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Ausgabe:

März/1998

Spalte:

283–285

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Jaeschke, Walter [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religionsphilosophie und spekulative Theologie. Der Streit um die Göttlichen Dinge (1799-1812).

Verlag:

Hamburg: Meiner 1994. gr.8° = Philosophisch-literarische Steitsachen, 3 u. 3,1. Hauptband: IX, 258 S. Pp. DM 86,­. ISBN 3-7873-0998-5. Quellenband: X, 429 S. Pp. DM 136,­. ISBN 3-7873-0999-3.

Rezensent:

Dietrich Korsch

Beim Streit um die Göttlichen Dinge, der sich zwischen Friedrich Heinrich Jacobi (Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung, 1811) und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (Denkmal der Schrift von den göttlichen Dingen etc., 1812) entspann, geht es ­ in Fortsetzung des Pantheismusstreites und des Atheismusstreites ­ um die Denkbarkeit bzw. Denknotwendigkeit eines persönlichen Gottes auf der Basis autonomer Vernunft. Sind die Operationen der Vernunft von einer undurchdringlichen intrinsischen Notwendigkeit gekennzeichnet, die allen Raum für Freiheit ausschließt? Dann kann Gott unmöglich Gegenstand der Vernunft sein; statt dessen ist die Flucht in den Glauben geboten. Oder kann die Vollständigkeit der Vernunft erst da erfaßt werden, wo sie sich in der Lage sieht, die erfahrene Personalität Gottes ihrerseits in den Gedanken aufzunehmen? Das ist die zentrale Frage in der für das Geschick des modernen Theismus paradigmatischen, aber auch komplexen und bisweilen etwas undurchsichtigen Debatte, die zwischen Jacobi und Schelling geführt wurde.

Unterschiedlicher könnten die Kontrahenten nicht sein: Jacobi, der ältere, hat seinen öffentlichen Ruhm (außer durch seine Romane) als Gesprächspartner und Kritiker Lessings, Fichtes, Schleiermachers und anderer erworben; er ist Anreger, polemischer Widerpart, Urheber so mancher einprägsamer, aber bei näherem Hinsehen unschlüssiger Alternativen von Wissen und Glauben. Schelling, der jüngere, hat als System-Konstrukteur von hohen Graden Aufmerksamkeit erregt, ein universaler Zug ist ihm eigen, aufgrund dessen die Philosophie an ihre eigenen Grenzen zu stoßen beginnt, wie ihm selbst bewußt wird. Seine besondere Brisanz hat der Steit dadurch erhalten, daß Jacobi an Schellings Adresse den Vorwurf des Atheismus richtet ­ ein Vorwurf mit politischen Konnotationen, die ­ unwidersprochen­ Schelling hätten die Karriere kosten können.

Besonders facettenreich wird die ohnehin schon vielfältige Debatte dann, wenn man die literarischen Kontexte mit in den Blick nimmt. Das ist dezidiertermaßen die Absicht des unter dem Titel "Streitsachen" stehenden verdienstvollen Unternehmens, das Walter Jaeschke angeregt und koordiniert hat. Erst die Wahrnehmung der mannigfachen Motive samt ihrer Überlagerungen durch Briefwechsel und Rezensionen läßt den Reichtum und die Konkretion der damaligen Auseinandersetzungen erkennen. Dieser dritte Band mit dem dazugehörigen Quellenband schließt sich an Diskussion und Dokumentation der voraufgegangenen Streitigkeiten um Pantheismus (der späte Spinozismus-Streit) und Atheismus (der Fichtes Entlassung zur Folge hatte) an. Im Aufsatzband finden sich elf sehr verschieden akzentuierte Beiträge, die den Streit um die Göttlichen Dinge in seinen historischen und systematischen Kontext stellen. Der einleitende Text von Ingo Kauttlis über die Aporien des modernen Theismus bietet dabei eine vorzügliche Problemeinführung (1-34). Über die Jacobi-Schelling-Kontroverse selbst informieren sehr engagiert Klaus Hammacher (129-141), sehr übersichtlich Wilhelm G. Jacobs (142-154). Inwiefern Jean Paul, Herder, Eschemayer, Fichte, Fies, Friedrich Schlegel, Hegel und Solger zur Debatte ­ vorbereitend, kritisch oder weiterführend ­ Stellung genommen haben, erörtern Götz Müller, Eilert Herms, Jörg Jantzen, Edith Düsing, Bruno Bianco, Ernst Behler, Falk Wagner und Wolfhart Henckmann.

Von besonderer Bedeutung ist auch diesmal wieder der Quellenband. Denn er vermag einen Eindruck von der Dichte und Verwobenheit der Diskussionen der Zeit zu vermitteln, der sich aus dem Studium einzelner Verfasser nur schwer gewinnen läßt. Daß dabei der Blick über die Grenzen der Philosophie hinausreicht in die literarische Welt (Jean Paul, Kotzebue, vor allem: Goethe), gehört zum Programm. Die Jacobi-Schelling-Kontroverse findet sich daher eingebettet in eine längere Vorgeschichte (seit Jean Pauls Rede des toten Shakespeare bzw. des toten Christus, daß kein Gott sei) und eine längere Nachgeschichte, in der besonders Friedrich Schlegel als Rezensent zu Wort kommt. Höchsten Wert gewinnt die Quellensammlung dadurch, daß in ihr nur schwer bzw. gar nicht zugängliche Texte nun leicht greifbar sind; neben Schellings Gedicht "Epikurisch Glaubensbekenntniß Heinz Wiederporsts" von 1799 sind es vor allem Eschemayers Schrift "Die Philosophie in ihrem Übergang zur Nichtphilosophie" von 1803, die Schelling sehr beschäftigt hat, sowie Schleiermachers erstmals veröffentlicher Brief an Jacobi vom 30. März 1818.

Der weiteren Forschung zum Thema ebenso wie der Kenntnisnahme des gegenwärtigen Erörterungsstandes im universitären Studium bieten beide Bände eine gern angenommene Grundlage.