ihrem ursprünglichen historischen Ort abstrahierbaren Form finden, wie die weitere Wirkungsgeschichte dieses Liedes nach 1529 kundtut, im 19. und 20. Jh. auch als ’Cantus firmus’ des Nationalprotestantismus, und das nicht nur in Deutschland. Aber sogar die Schweizer haben dieses Lied in ihre Gesangbücher aufgenommen! Schon die seit 1529 nachweisliche Psalmüberschrift: "Der XLVI. Psalm ’Deus noster refugium et virtus’" ­ mag diese Überschrift nun auf Luther zurückgehen oder, was keinesfalls auszuschließen ist, von einem anderen stammen ­ lenkt leicht ab vom ursprünglich Gemeinten. Vielleicht war solche Ablenkung von einem um die Einheit der Protestanten besorgten Lutherfreund auch wirklich gut gemeint gewesen? Denn im Jahr 1529 (Zweiter Speyrer Reichstag: die Evangelischen, ob vom Süden oder vom Norden, wurden erstmals gemeinsam "Protestanten" genannt!) war vieles noch offen, stand Großes auf dem Spiel. Alsbald jedenfalls war das Lied erhaben über innerprotestantische Abendmahlsstreitigkeiten.

IV. Das Lied eines fühlenden Glaubens

Die Arbeit eines Historikers ist in ihren Hauptschritten methodisch einfach. Der Historiker liest, übersetzt, wo es nottut, und beobachtet erst einmal Parallelen mit anderen, möglichst gleichzeitigen Dokumenten und Monumenten. Dann stellt er Beziehungen, auch Prioritäten, fest, und er wird, wenn er nicht nur ein antiquarisches Geschäft betreiben will, auf einer dritten höheren Ebene seine Erkenntnisse auch inhaltlich bewerten und kritisieren: Analogie, Korrelation und Kritik sind nun einmal (nach Ernst Troeltsch) die drei Säulen historisch-wissenschaftlicher Methode.(14) In unserem Fall meinte "Analogie" die Beobachtung von Parallelen zwischen Lied und Traktat von 1527, "Korrelation" erbrachte die begründete Auffassung, daß das Lied ein Kontext zum Traktat und nicht umgekehrt ist. Die Kritik freilich, zumal eine theologische Kritik (von der Troeltsch wenig hielt), ist keine einfache Sache. Soll unser Ergebnis, das nur frühere Vermutungen von Wilhelm Stapel, Klaus Burba, Martin Brecht und besonders von Guido Fuchs bestätigte, dazu führen, allen Zwinglianern und Reformierten dieses herrliche Lied schlecht zu machen, weil es sich nicht nur vordergründig gegen die Papstkirche (vierte Strophe) richtet, sondern hintergründig und eigentlich aus Luthers Gegensatz zu Ökolampad und Zwingli historisch herrührt? Ich bin zu dem kritischen Ergebnis gekommen, daß dieses Lied offensichtlich ja nicht ein Abendmahlslied ist, obwohl es durch einen Abendmahlsstreit veranlaßt gewesen war und ein Nikolaus Selnecker es noch 1566 als ein Zeugnis für die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl zitiert hatte.

Die Datierung des Liedes in das Jahr 1527 und dann am ehesten in dessen Frühjahr kann nämlich von weiteren, der Interpretation dienenden Beobachtungen bestätigt werden. Von vornherein ist das Lied ja auch ein gesungenes persönliches Bekenntnis Luthers. Seine gewaltige Popularität bis heute kommt aus einer den Sänger persönlich anrührenden Betroffenheit (vielleicht wirken die Worte von der "Not, die uns jetzt hat betroffen" noch heute nach im Modewort sozialethischer "Betroffenheit") und, nicht zu vergessen, aus der feierlichen Getragenheit der Melodie Luthers. Wirklich war Luther in jenen Monaten auch von schwersten persönlichen Nöten "betroffen": Vom Frühjahr bis in den Sommer litt er unter schweren Herzstörungen. Daß der Abendmahlsstreit und eine erste lebensbedrohliche Krankheit zusammenfielen, war kaum ein Zufall. Wie heftig ihn dieser Streit mitnahm, zeigt auch die handschriftliche Überlieferung des Traktats. Der Editor bemerkte, daß keine andere Lutherschrift so zahlreiche Streichungen, Einschübe und Änderungen hat wie gerade dieser Text (WA 23,47). Die Herrschaft des Teufels war Luther fürchterlich bewußt geworden: "Niemand aber soll mir glauben, bis er’s auch erfahre" (70,27-28). Doch selbst "Tod, Sünde und Teufel" sind nützlich, freilich nur "durchs Wort" ­ das begreift allein der Glaube: "Der Glaube fühlet’s (260,1; vgl. o. Nr. 6 u. 8).

