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Ausgabe:

April/1999

Spalte:

420–422

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Mädler, Inken

Titel/Untertitel:

Kirche und bildende Kunst der Moderne. Ein an F. D. E. Schleiermacher orientierter Beitrag zur theologischen Urteilsbildung.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1997. XII, 397 S. gr.8 = Beiträge zur historischen Theologie, 100. Lw. DM 198,-. ISBN 3-16-146696-9.

Rezensent:

Markus Vinzent

"Warum, die Frag ist oft an mich ergangen/Wählst Du zum Gegenstand der Malerei/So oft den Tod, Vergänglichkeit und Grab?/Um ewig einst zu leben,/Muß man sich oft dem Tod ergeben" (C. D. Friedrich). Rainer Volp zitierte diesen Vers des Malers Friedrich in seinem Beitrag "Transzendenz als Prüfstein" (1984), mit dem er auf die enge persönlich-geistige Beziehung zwischen dem herausragenden Maler der Frühromantik und F. D. E. Schleiermacher hingewiesen hat. Mit seinen Studien zu diesen beiden Persönlichkeiten hat er als Doktorvater der Vfn. den Weg zu ihrer Untersuchung geebnet, die in den vorliegenden "Jubiläumsband" der "Beiträge zur historischen Theologie" mündete. Von ihm stammt auch noch die Wegrichtung, die von Schleiermachers Reden über die Religion und Friedrichs "Kreuz im Gebirge" und "Der Mönch am Meer", zur Semiotik und von dieser zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Theologie und zeitgenössischer Kunst führte. Ja, von ihm wurde auch der Ausblick entwickelt, daß das entscheidende Kriterium die Transzendenz ist, das ausdrücklich Unabgeschlossene. Das Leben, so lehrt der kürzlich Verstorbene über seinen Tod hinaus, ja alles Kreative und Künstlerische, ist bestimmt durch seine Grenze. Doch im Blick auf diese Grenze wird das Endliche als ein aus dem unabgeschlossen Unbegrenzten Herausgeschnittenes ansichtig. Es ist Bruchstück, nicht selbst Ideal, aber über sich hinausweisendes Potential.

Auf das Fundament ihres Lehrers folglich (auf das man innerhalb der Publikation gerne verwiesen wäre, der unspezifische Verweis im Vorwort auf "seine Betreuung, die zahlreichen Anregungen" reicht m. E. nicht aus) konnte die Vfn. aufbauen. Worin liegt ihr eigener, ihr genuiner Beitrag? Neben einer Verfeinerung der bereits bekannten Sicht vor allem darin, daß sie die Parallele Schleiermacher-Friedrich durch den Hinweis auf die höhere Mathematik als Grundlage für das Arbeiten bzw. Denken beider vertieft. Wie Schleiermacher, der sich zu Beginn seiner akademischen Laufbahn auch als begeisterter Mathematiklehrer sein Geld verdient hatte, mit Hilfe des Funktionsbegriffes die Korrelation von Einheit und Allheit und die doppelte Bewegung des Transzendierens klargemacht (appliziert in der Ethik und der Dialektik) (cf. 250) und in der grundsätzlichen Potentialität des in der Kunst Geschaffenen das Kriterium für Religiosität angesetzt hat, so hat Friedrich im Rückgriff auf "gewisse ... geometrische Figur(en) ... und rein, wie der Mathematiker" seine Werke konstruiert, "damit sie frei" (Theodor Melas) (345) wirken und die "vorstellungsbildenden Prozesse" des Betrachters "in suchende Bewegung ... versetzen" und darin halten (345).

Während der Nachweis für Friedrich nur ansatzhaft durchgeführt wird (v. a. an den genannten beiden Ölgemälden; schon Volp hatte noch auf ein Werk wie "Felsentor im Uttewalder Grund" und auf Friedrichs Schiffsbilder hingewiesen), widmet die Vfn. wesentliche Partien ihres zweiten Teiles (151-331) Schleiermachers mathematischer Begründung. Sie kann die streng formale, "an mathematischen Gesetzmäßigkeiten orientierte Strukturvorgabe" (348) der "Christlichen Sittenlehre" (163-182), der "Dialektik" und der "Reden über die Religion" (199-295) nachweisen. Ein Baustein in ihrer Argumentation liefert ein bislang unpubliziertes Studienheft Schleiermachers "Geometrie" aus seinem in Berlin aufbewahrten Nachlaß (Nr. 514/1), dessen erste Seiten die Vfn. in Transkription und Faksimile erstmals bietet (369-374) und auswertet. Es gelingt ihr zu verdeutlichen, daß mathematische Modelle von Schleiermacher nicht nur zur Veranschaulichung seiner Ausführungen zu Ethik und Dialektik herangezogen werden, sondern daß sie deren Grundstrukturen bilden.

