Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/1998

Spalte:

277–279

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Clayton, Philip

Titel/Untertitel:

Das Gottesproblem. 1. Gott und Unendlichkeit in der neuzeitlichen Philosophie.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1996. XVI, 457 S. gr.8°. Geb. DM 88,­. ISBN 3-506-71882-7.

Rezensent:

Reinhard Leuze

Versuche, Konzeptionen einer metaphysischen Gotteslehre zu entwickeln, erfreuen sich in der Gegenwart nicht gerade besonderer Beliebtheit. Ph. Clayton will sich trotzdem dieser Herausforderung stellen. Dabei ist er sich der Schwierigkeit dieses Unterfangens durchaus bewußt. Dennoch meint er, nach dem Scheitern des wissenschaftlichen Positivismus sei "die philosophische Frage nach Gott" wieder möglich geworden (32).

Wie soll eine Metaphysik aussehen, die den Erfordernissen unserer Zeit gerecht wird? Es kann sich nicht um eine Repristination vergangener Systeme handeln, die in ihrer Absolutsetzung der Wahrheit unserem Verständnis nicht mehr entsprechen (vgl. 319). Die Metaphysik, auf die es heute ankommt, muß ’eine Metaphysik von unten’ sein (38), eine ’pluralistische Methapysik’ (330), "die aus verschiedenen untereinander konkurrierenden Modellen besteht, zwischen denen zuweilen nur anhand subjektiver Präferenzen entschieden werden kann" (ebd.).

Die Weise, in der der Vf. zu einer solchen Metaphysik gelangen will, ist der Weg über die Tradition. Er befaßt sich in zum Teil recht eingehenden Analysen mit den großen Vertretern des neuzeitlichen Denkens, um so einen Zugang zu seinem Vorhaben zu gewinnen. Dabei geht es ihm nicht nur darum, seine eigene systematische Intention zu verfolgen; er versucht immer wieder, eigenständige Beiträge zur Interpretation der berühmten Denker zu geben. Die Verbindung dieser unterschiedlichen Zielsetzungen ist keine leicht zu lösende Aufgabe; man kann nicht sagen, daß sie dem Vf. überall gelungen ist. Jedenfalls wird so der erhebliche Umfang seines Werkes verständlich: Was hier vorgestellt werden kann, ist nur der erste Band; ein zweiter, der die Konzeption Hegels und die darauffolgende Entwicklung in den Blick nehmen wird, soll folgen.

Das Kapitel zu Decartes demonstriert diese Verbindung in besonders eindrücklicher Weise. Auf der einen Seite bietet der Vf. eine neue Interpretation, die sich an die Stelle der bisher üblichen Sichtweise setzen will: Decartes darf nicht als Begründer der neuzeitlichen Subjektivitäts-Philosophie angesehen werden (45). Das "ich denke" spielt nicht die fundamentale Rolle, die man ihm gemeinhin zuschreibt (68, 100 f.). Es kann nicht gedacht werden ohne den immer schon vorausgesetzten Grund, eben den Gottesgedanken. Trotzdem oder gerade deshalb erscheint es dem Vf. möglich, an das von Descartes entworfene System anzuknüpfen, eine eigene hypothetische Metaphysik als eine "Fortsetzung des cartesischen Projekts" (101) darzustellen.

Versucht man, den Gottesgedanken inhaltlich zu bestimmen, so rücken in der philosophischen Tradition zwei Prädikate in den Vordergrund: die Unendlichkeit und die Vollkommenheit. Für den Vf. kommt diesen Begriffen jedoch nicht der gleiche Rang zu. Während die Unendlichkeit seiner Meinung nach für das Reden von Gott unabdingbar ist, stößt man bei der Aussage der Vollkommenheit auf elementare Schwierigkeiten: Hier ist die Gefahr des Anthropomorphismus unverkennbar (162, 187 u. a). Von daher wird die Philosophie von Leibniz einer kritischen Betrachtung unterzogen (Kap .4). "Die Vermutung, daß es für alle göttlichen Handlungen einen hinreichenden und durch den Menschen erkennbaren Grund gibt, muß zurückgewiesen werden. Darum muß die Anwendung des Vollkommenheitsbegriffs in der Metaphysik begrenzt oder sogar ausgeschlossen werden" (217).

