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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

369-371

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hailer, Martin:

Titel/Untertitel:

Gott und die Götzen. Über Gottes Macht angesichts der lebensbestimmenden Mächte.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. 430 S. gr.8° = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 109. Geb. EUR 77,90. ISBN 3-525-56336-1.

Rezensent:

Hartmut Rosenau

Diese im Sommer 2003 in Erlangen angenommene Habilitationsschrift greift ein ebenso brisantes wie schwieriges Thema der materialen Dogmatik auf: Wie kann angemessen und profiliert von Gott als der »alles bestimmenden Wirklichkeit« (Bultmann), von Gottes Allmacht und Lenkung der Welt gesprochen werden, wenn doch offensichtlich ganz andere Mächte und Gewalten (Ideologien, Idole, Markt, Geld, Fußball etc.) unsere Lebenswelt bestimmen? Nach den anhaltenden Debatten um Entmythologisierung oder Remythologisierung kann hier inzwischen auch wieder ganz unbefangen von Engeln und Dämonen, von Göttern und Götzen im postmodernen Oszillieren zwischen Monotheismus (der Vernunft) und Polythe ismus (der Einbildungskraft) im Spannungsfeld von Kunst und Politik gesprochen werden, wie es schon das »Älteste Systemprogramm« des deutschen Idealismus angekündigt hat.

H. nimmt diese aktuelle Diskussion (an der z. B. G. Picht, O. Marquard und J. Assmann beteiligt sind) kenntnisreich und differenziert auf. Er geht dabei von M. Tippetts Oratorium »A Child of Our Time« aus, in dem eindrücklich kollektive Mächte und überindividuelle Verblendungszusammenhänge angesichts der furchtbaren Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs thematisiert werden. Diese archaischen Gewalten, die schon Homer und Pindar als unverfügbare daseinsbestimmende Mächte besungen haben, sind in der Tat eine »Provokation« (12) für die traditionelle christliche, auf eine personale Vorstellung von Gott als Liebe festgelegte Dogmatik. Welche Art von Wirklichkeit und welche Relevanz kommt solchen Mächten zu, wenn der Glaube davon spricht, dass sie durch Tod und Auferstehung Jesu Christi besiegt sind (13)? Oder muss nicht ­ angeregt durch die Anliegen einer Befreiungstheologie (111) ­ in der Lehre von Gottes Eigenschaften deutlicher als bisher ein soteriologisch akzentuierter »Mittelbereich« (17) zwischen den Extremen von Gottes Allmacht (P. Tillich, W. Pannenberg) und Ohnmacht (H. Jonas; E. Jüngel) ausgelotet werden, in dem sich das religiöse Leben vor Ort tatsächlich bewegt und den ein »theologischer Realismus« (17) wahrzunehmen hat?

Es gehört zu den Stärken des vorliegenden Buches, dass diese Leitfragen einschließlich ihrer methodischen Implikationen der Sache wie der Sprache nach erfreulich klar schon in der Einleitung entwickelt und zu einer erwägenswerten These verdichtet werden: Im kritischen Anschluss an K. Barths Lehre vom »Nichtigen« will H. »die Macht der Mächte als Suggestion und die Macht des Glaubens als Desuggestion« (26) verstehen. Dabei gerät jedoch eine andere relevante Leitdifferenz in den Hintergrund, die mindestens zusätzlich zum Aspekt der Macht, wenn nicht gar als Paradigmenwechsel von Bedeutung für die theologische Problemstellung wie auch für eine mögliche Lösung sein könnte, nämlich die Differenz zwischen Nähe (Macht) und Ferne (Ohnmacht) Gottes (30) im Sinne einer eindeutigen lebensweltlichen Präsenz zwischen Glaubensgewissheit und Zweifel, Zustimmung und Skepsis. Zur Bearbeitung dieser Ambivalenz auch im Blick auf das immer mitthematisierte Theodizeeproblem (29) hat z. B. die alt- wie zwischentestamentliche »Weisheit«, aber auch Luthers Unterscheidung zwischen dem offenbaren und dem verborgenen Gott oder R. Ottos Phänomenologie des Heiligen zwischen Lebensermöglichung und Lebensbedrohung Anregungen gegeben, die im Sinne einer systematisch aufgebauten »sa pientialen« Dogmatik ausgeführt werden könnten, ohne sich in den onto-theologischen Aporien des »Nichtigen« zu verfangen. Denn die Macht der Erlösung oder Befreiung (durch Christus) bemisst sich doch an der Macht dessen, wovon sie befreit ­ und das ist nicht Nichts, sondern Widerstand.