Weniger durchgearbeitet als Teil B ist Teil A ("Das Kreuz der Kirche mit der bildenden Kunst der Moderne. Ursachenforschung zu einer gestörten Beziehung" [7-150]) mit seinen vielfachen Textdubletten (das Bild "Kreuz im Gebirge", das als ",primus inter pares’ den Weg aus dem sakralen Raum ins säkulare Exil" antritt [4; 16; 21; 30; 36; 345; 347]; eine Dublette 1638 und 17; eine Dublette 5; 13 und 15), sprachlichen Unebenheiten ("strahlenumrankten Dreieck" [20] bei der Beschreibung des Rahmens von "Kreuz im Gebirge" statt: "strahlenumkränzten Dreieck"; "indentiertem" [51] ...), Rückgriffen auf Sekundärliteratur anstelle von Quellen (109; 1528), gedanklichen Sprüngen (Wenn S. 4210 mit O. Bätschmann beklagt wird, daß wir schon sprachlich die Bilder dem Text unterordnen durch die Rede ihrer Lektüre und ihrem "Text", ist mir schleierhaft, warum die Vfn. auf derselben Seite den Begriff der "ikonischen Textur" einführt; die Entschuldigung, die sie erst S. 4416 nachliefert ["... ist der ,metaphorische’ Sprachgebrauch mangels exakter Begrifflichkeit nie ganz zu vermeiden"], nimmt ihrer Kritik die Basis) usw. (Absatz S. 40 ist fehl am Platz; der Vergleich mit "Reality-TV" auf derselben Seite hinkt ...).

Zustimmen wird man der Feststellung, daß sich "im Verlauf des 19. Jahrhunderts" eine "Kirchenkunst" ausgeprägt hat, von welcher sich andere Formen der Kunst abheben lassen. Daß nun aber die "Kirchenkunst" "den Begriff ,Kunst’ im eigentlichen Verständnis des Wortes nicht verdient" (12), ist nur für diejenigen nachvollziehbar, die den später von der Vfn. an Schleiermacher und der modernen Semiotik eines Eco entwickelten Kunstbegriff benutzen. Vor allem wird hier nicht bedacht, welchen historischen Weg die Künste aus dem barocken Bereich der Adiaphora durch die aufklärerisch-pädagogische Vereinnahmung derselben gegangen sind, bevor sie sich einerseits kirchlich-katechetisierend und andererseits emanzipiert hiervon (gezwungen bzw. freiwillig) entwickelt haben. Zudem wünschte man sich einen Vergleich mit parallelen Phänomenen in Literatur, Musik und Philosophie. Wertvoll ist, daß die Vfn. semiotisch-philosophisch-theologische und -kunsthistorische Überlegungen entwickelt, mit Hilfe derer sie Schleiermachers (und Friedrichs) mathematisch-zeichenhafte Grundlegung eines offenen Kunstwerks fortschreibt.

"Das Paradoxon der theologischen Forderung nach höchstmöglicher semantischer Bestimmtheit bei gleichzeitiger semantischer Offenheit ist ein Zeichen für die Komplexität, mit der es das menschliche Vorstellungsvermögen dann zu tun bekommt, wenn es sich Gott vorzustellen unternimmt" (91). Daß dieses Paradox weder unproduktiv ist (dagegen spricht schon die lange Geschichte von Mythologie, Philosophie, Kunst und Theologie), noch zu statischer Ratlosigkeit führen muß, macht die Vfn. mit dem Hinweis darauf deutlich, daß der geforderten semantischen Eindeutigkeit eine "immer noch größere ... Mehrdeutigkeit" komplementär hinzuzufügen ist (93). Oder anders gesagt: Der Tod ist nur das letzte Wort. Das zuvor und noch darin lebendig Werdende ist kein bleibendes, vielmehr ein ungeahntes, nie auszuschöpfendes Vermögen.