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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

371-373

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Lauster, Jörg:

Titel/Untertitel:

Gott und das Glück. Das Schicksal des guten Lebens im Christentum.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2004. 222 S. 8°. Geb. EUR 19,95. ISBN 3-579-06500-9.

Rezensent:

Dietrich Zilleßen

Das Glück erlebt gegenwärtig, so meint Jörg Lauster etwas übertrieben euphorisch, eine »fulminante[n] Rückkehr«, eine »triumpha le[n] Heimkehr« (11). Mit unüberhörbar ironischem Unterton kri tisiert er die »vornehme[r] Zurückhaltung« der Theologie (a. a. O.). Oder etwas forscher: »Es gibt gegenwärtig keine Diskussion zum Thema Glück in der Theologie, an die anzuknüpfen wäre« (12), eine »dürftige Ausgangslage« (13). L.s Buch durchzieht die Frage, wie der Zufall des Glücks und die eudämonistische Suche, die »Arbeit am Glück«, zu sammenhängen. Bestätigt der heikle Begriff des guten Lebens den unbekümmerten Ästhetizimus als Lebenshaltung? Oder ist die Suche nach Glück immer auch ein kleiner Protest gegen ihr stän diges Misslingen? L. sieht in der »weltfeindliche[n] und leidensbereite[n] Religion« (11) einen schicksalhaften Grund dafür, dass der »Traditionsstrom« christlicher Beschäftigung mit dem Glück »na hezu unterirdisch verläuft« (a. a. O.). Aber trägt nicht jede Gelassenheit (187) ein Moment von Weltdistanz in sich, ohne der Welt Feind zu sein? Praktische Philosophie und Ethik haben in den philosophischen Diskursen und Diskussionen wieder Gewicht. Diese Rehabilitierung entspricht nicht zuletzt dem erwachten öf fentlichen Interesse am schönen Leben. Die Frage nach der einen Wahrheit ist in der Spätmoderne zurückgetreten. Philosophie der Lebenskunst (W. Schmid) wird zur Philosophie als Lebenskunst (vgl. 116). Wer hat das Glück, das schöne Leben als Zerstreuung zu genießen? Die Spiegelung des Glücks ist eine Intellektualisierung, die Ernst Troeltsch schon der Religion empfahl, um sie aus den Projektionen bloßer Selbstbedürfnisse zu befreien. Gegenüber dem »in dividualistischen Glückserleben« (113) plädiert L. für das Kantsche Freiheitsprojekt: die Vernunftvision eines »Ausgleichs zwischen Glück und Moral« (111). Die sozialethische Modifikation und Rehabilitation des Eudämonismus¹ (130 ff.) erscheinen ihm theologisch plausibel, um den »individualethischen Hedonismus« zu überwinden (112). Mit Kant verbindet er dann Vernunft und Transzendenz als Grundprinzip des Glücks (a. a. O.). Ist das philosophisch wie theologisch noch die Kritik der reinen Vernunft? Auch wegen der Aporien der reinen Vernunft hält Kant den Eudämonismus für unerfüllbar (109).

»Es gibt kein Glück ohne Gott« (12). Mit dieser etwas arroganten These bezeichnet L. den »zentralen Aspekt« seines Buches. Trotzdem: Er sucht das Gespräch mit der Philosophie, um »die interdisziplinäre Anschlussfähigkeit der Theologie« (a. a. O.) zu belegen. Darum muss er schließlich zurückstecken. Alles ist nur ein »Versuch«, ein »vorläufiger Vorschlag« (13). Aber darf er bei der Frage, »was ein gutes und ein gelingendes Leben ausmacht« (188), mit dem Gottesbegriff fast wie ein Nachrichtensprecher umgehen, der den Transzendenzbezug als Einbruch und Erfahrung verkündet (137 u.ö.)? Theologie (in platonischer Tradition) hat oft genug unbedacht von »Spuren und erfahrbare[n] Anzeichen« (179) gesprochen und auf Ontologie gesetzt, statt Semiotik zu bedenken. L. verweist auf die »sittliche[n] Erfahrung des Guten« (133), den »Aufstieg zu Gott« (135). Natürlich sprechen seine philosophischen Gewährsleute aus der Schule Joachim Ritters ziemlich schnell vom »Sich-Zeigen des Guten selbst« (R. Spaemann, 155). Mit Spaemann ist auch das Augenblicksglück eine »sittliche Erfahrung« (a. a. O.). Der Mensch sucht jedoch nicht das Gute, sondern das, was er gut nennt. Alles an dere ist Ontologisierung (vgl. L.s Bezugnahme auf Ch. Taylor, 134).

Im Glück sind für L. »zwei Glückskonzepte« miteinander verbunden: das Streben nach dem Guten (das »Strebensglück«) und das (unverdient zukommende) »Augenblicksglück«.

Aber seine These, aus der Transzendenzerfahrung des Augenblicksglücks werde der Mensch (im Horizont des Absoluten) befreit vom Abwägen der Güter (155), ist selbst ein Wunsch. Keine Erfahrung hat ein außermenschliches Maß. Darin liegt die Zumutung jeder Christologie. Gerade »tiefe Gewissheitserfahrung« (158) ersetzt nicht die Auseinandersetzung. Diese religionspädagogisch zu lernen ist oft wichtiger, als den »Spuren« des »erfüllte[n] Augenblick[s]« zu folgen, der »an der Ewigkeit« teilhat (a. a. O.). Gelingendes Leben, ein zentraler Begriff für L., ist Ausdruck »selbstbestimmte[r] Lebensentwürfe«, denen ein »gewisses Maß an Sinnhaftigkeit und Rationalität« zu Grunde liegen muss (124). So weit, so gut. Aber sind durch manche »Vernunft« nicht auch viele unglücklich geworden?

