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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

374-375

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Pinnock, Sarah K. [Ed.]:

Titel/Untertitel:

The Theology of Dorothee Soelle.

Verlag:

Harrisburg-London-New York: Trinity Press International (Con tinuum) 2003. XII, 260 S. gr.8°. Kart. £ 16,99. ISBN 1-56338-404-3.

Rezensent:

Katrin Gelder

»The theology of Dorothee Soelle« erschien im Jahre 2003, kurz nach Sölles Tod am 27. April 2003. Es handelt sich dabei um die erste englischsprachige Aufsatzsammlung über Sölles Leben und Werk. Die in ihr zusammengestellten Aufsätze waren noch vor Sölles Tod fertiggestellt. Angesichts des Todes von Dorothee Sölle wurde zwei erlei hinzugefügt: zum ersten die Beerdigungsansprache, die Bi schöfin Bärbel Wartenberg-Potter in der St. Katharinenkirche in Hamburg vor dem Sarg von Sölle gehalten hat ­ und zwar, dem eng lischsprachigen Charakter dieser Aufsatzsammlung entsprechend, in einer von Martin Rumscheidt vorgenommenen Übersetzung ins Englische; zum zweiten drei Beiträge von Dorothee Sölle selbst aus den Jahren 1996, 2001 und 2002, jeweils ins Englische übersetzt von Barbara und Martin Rumscheidt.

Die in diesem Band zusammengestellten 12 Aufsätze über Dorothee Sölle und ihr Werk verteilen sich nach dem ersten Kapitel, in dem die drei Beiträge Sölles abgedruckt sind, auf die Kapitel 2 bis 5: »Part 2: New Forms of Theological Language«; »Part 3: Suffering and Redemption«; »Part 4: Mysticism«; »Part 5: Theological Liberation«. Unter den Autorinnen und Autoren sind so einschlägige feministische Theologinnen wie Carter Heyward, Rosemary Radford Ruether und Luise Schottroff. Herausgeberin ist Sarah K. Pinnock, Assistenzprofessorin für »contemporary religions thought« an der Trinity University in San Antonio, Texas.

Durch seine Veröffentlichung unmittelbar nach Sölles Tod er hält dieser Sammelband eine ganz eigene Dignität. Er verhilft zum dankbaren Rückblick auf die Bedeutung Dorothee Sölles für Kirche und Theologie in Deutschland sowie in Amerika.

Bärbel Wartenberg-Potter hebt mit der Wahl von Offb 21,1­5a als biblischem Leitwort für ihre Traueransprache die eschatologische Prägung von Sölles Lebenseinstellung und die eschatologische Dimension von Sölles Theologie hervor.

Sarah Pinnock beginnt ihre Einführung mit einigen Bemerkungen zur Biographie von Dorothee Sölle und zu Sölles akademischen Prägungen. Pinnock weist darauf hin, dass Sölles Werk die größte akademische Anerkennung in Nordamerika finde; in Deutschland komme ihr ein hoher Bekanntheitsgrad und große Wertschätzung unter nichtakademischen, kirchlich-interessierten Leserinnen und Lesern zu. Sölles Theologie sei »pervasively practical« (3). Für die gängige wissenschaftlich-theologische Methodik interessiere sie sich nicht; gleichwohl sei ihr methodischer Zugriff innovativ und lohne die Beschäftigung in akademischem Kontext.

Die Aufsatzsammlung insgesamt macht deutlich, inwiefern Sölles Theologie kontextuelle und poetische, politisch-kämpferische und mystische Theologie zugleich ist. Sie führt vor Augen, inwiefern Sölles Theologie gerade mit diesen Spannungen und Polaritäten ihres Glaubens und Denkens Theologie nach Auschwitz ist. Auch wenn die unterschiedlichen Akzente und Dimensionen von Sölles Theologie schwerpunktmäßig in jeweils einem der vier Hauptkapitel thematisiert werden, wird durch die Art und Weise der Thematisierung in allen vier Kapiteln ihr innerer Zusammenhang deutlich. Auf diese Weise tritt Sölles Theologie als eine zwar in sich spannungsreiche, aber doch auf ihre eigene Weise konsistente Theologie in Er scheinung. Im Lichte der Traueransprache für Dorothee Sölle unter Anleitung von Offb 21 betrachtet zeigt sich die Konsistenz ihrer Theo logie als in ihrem Glauben an die Neuschöpfung gegründet.

Der Band führt vor Augen, inwiefern Dorothee Sölle ein Kind ihrer Zeit war: In Auseinandersetzung mit einer fehlgeleiteten Be quemlichkeit innerhalb der Kirche gegenüber menschlichen, moralischen und politischen Herausforderungen arbeitet sie heraus, dass Beten und Tun des Gerechten zusammengehören. Als Antwort auf die Fragen, die kritische und ihren Glauben reflektierende Menschen einer formelhaft-dogmatischen Theologie stellen, deren Be deutung für das Leben nicht deutlich wird, entwirft Dorothee Sölle neue Sprachmuster für das Reden von Gott, die emotional ansprechen und berühren ­ sei es mittels poetischer Formulierungen, sei es mittels einer zum Handeln auffordernden Sprechweise.

Die drei Texte von Sölle selbst, die postum abgedruckt sind, heben die theologischen Herausforderungen der christlichen Gemeinschaft angesichts der Zerstörung des World Trade Centers in New York am 11. September 2001 ebenso hervor wie die Notwendigkeit einer zu Herzen gehenden Sprache des Glaubens. Gerade diese drei Beiträge wirken wie ein Vermächtnis: Sie prägen ein, dass lebendiger Glaube stets neu danach fragt, welche Gebetssprache und welches Handeln ak tuell »dran« sind. Sie machen deutlich, dass eine situationsbezogene, konkrete Glaubenssprache, wie sie Sölle so sehr am Herzen lag, un trennbar mit dem authentischen persönlichen Lebenszeugnis verbunden ist. Deshalb entspricht es dem Anliegen Sölles nicht, ihre Sprachmuster wie eine neue Dogmatik zu wiederholen, sondern im Angesicht von Herausforderungen, die sie selbst nicht mehr erlebt hat, die jeweils aktuelle Sprache des Glaubens zu finden.

Fazit: Der Band eignet sich gut, um im Rückblick auf Dorothee Sölles Schreiben und Wirken den Blick für die innere Vielschichtigkeit und den Nuancenreichtum ihrer Theologie zu schärfen.