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Ausgabe:

März/1998

Spalte:

303 f

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Puza, Richard u. Abraham Peter Kustermann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Neue Verträge zwischen Kirche und Staat. Die Entwicklung in Deutschland und Polen.

Verlag:

Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag 1996. 149 S. gr.8° = Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat, 46. ISBN 3-7278-1082-3.

Rezensent:

Hartmut Kreß

Der vorliegende Band enthält die Beiträge einer Tagung der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart (zusammen mit den Lehrstuhl für Kirchenrecht der Kath.-Theol. Fakultät Tübingen) von 1994. Der Band erörtert die Verträge, die zwischen der evangelischen bzw. katholischen Kirche und dem Staat in den neuen Bundesländern seit 1990 bis 1994 verhandelt worden sind. Zudem werden die Konkordatsverhandlungen in Polen vorgestellt (Puza, 109-119).

Über die Verträge, die die evangelische Kirche betreffen, berichtet der Beitrag von E.-L. Solte (79-97). Für die katholische Kirche ging es zunächst um Verträge zur Errichtung neuer Bistümer und zur Neuordnung von Bistumsgrenzen (hierzu der Erfurter Kirchenrechtler K. Hartelt 57-77). Darüber hinausgehende Konkordate lagen 1994, zum Zeitpunkt der Tagung, in den östlichen Bundesländern noch nicht vor. Es entspricht europäischen Entwicklungen und ist Ausdruck des religiösen Pluralismus sowie des Gleichbehandlungsgrundsatzes, daß der Staat inzwischen ebenfalls mit kleineren Religionsgemeinschaften Verträge schließt. In einigen neuen Bundesländern bestehen jetzt Verträge mit Jüdischen Gemeinden (Puza, 16). Auch die christlichen Kirchen selbst sind in den neuen Bundesländern in einer Minderheitensituation. Angesichts dessen haben die neuen Staatskirchenverträge für die Belange der evangelischen Kirche sicherlich "ein Optimum" erzielt (E.-L. Solte, 97).

Insgesamt lehnen sich die neuen Verträge zwischen Kirche und Staat an die älteren Vertragswerke an, die seit den 20er bzw. den 50er Jahren bestehen. Dennoch treten ­ wie der vorliegende Band aufzeigt ­ auch Neuerungen zutage. Zum Beispiel verzichten die neuen Bundesländer durchweg auf den Treueid des katholischen Bischofs gegenüber dem Staat. Hierdurch wird der modernen Entwicklung des Verhältnisses von Kirche und weltanschaulich neutralem Staat Rechnung getragen (vgl. 69 f.). Ein neuralgischer Punkt bei den katholischen Konkordatsverhandlungen, die 1994 noch nicht abgeschlossen waren, war der Status evtl. zu errichtender Katholisch-Theologischer Universitätsfakultäten. Dabei war das Nihil obstat des Bischofs bzw. die Abberufung von kirchlich beanstandeten katholischen Hochschullehrern in staatlichen Fakultäten strittig. Die staatliche Seite war "nicht bereit, diese Regelung" weiterhin "zu akzeptieren", und wollte offenbar eine "Beeinträchtigung der Hochschulautonomie" vermeiden (K. Hartelt, 75; vgl. Kustermann/ Puza, 10).

Um so mehr überrascht es, daß sich die neuen evangelischen Staatskirchenverträge im Blick auf die Ernennung von evangelischen Theologieprofessoren nun ihrerseits dem katholischen Nihil obstat annähern (vgl. 8, 85 f.). Für die betroffenen Bundesländer war dies nur sehr schwer akzeptabel.(1) Die neuen Regelungen bedürfen der kritischen Diskussion. Das evangelische Verständnis von Lehrfreiheit und plural wahrgenommener Lehrverantwortung, das in Kirche und Theologie seit der Reformation gilt, bedeutet eigentlich, daß Einschränkungen, die katholische Fakultäten betreffen, auf evangelische Fakultäten nicht übertragbar sind.

