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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

377-378

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Leonhard, Silke:

Titel/Untertitel:

Leiblich lernen und lehren. Ein religionsdidaktischer Diskurs.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2006. 525 S. gr.8° = Praktische Theologie heute, 79. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-17-019321-5.

Rezensent:

Stephan Weyer-Menkhoff

Die Dissertation der in Gymnasium wie Universität lehrenden Studienrätin Leonhard ist ein fachdidaktischer Brückenschlag zwischen Forschung und Praxis, der sich zugleich als Beitrag innerhalb des religionsdidaktischen Diskurses reflektiert. In allen Punkten wird das Gespräch ausführlich geführt, so dass zu keiner Zeit der Leser über die auch interdisziplinäre Verortung des Dargelegten im Unklaren bleibt. Diese Diskursfähigkeit macht das Buch zu einer Fundgrube von Positionen, die mit ausführlichem Inhalts-, Literaturverzeichnis und Sachregister leicht auffindbar sind. Weil regelmäßig der neueste Stand der fachdidaktischen Diskussion dargestellt ist, könnte die Monographie fast als Lehrbuch zur Fachdidaktik gelten. Dass sie das nicht ist, sondern mit der Markierung und Durchführung einer klaren Position über ein Kompendium hinausgeht, macht das Gewicht des Werkes aus.

Der Ansatz leiblicher Didaktik ist sachbezogen, schülerorientiert und unterrichtszentriert. Diese disparate Perspektivierung gelingt auf Grund einheitlich phänomenologischer Grundlegung. Der insuffiziente, die Wirklichkeit von Religion, Lernenden und Un terricht verkürzende Handlungsbegriff wird als Rahmen der Di daktik »durch Phänomenologie und Ästhetik« abgelöst (100). Di dak tik muss nicht länger in eine Form von Kommunikation ge presst werden, um wissenschaftlich gesprächsfähig zu sein. Erscheinung und Darstellung, Aufführungsstück und Performanz werden zu didaktischen Grundrisslinien, so dass traditionelle Hierarchisierungen und Instrumentalisierungen von Unterricht, Sache und Lernenden wirksam verhindert werden. Der menschliche Körper ist eben nicht nur ein methodisch zu berücksichtigender Unterrichtsfaktor, sondern wird als Leiblichkeit vielmehr zur konstitutiven Größe des Unterrichts wie der Sache und der Lernenden. Leib ist nach Gerhard Marcel Martin »Aufführungsort des Lebens« (468).

Phänomenologisch wird Leib nicht als Körper verobjektiviert, aber auch nicht­ wie Herrmann Schmitz es konsequent tut ­ in die Unmittelbarkeit eines Selbstgefühls versubjektiviert; vielmehr wird die »Durchlässigkeit« des Leibes fundamental (358). Bei der Grundlegung in der Leiblichkeit geht es nicht um die Verschiebung der Grenze zwischen Subjekt und Objekt in die eine oder andere Richtung, sondern um das Unterschreiten dieser Grenze in einem ursprünglichen Verhältnis: Der Leib steht »auf beiden Seiten des Konstitutionsgeschehens« (46). Die Phänomenologien E. Husserls, G. Marcels und M. Merlau-Pontys sowie deren Reformulierung durch B. Waldenfels werden sachdienlich referiert (45 ff.).

In Orientierung des didaktischen Feldes wird die philosophiegeschichtliche Untermauerung des leibbezogenen Ansatzes zu einer methodischen Praxis von Phänomenologie weiterentwickelt. Die »Pragmatische Phänomenologie« von Eugene T. Gendlin, dem Nachfolger C. Rogers, wird mit dem Konzept des Focussing didaktisch fruchtbar gemacht (128 ff.). Phänomenologie wird als eine Subjekt und Objekt zusammenhaltende Wahrnehmungslehre praktikabel. Wahrnehmung geht kommunikativem Handeln voraus und wird für den Unterricht grundlegend. Hierbei wird das religionspädagogische Gespräch nicht nur mit P. Biehls Versuchen einer Korrelation von Ästhetik und Religion aufgenommen, sondern auch mit älteren Vertretern wie Martin Rang und seiner ästhetisch-didaktischen Situierung von Religion geführt (82 ff.61 ff.). Damit werden Verbindungslinien deutlich, so dass die eigene Position sich nicht als Neuerfindung des didaktischen Rades ausgeben muss, sondern sich in der Aufnahme der fachlichen Tradition schärfer profilieren kann.

