Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/1998

Spalte:

293–294

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Osthövener, Claus-Dieter

Titel/Untertitel:

Die Lehre von Gottes Eigenschaften bei Friedrich Schleiermacher und Karl Barth.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1996. IX, 232 S. gr.8° = Theologische Bibliothek Töpelmann, 76. Lw. DM 168,­. ISBN 3-11-015055-7.

Rezensent:

Wolf Krötke

Der Vf. dieser Göttinger Dissertation aus dem Jahre 1994 will weder einen Sachbeitrag zur Lehre von den Eigenschaften Gottes geben noch das brisante Verhältnis von Schleiermachers und Barths Theologie im Grundsatz beurteilen. Ihm ist vielmehr daran gelegen, am Beispiel der Lehre von den Eigenschaften Gottes dem "faktischen dogmatischen Argumentationsverlauf" eine "Rekonstruktion" zuteil werden zu lassen, die ihr besonderes Augenmerk auf den "Zusammenhang der jeweiligen prinzipiellen Grundlagen mit der materialen Dogmatik" legt (4). Dabei kommt heraus, daß sowohl Schleiermacher wie Barth "in der Entfaltung der göttlichen Eigenschaften ... ein Metaprädikat aufstellen, das hinsichtlich aller Eigenschaften eine Kriterienfunktion innehat. Bei Schleiermacher ist es die absolute Einheit, bei Barth die absolute Selbständigkeit Gottes" (218).

Wie der Vf. in einem ersten Teil über Schleiermachers philosophische und dogmatische Gotteslehre darlegt (vgl. 10-97), geht es Schleiermacher um einen Gottesgedanken, der als "Grenzbegriff" (219) sowohl mit der wissenschaftlichen Welterfassung "verträglich" ist wie die differente Welt- und Selbsterfahrung des Menschen unter einen einheitlichen Gesichtspunkt bringt. Schleiermachers Grundsatz, daß Eigenschaften Gottes "nicht etwas besonderes in Gott bezeichnen, sondern nur etwas besonderes in der Art, das schlechthinige Abhängigkeitsgefühl auf ihn zu beziehen," steht also im Dienste einer "methodischen Begriffsgewinnung" (44), die dem christlichen Bewußtsein von Gott eine einheitliche Welt- und Menschensicht gewährleisten soll. Die zugleich umsichtige und konzentrierte Art und Weise, in welcher der Vf. das durch eine Analyse von Schleiermachers Verständnis der ursächlichen Allmacht sowie des Verhältnisses von Heiligkeit/Gerechtigkeit und Liebe/Weisheit Gottes belegt, ist in ihrer Weise plausibel, wenngleich man den Vorzug von Schleiermachers Gotteslehre nach wie vor darin sehen kann, die Vielfalt der Welt- und Selbsterfahrung in das Reden von Gott einfließen zu lassen (G. Ebeling).

Von Barths theologischem Denken gilt in der Sicht des Vf.s demgegenüber, daß es die Voraussetzung eines Gottesgedankens macht, der "hinsichtlich seiner methodischen Aufstellung verselbständigt" (44) wird. Dieser Begriff der "absoluten Selbständigkeit" Gottes wird aus Barths frühen Arbeiten der Jahre 1909 bis 1913 (102-111) erhoben. Der Vf. sieht mit ihm das Motiv bezeichnet, das sowohl in der Phase der "dialektischen Theologie" wie in der der "Kirchlichen Dogmatik" Barths Gottesverständnis reguliert. In den Römerbriefauslegungen wird dieser Begriff mit dem Gedanken der Unbegreiflichkeit Gottes (111-126) und in den verschiedenen Entwürfen der Prolegomena mit der trinitarischen Behauptung der unaufhebbaren Subjektivität Gottes variiert (127-151). In der "Kirchlichen Dogmatik" ist es dagegen vor allem die Betonung der absoluten Freiheit Gottes (176), bei der sich Barths durchhaltendes theologisches Interesse bemerkbar macht. Weil jedoch von daher "überhaupt keine Gründe dafür namhaft gemacht werden können", warum Gott in bestimmter Weise tätig wird (vgl. 179), gewinnt die Christologie "die Prinzipienfunktion" (180) der Beziehbarkeit Gottes auf die Welt. Das hat Barth aber nun gerade nicht mit der Lehre von den Eigenschaften Gottes verdeutlichen können, weil diese "kein geeignetes Feld für konstruktive Akzentsetzungen darstellt" (181), sondern mit der Erwählungslehre. Sie nimmt die "Figur des ’Anderen’ Gottes in seinem Verhältnis zur göttlichen Freiheit" auf (207), d. h. die absolute Freiheit Gottes fällt nun mit der "schlechthinnige(n) Exklusivität Jesu Christi" (210) in eins. Damit hat Barth "den Voraussetzungscharakter des Gottesgedankens" in sein materiales Denken "integriert" (221) und muß ihn nicht ­ wie noch in der Trinitätslehre und der Eigenschaftslehre­ ständig neu einzuholen versuchen.

