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Ausgabe:

März/1999

Spalte:

284 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dawes, Gregory W.

Titel/Untertitel:

The Body in Question. Metaphor and Meaning in the Interpretation of Ephesians 5:21-33.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 1998. XIV, 264 S. gr.8 = Biblical Interpretation Series, 30. Lw. hfl 145.-. ISBN 90-04-10959-5.

Rezensent:

Gerhard Sellin

Dieses Buch, eine neuseeländische Dissertation, ist nicht nur die bisher ausführlichste Untersuchung zu Eph 5,21-33, sondern zugleich eine für die Theologie des gesamten Eph grundlegende Studie.

Der Aufbau ist auf den ersten Blick nicht ganz leicht zu durchschauen: Der Vf. setzt in der Einleitung mit der Debatte um die heutige Rezeption der Eheparänese des Eph ein (zwischen Apologetik und Abweisung der patriarchalen Hausordnung). Dadurch gewinnt er einen hermeneutischen Bezugsrahmen. In einem ersten Hauptteil schließt er sich der neueren literaturwissenschaftlichen Metapherntheorie an, wie sie heute auch in der deutschen Gleichnisexegese bevorzugt wird. Der äußerliche Anlaß für den Einsatz der Metaphorologie ist die Tatsache, daß in Eph 5,21-33 (wie im ganzen Schreiben) die Termini "Haupt" und "Leib" in metaphorischer Funktion eine tragende Rolle spielen. Nun hat jedoch der metaphorologische Ansatz eine grundsätzlichere Bedeutung mit weitreichenden Konsequenzen: Lebendige Metaphern führen innerhalb des Textes mit ihrer je eigenen Bildlogik und Bildmacht eine Art Eigenleben. So kommt es zu Kohärenz- und Konsistenzsprüngen, deren Aufdeckung letztlich nicht nur die Interpretationsmuster der Rezeption des Eph, sondern auch die scheinbar manifeste Intention des Verfassers von Eph unterminiert. Es gibt daher keine Lektüre des Textes, die vollständig konsistent ist. Der Vf. ist jedoch kein reiner Rezeptionalist oder Dekonstruktivist, auch wenn er letzterem ein wenig nahe kommt (vgl. 231 seinen Hinweis auf David Seeley): In syntaktischer und vor allem semantischer Hinsicht arbeitet er streng text- und autorbezogen bzw. streng orientiert an der Autor-Adressaten-Enzyklopädie, d. h. historisch.

Diese Arbeit erfolgt im zweiten, dem analytischen Hauptteil. Zunächst wird syntaktisch die Argumentationsstruktur nachgezeichnet: V. 21 und 33 rahmen einen zweiteiligen Text, V. 22-24 (Aufforderung an die Frauen, sich unterzuordnen), V. 25-32 (Aufforderung an die Männer, ihre Frauen zu lieben). V. 33 faßt beide Teile zusammen, V. 21 transzendiert beide insofern, als gegenseitige Unterordnung gefordert wird. Beide Teile haben jeweils eine paränetische (bezogen auf die Ehepartner) und eine dogmatische Ebene (bezogen auf Christus und die Kirche). Zusammengehalten werden beide durch einen Verbund von Metaphern ("Haupt", "Leib" bzw. "Fleisch"). Dabei ergeben sich in der semantischen Analyse (in die immer auch die übrigen Vorkommen im Eph einbezogen werden) einige Inkonsistenzen und subtile Differenzen: (1) "Haupt" ist Christus zwar in Bezug auf den Kosmos, doch sein "Leib" ist nicht der Kosmos, sondern die Kirche: "the church has a relationship to Christ which the cosmos does not" (141). Den Grund dafür sieht der Vf. in der Eschatologie: Bisher ist die Herrschaft Christi nur in der Kirche etabliert (148 f.). (2) Die metaphorischen Prädikationen haben doppelte Referenten, jeweils auf ethischer und dogmatischer Ebene ("Leib": Ehefrau und Kirche; "Haupt": Ehemann und Christus; mia sarx: Beziehung der Eheleute und Beziehung Christus-Kirche). (3) Einerseits steht "Leib" holistisch für die Einheit der Glieder (2,16; 3,6; 4,4.12; 5,30), wobei Christus diesen Leib repräsentiert, andererseits partitiv im Gegenüber zum "Haupt" (1,23; 4,16; 5,23). Der holistische Gebrauch hat egalitäre, der partitive hierarchische Tendenz. (4) Das Verhältnis der dualen Glieder ist teilweise symmetrisch (so innerhalb der holistischen Verwendung der soma-Metapher sowie der mia sarx-Aussage), teilweise asymmetrisch (das "Haupt" dominiert den "Leib").

Der dritte Hauptteil wechselt von der analytischen wieder auf die hermeneutische Ebene: Dem Verfasser des Eph wird die patriarchale Intention zwar attestiert, doch bedeutet der Nachweis, daß der Text mit symmetrischen, nicht-hierarchischen Aussagen durchsetzt ist, eine Unterminierung dieser patriarchalen Intention, welche heutiger Lektüre die Freiheit einräumt, sich nicht an die historische Gesellschaftsstruktur der Vergangenheit zu binden. Dafür gibt es vor allem zwei Hinweise: (1) Die Aufforderung zur Unterordnung ist reziprok (5,21: allelois). (2) Von 5,1-2 her (Aufforderung an alle Adressaten, Liebe als imitatio dei zu üben) kann 5,25 ff. nicht allein an die Ehemänner gerichtet sein.

Es folgt noch ein Appendix: eine Analyse von Eph 1,23b: die Kirche als to pleroma tu tá panta en pasin pleruménu, "one of the most difficult phrases in the New Testament" (239). Der Vf. schlägt eine Deutung vor, die dem Pleroma-Konzept des Kol entspricht: Die Kirche ist "erfüllt von dem, der gänzlich erfüllt ist [von Gott]" (wobei pleroma und plerumenu passivisch, ta pánta en pasin adverbial verstanden werden), doch letztlich behauptet er, die Aussage sei syntaktisch-semantisch nicht eindeutig bestimmbar.

Die - nicht immer leicht lesbare - Arbeit ist aufgrund ihres hermeneutischen Horizontes, ihrer methodologischen Reflektiertheit und ihrer methodischen Strenge überzeugend und eine der interessantesten neueren Veröffentlichungen zu Eph. Einen Einwand bzw. Wunsch möcht ich dennoch vorbringen: An einigen Stellen bleibt mir der Vf. etwas vorschnell bei der Konstatierung von Kohärenzsprüngen, Inkonsistenzen und Ambiguitäten stehen. So wäre z. B. der doppelte soma-Begriff (einmal absolut, einmal als Gegenüber zum "Haupt") religionsgeschichtlich weiter zu verfolgen gewesen. Für Philon von Alexandrien, auf den der Vf. häufig gestoßen ist, ist der Logos zugleich der Körper oder Raum der intelligiblen Welt (der Ideen) und (als Spitze und Quelle) ihr "Haupt". Ebenso findet sich dieses "Modell" in Bezug auf das Römische Reich und seinen Kaiser, der als "Haupt" das Reich leitet und repräsentierend verkörpert. Auch für 1,23b wäre von daher etwas mehr Klarheit zu erreichen gewesen. Doch war der Vf. von seinem metaphernsemantischen Ansatz her zu einer solchen Weiterarbeit nicht unbedingt verpflichtet.