»Die Schülerorientierung fordert körperbezogenes Lernen ein«, soll der Unterricht in Religion nicht mit einer Zurichtung der Lernenden beginnen, als seien sie nur Objekt von Vermittlungs- und Anpassungsvorgängen, oder nur Subjekt von Deutungs- und An eignungsaktivitäten (23). »Gelebte Religion« wird zum Lernfeld des Religionsunterrichtes. Über die praktisch-theologische Debatte wird prägnant informiert (237 ff.) und gleichzeitig aus dem Konzept der Leiblichkeit ein eigener präzisierender Definitionsvorschlag erarbeitet: Gelebte Religion ist verleiblichte und damit wahrnehmbare Religion (30.266 ff.). Religion wird von außen nach innen gelernt.

Entscheidend werden damit die Kategorien der Vorgegebenheit, Formhaftigkeit und Begehbarkeit von Religion. Einem funktionalen Religionsbegriff, der Religion nur in ständiger Dekonstruktion lernen lassen kann, ist damit aus didaktischen Gründen eine Absage erteilt (429.487). Religion braucht ihre Erscheinung, soll sie nicht in ihrer Alterität getilgt und zur Konstruktionsleistung des frommen oder kritischen Subjekts werden. Aus unterrichtlichen Gründen ist christliche Religion in ihren Erscheinungsformen zu suchen und zu behaften (88.295 ff.). Mit der leiblichen Grundlegung der Didaktik ist also nicht nur der Zurichtung der Lernenden gewehrt, sondern auch der Zurichtung der Religion zur Schul- und Unterrichtsreligion. Die mit der Rezeption kategorialer Bildung in der Religionspädagogik übliche identitäts- und handlungsorientierte Abschleifung von Religion wird beiläufig überwunden. »In der Liturgie ist Religion nicht nur gedachte, sondern gelebte Religion in dem Sinne, dass sie vollzogen wird« (379). Ästhetisch-phänomenologische Didaktik ist weder anwendungs- noch angebotsorientiert.

Der Rekurs auf die Erscheinungsform christlicher Religion wird auf dem Hintergrund des modernen Diskurses von »Entkörperung« und »Wiederkehr des Körpers« vollzogen (35 ff.). Zentrale religionspädagogische Bezugsgröße ist hier weder die Lebenswelt der Lernenden noch die theologische Fachwissenschaft, sondern die in ihrer erscheinenden Widerständigkeit wahrnehmbare Gegenständlichkeit christlicher Religion. Didaktik gelebter christlicher Religion siedelt im Zwischenraum von Wissen und Handeln (325.379). Das kommunikationstheoretische Paar von Identität und Verständigung gibt eben nicht das Ziel einer leiblich fundierten, an Wahrnehmung und Fremdheit orientierten Didaktik vor. Mit der Leib räumlichkeit von Religion entsteht intermediärer Raum (236.365. 392 ff.). Ritus und Heterotopie, Randerscheinungen des Verfügungswissens und der Operationalität, werden zu didaktischen Leitgrößen (295 ff.375 ff.). ­ Mit solcher Didaktik trägt die christliche Religion einen eigenen Bildungswert in die allgemeinbildende Schule ein (365 ff.). Kritikfähigkeit wird nicht aufgegeben, sondern be kommt allererst ihre widerständige Gründung in einer Wahrnehmung, die fremd wird, weil sie didaktisch geleitet phänomenal Fremdes nicht eliminiert, sondern fokussiert. Achtsamkeit wird zum Bildungswert leiblich gelernter und gelehrter christlicher Re ligion. Ästhetik der Religion impliziert Ethik und Kultur. »Leiblich lernen und lehren« stellt sich als solide Basis der Fachdidaktik heraus, die höhere und vielgestaltigere Aufbauten zulässt und trägt, als es die Engführungen subjekt- oder handlungsorientierter Didaktiken gemeinhin vermuten lassen. Leiblich fundierte Didaktik christlicher Religion erweist sich als genuine Quelle der Theologie von Lernenden und Lehrenden. L.s Beitrag zur Fachdidaktik liest sich wie ein Doppelpunkt: Er orientiert und fokussiert.