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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

375-377

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Kothmann, Thomas:

Titel/Untertitel:

Evangelischer Religionsunterricht in Bayern. Ideen- und wirkungsgeschichtliche Aspekte im Spannungsfeld von Staat und Kirche. Bd. I: 19. Jahrhundert.

Verlag:

Neuen dettelsau: Freimund-Verlag 2006. 477 S. m. Abb. gr.8°. Geb. EUR 39,80. ISBN 3-86540-017-5.

Rezensent:

Folkert Rickers

Die letzte Gesamtdarstellung zur Geschichte des Religionsunterrichts in Deutschland liegt bald ein halbes Jahrhundert zurück. 1959 publizierte der Amerikaner Ernst Helmreich sein bekanntes Werk, zunächst in englischer Sprache; 1966 erschien es in einer deutschen Ausgabe, auf die in historiographischen Arbeiten bis heute regelmäßig Bezug genommen wird. Insofern kann das Buch von Kothmann besondere Aufmerksamkeit beanspruchen. K. ist sich dessen bewusst, wenn er »von dem zugegeben kühne[n] Unter fangen einer Gesamtdarstellung« spricht (13). Die Schwierigkeiten liegen auf der Hand. Es geht nicht nur um einen plausiblen methodologischen Zugang auf dem Hintergrund einer inzwischen expandierenden religionspädagogischen Historiographie, sondern auch um die Bewältigung eines ungeheuren historischen Materials (Quellen), das längst noch nicht hinreichend gesichtet, ja noch nicht einmal bibliographisch erhoben bzw. aktenkundig gemacht ist. Es kommt hinzu, dass sich im Religionsunterricht ­ aktuell wie natürlich auch in historischer Sicht ­ politische, schul- und kirchenpolitische, pädagogische, schulische, kirchliche und theologische Linien, ja auch ökonomische Beziehungen überschneiden, die in einer Gesamtdarstellung berücksichtigt werden sollten und je nach Akzentsetzung zu einer sehr verschiedenen Geschichte dieses Unterrichtsfaches führen können. Die Fülle solcher Schwierigkeiten legen die Überlegung nahe, ob eine solche gewaltige Aufgabe überhaupt noch von einem Verfasser allein bewältigt werden kann oder ob sich dazu nicht ein Team zusammenfinden sollte.

K. mildert den Anspruch einer Gesamtdarstellung dadurch, dass er eine Reihe von Einschränkungen vornimmt: auf ein (bzw. mit einem weiteren Band zwei) Jahrhundert(e), auf evangelischen Religionsunterricht, »hauptsächlich in den Volksschulen« (20), auf eine Region Deutschlands (Bayern) ­ Einschränkungen, die durchaus problematisch sind und den historischen Zusammenhang verengen. Schließlich soll es nur um »Aspekte« (Untertitel) gehen.

Die Darstellung beginnt mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht in Bayern 1802 und endet 1899 mit der Einführung eines neuen Lehrplans ­ eine Epoche, in der ausgehend von den jeweiligen politischen Entwicklungen die Wirkung der Aufklärung und der Erweckungsbewegung auf den Religionsunterricht be schrieben wird (1799­1834), seine Bemächtigung durch restaurative und konfessionell orientierte Kräfte in den Blick genommen (1835­1865) und schließlich der Einfluss der sog. Erlanger Theologie auf das Fach nachgezeichnet wird (1866­1899). K.s besonderes Anliegen ist dabei zu zeigen, wie der unter der Aufklärung in bedenkliches moralisches und entkonfessionalisiertes Fahrwasser geratene und politischer Nutzbarmachung erlegene Religionsunterricht sich bald wieder erholt hatte und seine soteriologische und konfessionelle Ausrichtung zurückerhielt. Dabei spielte für den kirchlichen Bezug des Religionsunterrichts der 1833 errichtete Lehrstuhl für Praktische Theologie in Erlangen eine gewisse Rolle. Unter dem Einfluss von Erweckungsbewegung und Rückbesinnung auf die Bekenntnisse der lutherischen Kirchen gewann zwischen Mitte der 1830er und Mitte der 1860er Jahre auch im Religionsunterricht die Vermittlung des Heilsglaubens, weg von der Tugendlehre, zentrale Bedeutung und wurde darin als ein alle schulische Bildung integrierendes Fach verstanden. Diese Entwicklung wurde besonders gefördert durch die sog. Erlanger Theologie, deren letzte namhafte Vertreter Gerhard von Zezschwitz und Walter Caspari eine ein flussreiche »heilsgeschichtlich-kirchlich-konfessionelle Katechetik« (323) vertraten. Diese Orientierung wurde im Ganzen bis zum Ende des Jh.s durchgehalten und gegen das Eindringen liberalerer Denkweisen theoretisch und praktisch sowie schulpolitisch be hauptet.

K. gibt einen instruktiven Einblick in die schulpolitischen, schulischen, kirchlichen, theologischen und pädagogischen Vorgänge und Zusammenhänge des Religionsunterrichts, berührt auch Lehrerbildung und Katechismusfrage, bietet viel dokumentarisches Material in zum Teil ausführlicheren Auszügen, dazu eine ganze Reihe von historischen Bildern. Dabei ist besonders hervorzuheben, dass K. durchgängig bemüht ist, die schulpolitischen und religionspädagogischen Belange des Religionsunterrichts zu den politischen Ereignissen Bayerns in Beziehung zu setzen bzw. von ihnen her zu deuten und zu bewerten.

Hilfreich für das Verständnis größerer Zusammenhänge sind die Resümees, mit denen K. jeweils die vier Hauptkapitel abschließt. Die Orientierung wird bei der Fülle des gebotenen Stoffes erheblich erleichtert durch ein ­ nicht nur für Studierende hilfreiches ­ »Glossar« der wichtigsten Begriffe und Institutionen und durch instruktive »Kurzbiographien« sowie durch eine »Zeittafel«, auf der in übersichtlicher Weise die gleichzeitigen Vorgänge in Staat, Kirche, Schule und Religionsunterricht dargestellt sind. Weiter sind ein Ortsregister und ein Personenregister beigefügt sowie ein »Literaturverzeichnis«. Ein Sachregister fehlt und wird nur zum Teil kompensiert durch das Glossar.

K.s Interesse besteht darin zu zeigen, dass sich generell über das 19. Jh. in Bayern eine am Glauben und an der Gemeinschaft der Kirche orientierte konfessionelle Religionspädagogik bei Katecheten und Schulpolitikern in Theorie und Praxis durchgehalten hat. Dem gegenüber fällt die Bedeutung der Aufklärung und ihrer Einwirkung auf den Religionsunterricht des 19. Jh.s in Bayern deutlich ab. Das ist nicht unbedenklich; denn man hätte die Geschichte des evangelischen Religionsunterrichts in Bayern ja auch ­ natürlich in kritischer Sicht! ­ von den Ansprüchen der Aufklärung her aufziehen können und wäre zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen. K. hätte wenigstens methodologisch erörtern müssen, dass es auch diesen und andere Zugänge zu einer Gesamtdarstellung gibt.