Zweifellos bringt der Vf. mit dieser "Rekonstruktion" der Gotteslehre Barths, die ja in der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit Barth nicht originell ist, einen Gesichtspunkt zur Geltung, welcher der kritischen Aufmerksamkeit bedarf. Um das Vorangehen Gottes vor dem Menschen gerade in der Beziehung auf den Menschen zu wahren, kann Barth z. B. gerade in der Lehre von den "Vollkommenheiten Gottes" auf den Gedanken der potentia Dei absoluta zurückgreifen (vgl. KD II/1, 315, 339 u. ö.). Auf der anderen Seite wirkt sich der Grundsatz des Vf.s, die Selbstdeutung eines Autors auszublenden (2), aber gerade im Hinblick auf Barth problematisch aus. Seine Theologie wird nämlich als ein sich in Gedanken abspielender Umgang mit einem im Grunde unveränderbaren, aus der "liberalen" Phase stammenden Gottesbegriff verstanden. Daß theologisches Denken darüber hinaus von einer Wirklichkeit und nicht bloß von einem Begriff umgetrieben sein könnte, ist bei diesem Verfahren buchstäblich uninteressant. Barths für die Frage der Erkenntnis Gottes fundamentale Anselm-Interpretation wird deshalb nicht ausgewertet und von seiner Auseinandersetzung mit der theologia naturalis heißt es anmerkungsweise, daß "sie für den hier interessierenden Gedankengang nichts [!] beitragen" kann (127). Das bringt nicht nur eine Schieflage in den Vergleich mit Schleiermacher, dessen theologische Erkenntnisgrundlagen ja ausführlich dargestellt werden. Es legt Barth darüber hinaus auf ein Gottesverständnis fest, das er selber als "unhaltbar, verkehrt und heidnisch" (KD IV/1, 203) bezeichnet hat. Auf der anderen Seite ist aber auch die Frage, ob Schleiermacher darauf reduziert werden kann, mit dem Gedanken der Transzendenz Gottes gar nicht die "Vorstellung eines bewußtseinstranszendenten Gottes" (K. Cramer) verbunden zu haben (vgl. 222 f.). Doch zu solch umstrittenen theologischen Grundsatzfragen will sich der Vf. ausdrücklich gar nicht äußern. Er bescheinigt Schleiermacher und Barth, sich um die "Strittigkeit des Gottesgedankens" bemüht und je in ihrer Weise "konstruktiv aufgegriffen zu haben" (223). Dem wird man gerne zustimmen, wenngleich fraglich bleibt, ob die Alternative von Einheit und Selbständigkeit Gottes überhaupt eine stimmige Alternative ist. Aber wichtiger wäre die Aufklärung darüber, in welche Richtung sich denn nun die "konstruktive Klärung" nicht nur des Verhältnisses von Schleiermacher und Barth, sondern vor allem der Aufgabe einer christlichen Gotteslehre zu bewegen hat.