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Ausgabe:

März/1998

Spalte:

301 f

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Bock, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Das für alle geltende Gesetz und die kirchliche Selbstbestimmung. Eine verfassungsrechtliche Untersuchung am Beispiel des Amtsrechts der evangelischen Kirchen.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1995. 358 S. gr.8° = Jus Ecclesiasticum, 55. Lw. DM 118,­. ISBN 3-16-146492-3.

Rezensent:

Albert Stein

Die vorliegende Arbeit ist die für den Druck überarbeitete Fassung einer 1993 vorgelegten Frankfurter rechtswissenschaftlichen Dissertation, die von Michael Stolleis und Erhard Denninger betreut wurde. Sie bezieht sich bereits im Titel auf die verfassungsrechtliche Grundnorm des bis heute im deutschen Staatskirchenrecht weitergeltenden Artikels 137 der Weimarer Verfassung. Die von ihr vorgesehene Grenzziehung zwischen staatlicher und kirchlicher Regelungskompetenz wird bis heute in Schrifttum und Rechtssprechung unterschiedlich verstanden.

Ein Hauptfeld der praktischen Auseinandersetzung bieten dabei gegenwärtig Fragen des kirchlichen Amtsrechts. Denn dort pflegen sich bei kirchenrechtlichen Eingriffen in die persönlichen Verhältnisse kirchlicher Bediensteter die Kirchenverwaltungen auf die Besonderheiten des kirchlichen Auftrages zu berufen; die Betroffenen verteidigen sich dagegen meist durch einen Hinweis auf die großzügigere Handhabung im staatlichen Dienst- und Arbeitsrecht. Zu einer Stellungnahme in diesem Bereich ist der Vf. des anzuzeigenden Werkes durch wissenschaftliche Mitarbeit beim Bundesverwaltungsgericht wie auch bei der Heidelberger Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) bestens ausgewiesen. Seine 1993 abgeschlossenen Untersuchungen haben inzwischen noch an Aktualität gewonnen; denn seither hat bekanntlich eine drastisch veränderte Finanzlage die Kirchen in Deutschland dazu geführt, außer Einsparungen und Stellenstreichungen auch Eingriffe in das Amts- und Besoldungsrecht der kirchlichen Dienste zu erörtern.

Im ersten Kapitel der Abhandlung (4-43) erörtert der Vf., der sich bewußt auf die Bedeutung des geltenden deutschen Staatskirchenrechtes für die evangelischen Kirchen in Deutschland beschränkt, zunächst das ihnen eigene Kirchenrecht summarisch nach seinen Grundstrukturen (4-20). Sodann fragt er nach dem Kerngehalt ihres geltenden Beamten- und Pfarrerdienstrechts (20-31) sowie den sich daraus möglicherweise ergebenden Rechtskonflikten (31-43). Er betont dabei zunächst die Bekenntnisbindung des evangelischen Kirchenrechtes und seine daraus folgende Ausrichtung auf die "Mitte der Schrift" (4 f.). Andererseits sieht er aber auch klar, daß das evangelische Kirchenrecht bei Zugrundelegung eines empirisch-soziologischen Rechtsbegriffes trotz seiner Eigengeartetheit doch menschliche Antwort auf das Evangelium bleibt und deshalb die allgemeinen Strukturprobleme allen Rechtes teilt (10 f., 19f.).

Für das rechtliche Verständnis des Pfarrdienstes (20-27) wird herausgestellt, daß durch die Ordination dem Amt in bezug auf seinen geistlichen Auftrag ein Freiraum eigenständiger Gestaltungsfreiheit gewährt wird. "Die zentrale Bedeutung der Bekenntnisbindung führt dazu, daß die auf den Auftrag der Kirche bezogenen Pflichten Vorrang vor anderen Rechtspflichten haben. Sie stehen im Zentrum des dienstrechtlichen Pflichtenkreises und gehen im Konfliktfalle anderen Dienstpflichten, darunter auch der Gehorsamspflicht vor" (21 unter Hinweis auf ein am 14. 3. 1940 [!] ergangenes Urteil des Disziplinarhofes der damaligen DEK). Auch für das kirchliche Beamtenrecht wird eine entsprechende Abstufung der Pflichten postuliert (30).

Sodann werden als Felder möglicher Konflikte eine Reihe typischer Streitfälle aus dem Pfarrerleben (31-39) anhand einschlägiger Gerichtsentscheidungen geschildert und kritisch kommentiert (39-43). Hieraus ergeben sich dann die Zielfragen der nachfolgenden staatskirchenrechtlichen Erörterungen.