Dies hat u. a. Wolfgang Huber dargelegt.(2) Der Jurist Hermann Weber, Berater des Landes Thüringen für den dortigen evangelischen Staatskirchenvertrag, äußerte die Befürchtung, an der Frage des Berufungsverfahrens von Theologieprofessoren könnte sich in den neuen Staatskirchenverträgen ein bedenklicher Trend zur "Rekatholisierung" (zit. 88) evangelischer Fakultäten andeuten. Der Legitimation der evangelischen Theologie als Universitätswissenschaft sei dies auf Dauer abträglich.(3) Ähnliches äußert in dem vorliegenden Band der baden-württembergische Landtagsvizepräsident Alfred Geisel (106). Leider behandelt der Band dieses Problem dann aber nicht eingehender.

Eine andere, besonders wichtige Frage im Schnittfeld von Staat und Kirche ist der Religionsunterricht. Angesichts des kulturellen und religiösen Traditionsabbruchs in der Gesellschaft sollte der Vermittlung religiösen und ethischen Orientierungswissens im Bildungssystem ein hoher Stellenwert zukommen. Für Schülerinnen und Schüler, die sich vom Religionsunterricht abmelden, ist ein obligatorischer Ethikunterricht denkbar.(4) Aufgrund der Entwicklung in Brandenburg ist das Thema Religionsunterricht staatskirchenrechtlich inzwischen noch dringlicher geworden. Der vorliegende Band erörtert es nur knapp. In erhellender Weise informiert er jedoch über Grundsatzaspekte der Konkordate bzw. Verträge, die die katholische Kirche seit dem 19. Jh., die evangelische Kirche seit dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments 1918 kennt (Puza, 13-29; D. Pirson, 31-49; G. Robbers, 51-56). Dabei wird für die katholische Sicht der Beziehung von Staat und Kirche deutlich, daß "eine geschlossene Konkordatstheorie" zur Zeit nicht vorhanden (22) und die alte Lehre von der societas perfecta heute zu problematisieren ist (so Puza, 23 f., oder der niederländische Kirchenrechtler K. Walf, 124).

Es ist überaus sinnvoll, daß das Buch auf die neuen Staatskirchenverträge aufmerksam macht. In evangelischen Fakultäten ist das Kirchen- bzw. Staatskirchenrecht institutionell kaum verankert. Jedoch verdienen das Staatskirchen- sowie Religionsrecht heute hohe Beachtung. In der Bundesrepublik zogen neuere politische Voten Regelungen der bestehenden Staatskirchenverträge, vor allem die staatlichen Finanzleistungen an die Kirche, jetzt bereits in Zweifel. Gesamteuropäisch werden die Tendenzen der Entkonfessionalisierung sowie der europäischen Rechtsangleichung in Zukunft beträchtlichen staatskirchen- und religionsrechtlichen Diskussionsstoff ergeben. ­ Es ist zu wünschen, daß der vorliegende Band dazu anregt, daß auch die evangelische Theologie diese Debatte stärker beachtet.

Fussnoten:

(1) Vgl. A. Vulpius, Der Evangelische Kirchenvertrag Sachsen-Anhalt unter besonderer Berücksichtigung der Nihil obstat-Frage, in: JÖR 1995, (327-354), 329 f. u. ö.
(2) Vgl. W. Huber, Wissenschaftsfreiheit III, in: EvStLex, 31987, 4091-4095.
(3) Vgl. H. Weber, Der Wittenberger Vertrag ­ Ein Loccum für die neuen Bundesländer?, in: NVwZ 1994, (759-766) 764 f.
(4) Erwägungen in dieser Richtung enthält auch die Denkschrift der EKD zum Religionsunterricht "Identität und Verständigung", hrsg. vom Kirchenamt der EKD, 1994. Vgl. ebd. 37 ff. zu Rechtsaspekten, 73 ff. zum Verhältnis zwischen Religions- und Ethikunterricht.