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Ausgabe:

März/1998

Spalte:

314 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Bryner, Erich

Titel/Untertitel:

Die Ostkirchen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 1996.144 S. gr.8° = Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen, III/10. DM 22,80. ISBN 3-374-01620-0.

Rezensent:

Gisela-Athanasia Schröder

Der Untertitel läßt bereits erkennen, daß der Band dem von Ulrich Gäbler, Gerd Haendler und Joachim Rogge verantworteten Sammelwerk zuzuordnen ist, das seit 1980 in der Evangelischen Verlagsanstalt erscheint. Der gewählte Epocheneinschnitt des 18. Jh.s ist nur für die russische Orthodoxie von Bedeutung, die in dieser Zeit durch Peters Reformen tiefgreifende Veränderungen hinnehmen mußte. Für den Leser ergibt sich jedoch aus dem ausführlichen Rückbezug auf die Geschichte der jeweiligen Landeskirche ein besseres Verständnis der gegenwärtigen Situation.

Der Vf. gliederte den Inhalt "nach historischen und geographischen Überlegungen, nicht nach der offiziellen kirchenamtlichen Rangordnung" (5). So werden in eigenen Kapiteln "Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel" (Kap. 1, 20-33); "Die Russische Orthodoxe Kirche" (Kap. 3, 43-65) und "Die Georgische Orthodoxe Kirche" (Kap. 4, 66-70) abgehandelt. Die anderen Kirchen faßt der Autor in Gruppen zusammen: "Die Orthodoxen Kirchen im Vorderen Orient und im Ostmittelmeerraum" (Kap. 2, 33-39); "Die Orthodoxen Kirchen in Südosteuropa" (Kap. 5, 71-108); "Die Orthodoxen Kirchen in Ostmitteleuropa" (Kap. 6, 109-114); "Die orientalischen Nationalkirchen" (Kap. 7, 115-127); "Die mit Rom unierten Ostkirchen" (Kap. 8, 128-131).

Es bleibt zweifelhaft, ob das Buch dadurch, wie der Vf. wünschte, "an Klarheit gewonnen hat" (5). Für den Nichtfachmann bietet die "offizielle kirchliche Rangordnung" wohl immer noch die beste Übersicht. Auch wären Unstimmigkeiten bei der Zuordnung einzelner Landeskirchen vermieden worden. Die sechs Zeilen über die Japanische Autonome Kirche (59) findet der Leser rein zufällig unter der Überschrift: "Die Russische Orthodoxe Kirche in nachkommunistischer Zeit" (57). Dabei erhielt die japanische Orthodoxie ihre Autonomie schon 1970 unter Patriarch Aleksij I. Die zahlenmäßig fast ebenso starke Autonome Orthodoxe Kirche von China sucht man dagegen vergebens.

Das Schlußkapitel "Orthodoxie und Ökumene" (Kap. 9, 132-138) gibt einen guten Überblick über die Beziehungen der einzelnen orthodoxen Landeskirchen zur Heterodoxie in unserem Jahrhundert. Der Autor bemüht sich um eine gerechte Beurteilung der Vergangenheit wie der gegenwärtigen Krise. Der Beitritt der Russischen Orthodoxen Kirche zum Ökumenischen Rat der Kirchen 1961 ist jedoch nicht allein aus politischen Erwägungen heraus zu erklären. Entscheidend aus theologischer Sicht war doch wohl die Erweiterung des Basisartikels auf den Glauben an den dreieinigen Gott! Ebensowenig läßt sich der Verbleib einzelner Landeskirchen im Ökumenischen Rat allein auf den wirtschaftlichen Aspekt zurückführen. Die orthodoxen Kirchen haben sich von Beginn an positiv für den Rat engagiert. Wenn sie trotzdem immer wieder Bedenken und dogmatische Kritik anmelden, dann doch nur, damit sie ihren spezifischen orthodoxen Beitrag einbringen können!