Die Durchführung des in der Einleitung vorgestellten Programms geschieht in vier großen Kapiteln. Bei allen detailreichen Ausflügen in die jüngere Theologie- und Philosophiegeschichte, die je für sich genommen lehrreich sind, verlieren die Leser durch di daktisch geschickte Zusammenfassungen, Überleitungen und Wie derholungen dennoch nie den roten Faden der Gesamtargumentation aus den Augen. Natürlich könnten diese Bezüge und Exkurse immer noch ergänzt werden. So würde sich z. B. auch ein Blick auf die Prozesstheologie lohnen, wenn es um das Bedenken der (All)Macht Gottes geht; auch die Esoterik-Szene wäre ein geeignetes Studienfeld, wo viel von Mächten und Kräften die Rede ist, die den Alltag bestimmen. Demgegenüber bleibt H. lieber in gewohnten Bahnen, wenn er bekenntnisartig herausstellt, dass »die Rede von der Macht Gottes zureichend nur im Rahmen einer trinitarischen Gotteslehre entfaltet werden kann« (53). Ob so aber nicht auch ­ contra intentionem ­ »die lebensbestimmenden Mächte ... weitgehend verfehlt« (61) werden, bleibt eine noch offene Frage, ebenso wie die Frage nach dem Personbegriff in Bezug auf Gott. Zur weiteren Klärung wären hier z. B. die von H. angebotenen Hinweise zur Kenosis-Christologie (48.83) oder zu Schellings Lehre von den Potenzen in nerhalb seiner Philosophie der Mythologie und der Offenbarung systematisch zur Geltung zu bringen.

Generell machen die Kapitel, Unterkapitel und Exkurse oft den Eindruck, als seien sie aus einer Aneinanderreihung von Rezensionen und Referaten anderer Positionen zusammengesetzt, anstatt dass sie eine eigene Position organisch entfalten und vertiefen. Was aber H. immer gut gelingt, ist die subtile Be schreibung der Mächte in ihrer ambivalenten, transsubjektiven wie transobjektiven Struktur (115) als »Steigerungsformen von Welt« (132) einschließlich ihrer auch wahrnehmungspsychologisch interessanten Zugänge (147 ff.) im affektiven und vorprädikativen Bereich. Wenn aber die Mächte in all ihrer schillernden Unfasslichkeit dennoch der »Welt« zuzurechnen sind, dann ist nicht nur die soteriologische Perspektive ihrer Entlarvung und Entmachtung (in Christus) ein theologisch relevantes Thema, sondern auch ihr Status im Rahmen einer Schöpfungstheologie (254), die leider kaum bedacht wird. Hier mit K. Barth zwischen Schöpfer und Geschöpf ein »eigentümliches Drittes« (334) anzunehmen, ist weder logisch möglich noch theologisch sinnvoll, wenn es lediglich »Einbildung« (336) sein soll. Auch die Bezeichnungen »Lüge, Verstellung und Trug« (368) werden kaum der bezwingenden Realität der einleitend beschriebenen Mächte und Gewalten gerecht, schon gar nicht, wenn man sich von den überwiegend negativen Phänomenen zu den positiven hinwendet, »die als fröhlich und gelingend erlebt werden« (11; s. auch 393). Hier hält H. das anfangs eingenommene und weitgehend beibehaltene Niveau des Problemansatzes leider nicht durch, auch wenn es einleuchtend ist, dass von »der Mächtigkeit eines Phänomens nicht auf die Zulässigkeit des Prädikats ðGottЫ (383) geschlossen werden kann und der Glaube da kritisch Einspruch erhebt, wo »der Realität dieser Erfahrung normative Kraft« (ebd.) zugeschrieben wird. Ein guter Prüfstein für die von H. im Anschluss an K. Barth gefundenen Antworten wäre eine dann noch durchzuführende Theologie der Religionen.

Diese wenigen kritischen Bemerkungen sollen aber nicht davon ab lenken, dass es sich bei diesem Buch insgesamt um eine äußerst gelehrte, anregende und auch eingängig zu lesende Studie handelt, die uneingeschränkte Aufmerksamkeit in der aktuellen Diskussion auch um die zunehmende gesellschaftliche Relevanz von Religion und Gottesglauben verdient.