Die fünf nachfolgenden Kapitel zum geltenden Staatskirchenrecht (44-312) bewegen sich, was dem besseren Verständnis des Wandels der Auffassungen dienen soll, zwischen zwei Polen hin und her (2): Einer Darstellung der auf Sicherung eines Eigenbereiches kirchlicher Selbständigkeit bedachten Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes seit 1953 (54-72) folgt zunächst ein Bericht über deren kontroverse Würdigung im Schrifttum (74-132). Dann wird die spätere Rechtssprechung von Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgericht (133-210) in ihrer Entwicklung dargestellt. Beide bemühen sich mit unterschiedlichen Akzenten um eine Abwägung zwischen dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften und dem Schutz der Rechtsgüter und Grundfreiheiten anderer, die ebenfalls verfassungsrechtlich garantiert werden. Dabei sieht der Vf. zusammenfassend in den neueren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zwar positive Aspekte, aber doch auch methodische Unsicherheit in einem Stadium des Überganges (209 f.).

Zwei weitere Kapitel über "die Religionsgemeinschaften in der pluralistischen Gesellschaft" (212-251) und "die Bedeutung der Schrankenklausel für kirchliche Amtsverhältnisse" (252-310) sind kritisch weiterführender Auswertung des fachwissenschaftlichen Streitstandes gewidmet. Im Ergebnis sieht der Vf. das Wesen des Staatskirchenrechts innerhalb eines "Verbände-pluralismus" durch den Ansatz beim Begriff einer kritischen Öffentlichkeit geklärt. Die Kirchen als Verbände innerhalb der gesellschaftlichen Öffentlichkeit der pluralistischen Demokatrie genießen auf Grund ihres besonderen Auftrages keine staatsnahe Sonderrolle, aber einen verfassungsmäßig gebotenen Sonderstatus; er umfaßt Glaubens- und Gewissensfreiheit, Gewährleistung von Religionsunterricht, rechtliche Autonomie in den Schranken der allgemeinen Gesetze, Feiertagsschutz und Kirchensteuerrecht (248-251).

Insbesondere für die kirchlichen Dienstverhältnisse folgert der Vf., daß die Kirchen aufgrund ihrer Selbstbestimmung sich den Modellen des staatlichen Rechtes (Arbeiter-, Angestellten- oder Beamtenrecht) nicht anzuschließen brauchen; sie dürfen neue schaffen oder Elemente aus verschiedenen Modellen kombinieren. Dabei müssen sie allerdings die für alle staatlichen Modelle gemeinsamen Normen beachten, sofern diese nicht gegen das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gerichtet sind (301 f.). Hinsichtlich der Dienstbezüge besteht demgemäß ein grundsätzlicher Anspruch auf Zahlung von Gehalt, dessen Höhe aber ist der jeweiligen kirchlichen Regelung zu entnehmen (306). Ordensangehörige und Diakonissen können sich zwar gemäß ihrer Religionsfreiheit möglicherweise total an ihre Organisation binden; diese trifft aber unter Umständen eine Sicherungspflicht für Aussscheidende (309 f.).

Zur Frage des Rechtsschutzes gegen kirchliches Handeln folgert der Vf., daß auch hier nach Art. 92 GG ein staatliches Rechtsschutzmonopol eingreife; die Religionsfreiheit ist im System des Grundgesetzes in das Rechtsschutzgebäude eingebettet (310-312). Jedoch dürfe das staatliche Gericht nicht selbst die Religionsbezogenheit einer Amtspflichtverletzung bewerten (315). Im Gegensatz zur gegenwärtigen Rechtssprechung der Staatsgerichte, die bei Bestehen eigener kirchlicher Gerichtsbarkeit bereits den staatlichen Rechtsweg verneint (62-67, 159-164, 208-210), bringt der Vf. das apodiktische Argument, Amtsübertragung und Gewaltausübung sei bei den Kirchengerichten nicht demokratisch legitimiert (115); nähere Erörterung hätte zu differenzierterem Urteil führen können.(1)

Insgesamt verdient die scharfsinnige Klarheit der Argumentation sowie die materialreiche Literaturauswertung Anerkennung. Man wird sich den Namen des Verfassers merken müssen.

Fussnoten:

(1) In letzter Zeit hat der Verfasser das Thema gleichfalls behandelt in seinem Beitrag für das Sammelwerk "Das Recht der Kirche, Band III Zur Praxis des Kirchenrechts, hrsg. von Gerhard Rau u. a., Chr. Kaiser, Gütersloh 1984, "5.4. Der kirchliche Dienst und das staatliche Recht", S. 531-573. Dort kommt er auch ohne die grundsätzliche Abqualifizierung kirchlicher Gerichtsbarkeit zum gleichen Ergebnis, 557 ff.