Der Vf. ist, das läßt sich durch das gesamte Werk verfolgen, um eine ausgewogene und objektive Darstellung der Sachverhalte bemüht. ­ Allein im Abschnitt "Die Orthodoxe Kirche im Krieg in Ex-Jugoslawien" (89-92) vermißt der Leser die Ausgewogenheit! Die Darlegungen bleiben einseitig, wenn nicht erwähnt wird, daß die Serben seit 1804 um ihre staatliche Selbständigkeit kämpften und diese 1918 auch erreichten. In Bezug auf die Gegenwart bedeutet dies, daß niemand glauben sollte (und hier möchte ich die Presseerklärung von K. Ch. Felmy, F. v. Lilienfeld u. H. Ohme v. 17. Nov. 1995 zitieren), "die Serben würden es widerstandslos hinnehmen, durch die internationale Diplomatie von einem in allen seinen Teilen seit 1918 in einem Staat lebenden Volk zu einem auf vier Staaten ... zersplitterten degradiert zu werden, und so von einer anerkannten staatsbildenden Nation zu einer nationalen Minderheit in drei Staaten zu werden, deren Minderheitenrechte zum Zeitpunkt der internationalen Anerkennung nicht einmal eindeutig formuliert, geschweige denn gesichert waren" (4/5).

Die Fülle des Stoffes erforderte eine gewisse Auswahl und Einschränkung. Das führte jedoch manchmal zu Akzentverschiebungen, die sicher nicht beabsichtigt sind, aber mißverstanden werden können. Dazu einige Beispiele: Gewiß befand sich die ROK vor 1917 "in einem schlechten Zustand" (47). Wenn man in diesem Zusammenhang jedoch Rasputin erwähnt, so ist der Skandal kaum der Kirche anzulasten! Rasputin war kein orthodoxer Christ, er gehörte einer Sekte an: Als Metropolit Vladimir von St. Petersburg und Ladoga 1915 den Zaren trotzdem auf das kompromittierende Betragen Rasputins aufmerksam machte und seine Verbannung nach Sibirien erreichen wollte, fiel er selbst in Ungnade und wurde sofort nach Kiew versetzt, weil die Zarin seine Intervention als Eingriff in ihre Privatsphäre betrachtete.

Im Hinblick auf das Mönchtum impliziert ein solcher Satz: "Mönche und Nonnen wurden zu einer gesellschaftlich nützlichen Arbeit verpflichtet" (41), daß die Klöster vorher nichts zum Nutzen der Gesellschaft beigetragen haben. Nicht nur die reiche diakonische Tradition der Ostkirche, die vom Mönchtum ausging, spricht gegen dieses Urteil! Im Gegenteil, Peters Reformen vernichteten die Klöster weitgehend als Stätten der Kultur, der Bildung, der Mission, der Seelsorge und als Basis für eine eigenständige, vom Staat unabhängige Sozialarbeit!

Zu korrigieren wäre: Nicht Metropolit Ewlogi Kasanski gründete das St. Sergius-Institut in Paris, sondern Evlogij Georgievskij (61). Die Auslandskirche machte 1945 auf der Flucht nur in Karlsbad kurz Station (61), natürlich konnte sie ihren Sitz aus politischen Gründen nicht dort einrichten. Die Gespräche mit der Rumänisch-Orthodoxen Kirche begannen erst 1979 (137).

In unserer Zeit, die auf ein vereinigtes Europa zugeht, zu dem auch Osteuropa gehört, ist ein besseres Wissen um die Besonderheiten der Ostkirchen in Theologie und Tradition sowie die Kenntnis der Geschichte der einzelnen Landeskirchen eine notwendige Voraussetzung für den gemeinsamen Weg. Das Werk erfüllt diese Anliegen auf kompetente Weise, darum sei es Theologiestudenten, Pfarrern und Laien als nützliche Lektüre empfohlen.