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Ausgabe:

März/1998

Spalte:

308 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Sonnberger, Klaus

Titel/Untertitel:

Die Leitung der Pfarrgemeinde. Eine empirisch-theologische Studie unter niederländischen und deutschen Katholiken.

Verlag:

Kampe : Kok; Weinheim: Deutscher Studienverlag 1996. VIII, 303 S. gr.8° = Theologie & Empirie, 25. Kart. hfl 64,90. ISBN 90-390-0551-6 u. 3-89271-655-2.

Rezensent:

Reinhold Reck

Die übergreifende Forschungsfrage Sonnbergers, die er mit dem Instrumentarium der empirischen Sozialforschung bearbeitet, lautet: "Welche Auffassungen von Kirche bestimmen die Bereitschaft von Katholiken zur Partizipation an der Leitung der Pfarrei?" (4).

Ausgehend von den kirchlichen und theologischen Entwicklungen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, die Partizipation ganz allgemein als konstitutives Element kirchlichen Selbstvollzugs bewußt gemacht haben, nähert sich S. schrittweise der Frage nach der Motivation zur Partizipation an der Leitung einer Pfarrei an, indem er zunächst die allgemeinen Strukturideen von Kirche (hierarchisch, egalitär, transitiv) untersucht, dann die Legitimationsformen kirchlicher Autorität in der Pfarrei (legal, traditional, charismatisch, funktional) und die konkrete Gestalt der Leitung in der Pfarrei (monokratisch, demokratisch) in den Blick nimmt. Die weiteren Untersuchungsschritte richten sich mit Hilfe einer Skala von fünf Graden (Mitwissen ­ Mitdenken ­ Mitreden ­ Mitbeschließen ­ Selbst bestimmen) auf das Partizipationsverständnis der Katholiken und auf ihre Motivation zur Partizipation an der Leitung der Pfarrgemeinde, um schließlich eine kausale Bestimmung der Motivation zur Partizipation zu erarbeiten. In einem abschließenden Schritt versucht S. eine hypothetische Rekonstruktion kirchlicher Leitung als System.

Methodisch durchgängig werden zu den einzelnen Untersuchungsschritten auf der Basis theologischer bzw. sozialwissenschaftlicher Literatur Hypothesen erstellt, diese dann mit einer Anzahl von Items (Fragebogenformulierungen) operationalisiert und über EDV-gestützte Auswertung der Befragungsergebnisse verifiziert, differenziert bzw. falsifiziert.

Grundlage der Befragung im Jahr 1990 waren nicht repräsentative Stichproben aus den katholischen Pfarreien der niederländischen Stadt Oosterhout und der deutschen Stadt Kleve.

Das meines Erachtens interessanteste Resultat ist die fast durchgängige Abweichung von Erwartung und Befragungsergebnis beim Vergleich der Stichprobe nach Nationalität. Die von S. jeweils nach ausführlicher Erörterung vertretene Erwartung einer eher progressiven Haltung bei den niederländischen und einer eher konservativen bei den deutschen Katholiken hat sich nicht bestätigt; die Situation stellt sich vielmehr genau umgekehrt dar. Allerdings hat dies nach der Analyse S.s nichts mit der Nationalität zu tun, sondern mit den Unterschieden bei anderen personbezogenen Kennzeichen wie Schulbildung, Alter, Kirchlichkeit, Wahlverhalten etc.; es bleibt aber dennoch die Frage, warum diese Faktoren bei beiden Gruppen so signifikant verschieden sind.

Speziell für die Motivation zur Partizipation ließ sich entgegen der Erwartung weder bei der niederländischen noch bei der deutschen Vergleichsgruppe ein relevanter Einfluß der personbezogenen Merkmale Alter, Schulbildung, Wahlverhalten und Gebetspraxis nachweisen. Positiven Einfluß hatten bei der niederländischen Gruppe die Merkmale Gottesglaube, Kirchlichkeit und Auffassung bezüglich der Adaption der Kirche an die gesellschaftlichen Verhältnisse, bei der deutschen Gruppe nur das Merkmal Kirchlichkeit; allerdings wurde hier ein kausaler negativer Einfluß der religiösen Sozialisation festgestellt.

Bezüglich der kirchlichen Auffassungen der Befragten wurden nur bei der niederländischen Gruppe negative Einflüsse auf die Motivation zur Partizipation sichtbar: bezogen auf Auffassungen einer hierarchischen Struktur, einer traditional-legalen Legitimation und einer monokratischen Leitung. Bei der deutschen Gruppe dagegen sind diese Faktoren nicht relevant. Einzig für die starke Erwartung von Partizipation ist eine positive Kausalität deutlich.

Die Rekonstruktion kirchlicher Leitung unter dem Postulat der Verwirklichung einer partizipatorischen kirchlichen Gemeinschaft geht S. an, indem er gemäß den beiden Grundsätzen der Ekklesialität und der Kontextualität kirchlicher Strukturen und unter Rückgriff auf den Systembegriff postuliert, "daß unterschiedliche Strukturvorstellungen nicht unvermittelt nebeneinander stehen bleiben" (230). Aber gerade die Tatsache, daß dafür Rekonstruktionen des Hierarchiebegriffs und des Traditionsbegriffs sowie eine Nuancierung des Monokratiebegriffs notwendig wurden, zeigt, daß diese Rekonstruktion der kirchlichen Leitung sich kaum mehr auf die Ergebnisse der Befragung berufen kann, sondern einen ­ wiewohl sehr interessanten ­ prospektiven Entwurf darstellt. Denn die rekonstruierten Begriffe von Hierarchie und Tradition, wären sie der Befragung zugrunde gelegt worden, hätten wohl zu deutlich anderen Ergebnissen geführt.

Die Arbeit ist in den Teilen, wo es um theologisch-sozialwissenschaftliche Hypothesenbildung geht, mit normaler theologischer Fachausbildung gut les- und nachvollziehbar, erfordert aber im Hinblick auf die empirischen Teile und auch auf das Gesamtkonzept der Untersuchung doch zumindest Grundkenntnisse der empirischen Sozialforschung und der Statistik. Insofern ist die hohe Redundanz in verschiedenen Textpassagen, am deutlichsten bei den Interpretationen der abgedruckten Tabellen, die über eine Wiederholung der Zahlenwerte kaum hinausgeht und auf die Deutung gerade auch von der Erwartung abweichender Ergebnisse leider oft verzichtet, unnötig.

Ungeachtet der kritischen Anfragen macht die Arbeit aber nicht zuletzt auch sehr klar, welch mühsames Geschäft die empirische Sozialforschung einerseits ist, wie sehr sie andererseits aber in ihren begrenzten Möglichkeiten die Chance bietet, theoretisch (vor-)schnell gefaßte (Vor-)Urteile in Frage zu stellen.

Nur am Rande: Die beigegebene Liste von etwa hundert Errata ist bei weitem nicht vollständig; angefangen beim Buchrücken wäre eine etwas sorgfältigere Satzkorrektur auch bei einem wissenschaftlichen Werk wie diesem ein Gewinn für die Buchkultur.