Dass sich das Glück nicht herstellen lässt, sondern »sich von selbst einstellt« (190), weiß L. mit M. Seel und D. Thomä (151). L. hält nicht nur aus theologischer, sondern auch aus philosophischer Perspektive die Unverfügbarkeit des Glücks für eine »Unterbestimmung« (152). Er sieht den Grund für die »wohlwollende Annahme des eigenen Daseins« allein in Gott, dem »personalen Gegenüber« (166). Aber andere Gründe sind doch nicht auszuschließen. Think positive? Wer wüsste nicht um die Abgründe der Reflexion.

Glück birgt ein Moment von Ekstase oder Hysterie in sich. Es hat immer mit dem Leib zu tun ­ leibhaftig. In ihrem Glückserleben finden sich Menschen »zutiefst ergriffen« (186.187). L. hält das Er griffensein von der Unendlichkeit im Schleiermacherschen Sinn für das Motiv der Glückssuche. Bedenkt er, dass die Ergriffenen oft genug für das Unglück anderer verantwortlich sind? Das religiöse ðBilderverbotÐ beinhaltet auch einen Schutz.

Nur in »Freiheit und Gelassenheit« (187) wird das Unverfügbare geachtet. Ist die Gnade des Zukommenden das Glück, bleibt die Frage bestehen, woran die Arbeit am ðGlückÐ arbeitet.

Den gravierenden theologischen Vorbehalten von Paulus über den späten Augustinus bis zu Luther gegen das Streben nach dem Guten (sie wissen um die »Tyrannei des Guten«, 130), tritt L. schöpfungstheologisch entgegen: Im Glücksstreben liegt ein »höhere[r] Anspruch«; er ist Ausdruck der Gottebenbildlichkeit, nicht einfach »egoistische Selbstverwirklichung« (133). L. sieht in der schöpfungstheologischen Rede von der cooperatio des Menschen letztlich die Grundlage für die Rehabilitation der eudämonistischen Glückssuche (186).

Aber kann der »schwache Mensch« (127.128) seinen Willen von seinen Bedürfnissen frei halten? Das hatte schon Kant in seiner ethischen Kritik des Eudämonismus bestritten (111). Sünde ist das theologische (nicht-moralische) Motiv für die »Unterscheidung« zwischen dem Sein und dem Sollen. L. erinnert zu Recht daran (138 ff.).

Sozialität ist (mit J. Rawls) eher eine schwache als (mit M. Nussbaum) eine starke essentialistische Disposition (121 f.). Das Subjekt operiert mühsam vernünftig und entscheidet eher unwillig altru istisch (im strikten Sinn). L. kommt wohl die essentialistische Position entgegen, wenn er Sozialität, das »Höhere« im Menschen, als »Selbsterschließung Gottes in der menschlichen Seele« versteht (135). In symptomatischer Weise beruft sich L. wieder auf Taylor, um Sittlichkeit als eine Art intuitiver ursprünglicher Sozialität zu deuten, die sich im menschlichen Wertempfinden und in »Achtungsreaktionen« niederschlägt (133). Sind die menschlichen Bilder von Sozialität a priori »gute«? Der Zufall des Glücks ist immer ein namenloses Ereignis. Der ästhetischen Erfahrung wohnt ein Anästhetisches (W. Welsch) inne, jeder Präsenzerfahrung ein Abwesendes. Überbietung (152) der Glückssuche durch Zuwendung Gottes (164) wird darum auch zur Infragestellung, weil Glückserfüllung (oft) an Glückserwartung vorbeigeht. Das »Glück des Augenblicks ist Geschenk und Gnade« (166), aber eben nicht als ein schon be stimmtes (»das Gute«) zu erwarten. Glück ist doch auch enttäuschend. Ist Gott nicht (im Sinne der Rechtfertigungstheologie) »jenseits des Guten und des Bösen«, jenseits menschlicher Differenzierungen, was schon Spinoza wusste? Was heißt denn präsentische Eschatologie (in der Spannung zur futurischen, 171­173) anderes, als dass sich ereignet, für das letztlich Sprache und Worte fehlen, über das nur unangemessen, bezweifelbar, flüchtig zu reden ist?

L. wird nicht müde, das Glück unter dem Doppelaspekt von Teleologie und Ekstase zu betrachten. Das ist einleuchtend: Im Suchen wird die Resignation bearbeitet, und der glückliche Augenblick hält die Hoffnung aufrecht (178). Aber der Mythos des ewigen, zeitlosen Augenblicks ist auch eine Suggestion, die die Flucht aus den Abgründen der Reflexion anbietet. Wird die Erfahrung trun kener »imaginärer Gegenwärtigkeit« (K.-H. Stierle) schließlich zu einer Selbstbeschwörung, die misslingen muss? Das Glück ist unsicher und unmöglich (J. Derrida), weil es nicht erwartet werden kann. Zum Glück gehören vielleicht ein verunsichertes Bewusstsein und ein zweifelnd-hoffender Glaube. Vielleicht ein glück licher.

L. hat ein gutes Buch geschrieben, weil es die Kritik belohnt.