Auch ein äußeres Ereignis gehört in diese Krisenzeit: Am 23. April 1527 wurde der Hallenser Pfarrer und Lutherverehrer Georg Winckler nach einem Verhör zu Aschaffenburg vor Erzbischof Albrecht auf der Heimreise ermordet. Luther schrieb daraufhin, aber erst im September, eine "Tröstung an die Christen zu Halle über den Tod ihres Predigers M. Georg Winckler" (WA 23,402-431). Auch darin finden sich drei Anklänge an das Lied, so die Motive vom Teufel als "Fürsten der Welt" und als listigen, waffengewaltigen Tausendkünstler, und auch hier, weil Winckler auch wegen seiner Einführung des Gemeindeabendmahls in Halle gestorben sei, hebt Luther ein "Wörtlein" hervor. Hier ist es das Wörtlein "euch" in den Einsetzungsworten: Für "euch" gegeben, für "euch" vergossen (403 f.; 413,28; 423 f.).

Schließlich kann eine liturgiegeschichtliche Beobachtung, die ich Martin Petzoldt verdanke, unser Ergebnis bestätigen: Die mehr politische und soziale Auffassung des Liedes ist erst im 18. und deutlich dann im 19. und 20. Jh. festzustellen. Agendarische Urkunden belegen nämlich, daß das Lied erst seit dem 18. Jh. zum Proprium des Reformationsfestes am 31. Oktober gehörte. Johann Sebastian Bachs Letztfassung seiner Kantate "Ein feste Burg" (BWV 80b), entstanden vor 1728, ist dafür ein Indiz. Diese Fassung war dem Reformationstag gewidmet, doch noch die zugrunde liegende ältere Weimarer Fassung war eine Kantate zum Sonntag Okuli gewesen. Überhaupt gehörte "Ein feste Burg" bis ins 18. Jh. zum Proprium der ersten Sonntage der Passionszeit. Die alten Evangelientexte dieser Sonntage passen ja auch vorzüglich zum Inhalt von Luthers Lied: Jesu Versuchung durch den Teufel (Mt 4,1-11) an Invokavit, der "große Glaube" des kanaanäischen Weibes, deren Tochter vom Teufel befreit wird (Mt 15,21-28), an Reminiscere und Jesu Macht über die bösen Geister (Lk 11,14-28) an Okuli.(15) Leider sind Predigten Luthers aus der Passionszeit 1527 nicht exakt nachweisbar. In der Okuli-Tradition des Liedes liegt womöglich ein weiteres Argument seiner Datierung? Sonntag Okuli war 1527 am 24. März.

Auch heute läßt uns dieses Lied mitfühlen, wie realistisch das teuflisch Gemeine und Böse in dieser Welt sein kann und wie im Ernstnehmen des Wortlautes der Heiligen Schrift die sowohl wahre Gottheit Jesu Christi als auch seine wahre Menschheit uns wirklich spürbar werden kann "mit seinem Geist und Gaben". Der harte Bibelfundamentalismus unserer Tage, der den Wortlaut der Bibel als bloßen Text absolut setzt und nicht den Nutzen der Schrift, allein Christus zu treiben, erkennt, lag Luther ganz fern. So kann uns dieses Lied lehren, wie die lutherischen Prinzipien "Sola scriptura" und "Solus Christus" notwendig zusammengehören: "Jesus Christ, der Herr Zebaoth und ist kein andrer Gott". Mit seinem Wort wendet er unsere Not in einer Welt des Bösen. Schließlich erinnert das Lied auch noch in einer Welt theologischer Verharmlosung der wirklichen Gottheit Jesu, des "Herrn Zebaoth und ist kein andrer Gott", an die wirkliche Gegenwart des "für uns streitenden", uns schützenden, bergenden Gottes, dessen Herrschaft den ganzen Kosmos, Himmel und Erde, alles Jenseitige und alles Diesseitige völlig beherrscht. "Gott will die Welt füllen und sich auf mancherlei Weise geben mit seinem Wort und Werken, uns zu helfen und stärken", sagt Luther zum Schluß des Traktats (268,14-16). So ist das Lied auch die politische Form eines "fühlenden" Glaubens und, so betrachtet, berührt es sich auch mit der im Abendmahl zu fühlenden realen Präsenz Christi. Denn Gott hat sich bewiesen als eine "feste Burg" durch manches "Wörtlein" Christi, welches im äußeren Wortlaut der Heiligen Schrift für uns fest dasteht.(16)

Fussnoten:

* Der Aufsatz ist ein Geschenk zum 70. Geburtstag meines verehrten Kieler Kollegen Gottfried Maron.
(1) Vgl. Herbert Wolf, Germanistische Luther-Bibliographie. Martin Luthers deutsches Sprachschaffen im Spiegel des internationalen Schrifttums der Jahre 1880-1980, 1995, 260-272.
(2) G. Maron, Die ganze Christenheit auf Erden. Martin Luther und seine ökumenische Bedeutung. Zum 65. Geb. des Vf.s hrsg. v. G. Müller u. G. Seebaß, Göttingen, 285 f.
(3) Zu den biblischen Motiven im Lied s. immer noch Rudolf Köhler, Die biblischen Quellen der Lieder. Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch I,2, Göttingen 1965, 320-325. S. auch M. Brecht, Zum Verständnis von Luthers Lied "Ein feste Burg" (1976), jetzt in ders. Ausgew. Aufsätze Bd. 1, Stuttgart 1995, 105-119 (105 ff.).
(4) O. Eissfeldt, "Ein feste Burg" und der 46. Psalm (1922), in ders. Kleine Schriften I, Tübingen 1962, 76-83. Vgl. jetzt Inge Mager, Martin Luthers Lied "Ein feste Burg ist unser Gott" und Psalm 46. JLH 30, 1986, 87-95. Der Aufsatz bleibt wertvoll wegen seines Nachweises eines hohen Stellenwertes von Psalm 46 in der Lutherbiographie, zumal während seines Aufenthaltes auf der Coburg 1530, als das Lied für seinen Schöpfer selbst wieder wichtig wurde. Eine ferner liegende, das wesentliche Lutherische nur streifende Parallele wurde in einer Ode aus dem Straßburgeer Humanistenkreis gefunden von V. Sack, "Glauben" im Zeitalter des Glaubenskampfes, Universitätsbibliothek Freiburg i. Br. 1988.
(5) W. von Meding, Ein feste Burg ist unser Gott. Martin Luthers christliche Auslegung des Psalms 46. ZThK 90, 1993, 25-56 (48 f.). Trotz seiner m. E. verunglückten These hat auch dieser Aufsatz die Forschungsgeschichte gründlich aufgearbeitet; nur die wichtigen Beobachtungen von K. Burba und M. Brecht wurden übersehen oder verkannt (s. u. Anm. 9 u. 10).
(6) M. Jenny, Neue Hypothesen zur Entstehung und Bedeutung von "Ein feste Burg". JLH 9, 1964, 143-152 (147). Ders., "... und kein’ Dank dazu haben ..." MuK 39, 1969, 227 f. ­ W. Jens, Die verflixte vierte Strophe. In: M. Reich-Ranicki [Hrsg.], Frankfurter Anthologie 8, 1984, 15-18. ­ P. Rühmkorf, Anfechtungen beim Singen eines Trutzliedes. In: M. Reich-Ranicki a. a. O. 27-30 (27). Zum Ganzen v. Meding (s. o. Anm. 5), 27.
(7) Zur Bedeutung des Liedes im norwegischen Kirchenkampf vgl. A. Fjellbu, En biskop ser tillbake, Oslo 1960, 240 f. G. Heiene, Eivind Berggrav, Göttingen 1997, 156. Typisch ist der Titel "Nehmen sie den Leib" über einem in Norwegen populären Taschenbuch zur Widerstandsbewegung: Per Hansson [Hrsg.], Og tok de enn vårt liv, Oslo 1965 (danach 5 Auflagen).
(8) M. Jenny, Luthers Gesangbuch. In: H. Junghans [Hrsg.], Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546, 1983, 311.
(9) W. Stapel, Entstehungszeit und Sinn des Liedes "Ein feste Burg", in: Luther 25, 1954, 41-45. ­ K. Burba, Die Christologie in Luthers Liedern, Gütersloh 1956, 54 f.
(10) Brecht, Zum Verständnis (s. o. Anm. 3), 114.
(11) M. Brecht, Martin Luther, Band 2, Calw 1986, 303 f., 315.
(12) Brecht, Zum Verständnis (Anm. 3), 107.
(13) Brecht, Martin Luther (s. o. Anm. 11), 302: "Am 11. März war er so konzentriert bei der Arbeit, daß er sich auch durch Korrespondenzverpflichtungen nicht abhalten ließ. Zehn Tage später war der Abschluß in Sicht." Vgl. WA B 4, 174; 177,9-16.
(14) Vgl. E. Troeltsch, Über historische und dogmatische Methode in der Theologie (1898). In: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2: Zur religiösen Lage, Religionsphilosophie und Ethik, 1913, 729-753. In einer, die bekannte Debatte über den theologischen Wert der Kirchengeschichtsdisziplin durch eine neue, nicht gerade originelle Formel ("Kirchengeschichte als die Inanspruchnahme des Christlichen"), aber durch lehrreiche Literaturkritik bereichernden Antrittsvorlesung hat A. Beutel darauf hingewiesen: Vom Nutzen und Nachteil der Kirchengeschichte. Begriff und Funktion einer theologischen Kerndisziplin, ZThK 94, 1997, 84-110 (88,91).
(15) M. Petzoldt, Gottesdienst und Kantate am Reformationsfest zur Bachzeit in Leipzig, Privatdruck 1990 (vorher japanisch: Almanach der Bach-Akademie Tokyo 1988).
(16) Ich danke für weiterführende Kritik, die ich vor Drucklegung dieses Aufsatzes in der Theologischen Fakultät Oslo und im Europäischen Institut für Geschichte in Mainz erhielt, wo ich am 5. Mai und am 19. Juni 1997 meine Beobachtungen vortragen durfte.