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Ausgabe:

März/1998

Spalte:

286 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Sedmak, Clemens

Titel/Untertitel:

"Ich kenne mich nicht aus". Theologie ­ Philosophie ­ Problemtheorie.

Verlag:

Salzburg: Müller-Speiser 1994. 233 S. 8° = Im Kontext. Beiträge zu Religion, Philosophie und Kultur, 1. Kart. DM 55,­. ISBN 3-85145-025-6.

Rezensent:

Alfred Jäger

Als junger Gelehrter ­ geb. 1971, Promotion 1994 ­ entwirft Sedmak im vorliegenden Werk das Konzept einer neuartigen Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie, das sich sowohl gegen einen doktrinären, theologischen Dogmatismus als auch gegen eine lebensferne Philosophie wendet. Statt dessen postuliert er die Idee einer "authentischen Theologie" als auch einer "relevanten Philosophie", deren gemeinsamer Lebensbezug der "Orientierungsverlust" ­ mit Wittgenstein: "Ich kenne mich nicht aus" ­ und damit der Bereich erlebter "Lebensprobleme" (11) bildet. Auf dieser Basis ist beiden Denkweisen die Aufgabe der "Orientierung" für das gelebte Leben gestellt.

Theologie wird als "authentisch vermitteltes Orientierungswissen" (29) definiert, dessen theoretisches Fundament im Bereich der "Diakonie" als tätiger Lebensgestaltung im Sinn der Nächstenliebe gesucht wird. Damit kommt es zur "Transformation dogmatischer Inhalte in diakonisches Handeln" (59). Diakoniewissenschaft wird zur "Basistheorie der Theologie" (62). "Theologie kann daher verstanden werden als kommunikative Theorie des diakonischen Handelns Gottes" (96). "Relevante Philosophie" stellt ihrerseits "Orientierungswissen" bereit, "um dadurch kommunikatives Handeln zu ermöglichen" (115). "Philosophie wird dort relevant, wo sie zum Verstehen von Sozialproblemen (,Lebensproblemen’) beiträgt und dieses Phänomen kritisch auf die Kontextbedingungen ihrer Entstehung und Geltung hinterfragt und damit Transformationsnischen öffnet" (159). Am Beispiel des Themas Armut, verstanden als "Frage nach der Verteilung der Partizipationskompetenzen" (136), wird diese philosophische Relevanz ausführlich durchexerziert. Beide Arten von "Orientierungswissen" unterscheiden sich jedoch darin, daß Theologie Welt soteriolgisch als "Heilswelt" erschließt, während sich Philosophie als "selbstkritische Metatheorie kommunikativen Vernunftgebrauchs" (162) der Option auf ein "Funktionieren der Lebenswelt" verpflichtet weiß (171). Die Nähe und Unterschiedenheit von Theologie und Philosophie macht es für den Autor abschließend erforderlich, nach einer beides verbindenden "Basistheorie" respektable "Problemtheorie" zu fragen, die am Ende des Buches jedoch bloßes Desiderat und Versprechen bleibt.

Es ist vergnüglich, dem Vf. auf seinen originellen und oft mit jugendlicher Bedenkenlosigkeit hingeworfenen Gedankenspuren zu folgen, die im Ganzen einen starken Zug zum Konstruktiven zeigen. In der Sache erscheint der Rückbezug von Theologie und Philosophie auf faktische "Lebensprobleme" als starker Ansatz, der eine Zusammenschau unterschiedlichster theologischer und vor allem philosophischer Strömungen des 20. Jh.s erlaubt. Im einzelnen zeigen sich jedoch auch verschiedene Unausgegorenheiten. Beispielsweise bleibt das Konzept einer "Diakoniewissenschaft" als Basistheorie von Theologie völlig unpräzis und ohne jeden Bezug etwa auf die Realität institutioneller Diakonie respektable Caritas und ihrer Theorieansätze. Im Bereich einer "relevanten Philosophie" werden andererseits wenig reflektiert sozialwissenschaftliche Versatzstücke übernommen, etwa wenn "das Universalsymbol Geld" pauschal zum Schlüssel einer "Hermeneutik der Sozialwelt" (156) erklärt wird, die jedoch nur begrenzte Einsicht in die faktischen "Lebensprobleme", diesfalls etwa der Ökonomie, erlauben.

Eine "Problemtheorie" als Metaebene von Theologie und Philosophie kann offenbar dann doch so weit vom gelebten Leben abgehoben sein, daß sie von hoher Warte aus ­ einer Systemtheorie vergleichbar ­ scheinbar alles universalistisch zu überblicken und zu durchschauen vermeint, um aber faktisch kaum etwas wirklich zu verstehen oder praxisrelevante und lebensnahe Lebensorientierung zu bieten. W.s markiger Schlüsselsatz ­ "Ich kenne mich nicht aus " ­ zu einer relevanten Lebensphilosophie respektable einer authentischen Lebenstheologie würde damit wider Willen pervertiert. Das relevante Lebens-Knowhow wäre dann doch eher bei lebensnaheren Lebenswissenschaften ­ im Blick auf das verhandelteThema Armut etwa bei der Ökonomie ­ abzurufen. Auch bleibt fraglich, ob eine lebensorientierte Theologie und Philosophie eine derartige "Basis-" resp. "Meta-Theorie" überhaupt benötigt. Es kann auch völlig genügen, daß sich beide im liebenden Streit gemeinsam, wenn auch als "Orientierungswissen" mit unterschiedlichen Optionen, um ein Gelingen des gelebten Lebens bemühen. Erforderlich wäre dann primär nicht eine beides fundierende "Problemtheorie", sondern die philosophische und theologische Rückgewinnung des Basisbegriffs "Leben", wobei sich daran zeigen muß, welche Lebensorientierung lebensdienlicher sei.

Auf dem Hintergrund derartiger Fragen und Randbemerkungen darf man auf Sedmaks weiteren Reflexionsweg gespannt sein. Vielversprechend ist sein Ansatz für Theologie und Philosophie auf jeden Fall.