Wie steht es aber mit dem Begriff der Unendlichkeit? Kann er, wie der Vf. nicht ganz glücklich formuliert, "als Nachfolgebegriff der Vollkommenheit" (218) in Betracht kommen? Seine weiteren Ausführungen sollen eben dies deutlich machen. Von daher ist die Auseinandersetzung mit Kant vorgezeichnet, wobei hier metaphysische und erkenntnistheoretische Aspekte nicht mehr voneinander zu trennen sind (vgl. 251). Natürlich ist es für den Vf. von seiner eigenen Intention her undenkbar, die Möglichkeit einer Metaphysik nach Kant pauschal zu verneinen. Diese kann indessen nicht mehr in derselben Weise betrieben werden wie zuvor. Sie ist aber gleichwohl unaufgebbar. Die Erklärung ist zunächst in Kants eigenen Ausführungen zu finden: "Kants eigene Philosophie verlangt ein Verständnis der Existenz Gottes, das stärker ist als die regulativen Prinzipien der KrV" (= Kritik der reinen Vernunft, 270). Das heißt allerdings nicht, daß es eine Rückkehr zu den vor Kant üblichen konstitutiven Prinzipien geben soll. Eine den heutigen Maßstäben adäquate Metaphysik kommt zwischen den Polen ’regulativ’ und ’konstitutiv’ zu stehen (vgl. 250). Man mag diese Auffassung des Vf.s sympathisch finden, weil sie die Probleme neuzeitlicher Metaphysik niemals aus den Augen verliert. Dennoch enthüllt dieses Oszillieren einen Mangel an methodischer Schärfe und begrifflicher Klarheit. Wenn man das Alte nicht mehr übernehmen kann und das Neue nicht akzeptieren will, müßte der eigene dritte Weg noch genauer bestimmt werden.

So wenig sich der Vf. mit den regulativen Ideen Kants zufrieden geben will, so wenig sieht er sich durch die Darlegung der Antinomien veranlaßt, den Begriff des Unendlichen aufzugeben. Wenn auf die Aussage der Vollkommenheit verzichtet wird und nur gesagt werden kann, daß Gott unendlich ist, dann bedeutet das nicht "das Scheitern jeder theistischen Metaphysik" (310). Allerdings wird die Frage unausweichlich, wie das Endliche aus dem Unendlichen abgeleitet werden kann, ohne seine relative Eigenständigkeit zu verlieren. Indem der Vf. sich dieser Frage stellt, geht er, die historische Folge bewußt mißachtend (vgl. 251), auf Spinoza zurück, der als erster systematischer Philosoph "dem Vollkommenheitsgedanken keine zentrale Rolle mehr zuschrieb" (346). Spinoza war indessen nicht imstande, das Endliche aus dem Unendlichen abzuleiten (vgl. 363), deshalb muß Lösungen der Vorzug gegeben werden, die über ihn hinausführen.

Auf der Suche nach diesen Lösungen führt uns der Vf. über die drei frühen Spinozakritiker Bayle, Horchius und Lami, über die Repräsentanten des Spinoza-Streits Lessing, Jacobi und Mendelssohn zur Kritik Fichtes am Gedanken der Persönlichkeit Gottes und schließlich zur Gotteslehre Schellings. Dabei versucht er zu zeigen, daß ein systematisch ausgearbeiteter Pantheismus sich zwangsläufig in einen Panentheismus verwandelt, "der die Welt als in Gott eingebettet, nicht aber als mit Gott identisch begreift" (344), also eine "immanent-transzendente Metaphysik darstellt" (ebd.). Diesen schon bei Lessing entdeckten (vgl. 367) Panentheismus bezeichnet er dann, terminologisch höchst unglücklich, als "minimal personalen Theismus" (vgl. 377, 379, 383). Diese Art von Theismus wird als Lösung des Rätsels präsentiert: Sie meidet sowohl die "kantische Skepsis hinsichtlich aller metaphysischen Erkenntnisse" wie den "Pantheismus Spinozas, der allen Unterschied zwischen Gott und Welt verneint" (377). Sie steht zwischen den beiden problematischen Auffassungen, "traditionellem personalen Theismus" und "einem Pantheismus, der Gott das Personsein aberkennt" (379). Aber diese goldene Mitte wird vom Vf. nicht in einer gedanklichen Entwicklung begründet, sondern nur terminologisch fixiert.

Doch können wir dieses Urteil nur unter Vorbehalt aussprechen. Vielleicht wird der zweite vom Vf. angekündigte Band die Wünsche erfüllen, die im ersten nicht befriedigt werden konnten. Jedenfalls wird hier eine eingehende Auseinandersetzung mit Hegel fällig, die im ersten Band nicht mehr vorgenommen werden konnte. Der Vf. vermag zwar sowohl bei Fichte wie bei Schelling die von ihm gesuchte Struktur des Panentheismus zu erkennen (vgl. 404 und 420). Aber aus unterschiedlichen Gründen kann er sich mit den Konzeptionen dieser beiden Denker nicht identifizieren (vgl. 408 bzw. 425). So bleibt die Frage unbeantwortet, "wie der unverzichtbare Gedanke eines Unendlichen am besten argumentativ einzuholen und zu begreifen ist" (408). Ob der Vf. eine plausible Antwort vorlegen kann, wird erst die Lektüre des zweiten Bandes erweisen.