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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

365-367

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Roller, Paul-Gerhard:

Titel/Untertitel:

Das Wesen des Christentums als me diale Wirklichkeit. Eine fernsehanalytische Untersuchung in systematischer Perspektive.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2005. VIII, 339 S. gr.8°. Geb. EUR 44,00. ISBN 3-374-02287-1.

Rezensent:

Günter Thomas

Die Darstellung des Christentums ist in der gegenwärtigen Gesellschaft nicht nur eine Sache der christlichen Kirchen, des wissenschaftlichen Diskurses oder diverser Bildungseinrichtungen. Auch Zeitungen, das Radio und nicht zuletzt die audiovisuellen Medien, d. h. Fernsehen, Filme und Internet, sind an dieser Darstellung be teiligt. Diese audiovisuellen Außenbetrachtungen des christlichen Glaubens können sich in redaktionellen Sendungen, in Spielfilmen oder auch in dokumentationsähnlichen Mischformen vollziehen. So kann eine detaillierte, umsichtig geplante und werbewirksam geplante öffentliche Beschreibung des Christentums in besonderen Fällen und zu besonderen Anlässen auch eine Angelegenheit des Fernsehens werden.

Im Vorfeld der vergangenen Jahrtausendwende wurde eine solche mediengerecht aufbereitete Gesamtdarstellung des Chris tentums in Angriff genommen. Das Ergebnis des langen und verschlungenen Planungs- und Produktionsprozesses war die Sendereihe »2000 Jahre Christentum«, die von November 1999 bis Februar 2000 in dreizehn 45-minütigen Einheiten ausgestrahlt wurde. Die Sendung bot den Zuschauern eine so genannte ðhybride MischformÐ eines Dokumentarfilms, insofern in den Beiträgen Originalschauplätze, historische Dokumente und nachgestellte Spielszenen mit Computeranimationen und Tricktechnik verbunden wurden. Die Sendereihe, die vielfältig medial gerahmt und lokal begleitet wurde, ist der Untersuchungsgegenstand der in Tübingen an der evangelisch-theologischen Fakultät entstandenen Dissertation Paul-Gerhard Rollers.

Was ist der die Studie charakterisierende Zugriff? R. geht von einer doppelten Beobachtung aus: Die Sendereihe möchte eine historische Darstellung von 2000 Jahren Christentum bieten und verknüpft dies durchgehend mit der Frage nach ðder WahrheitÐ bzw. nach dem ðwahren ChristentumÐ. Diese enge Kombination aus historischer Darstellung und der Suche nach der Wahrheit des Christentums in, durch und mittels der geschichtlichen Rekonstruktion legt für R. den Schluss nahe, dass die Sendung »als ein zeitgemäßer Versuch der Darstellung des Wesens des Christentums in seiner 2000-jährigen Geschichte« angesehen werden muss. Mit Blick auf das 100-jährige Jubiläum des berühmten und überaus resonanzstarken Harnackschen Vorlesungszyklus »Das Wesen des Christentums« diagnostiziert er eine »Wesensverwandtschaft« (3). Dass es sich bei der Sendereihe um einen im filmischen Medium unternommenen, ðzeitgemäßenÐ Versuch einer solchen Darstellung des Wesens des Christentums handelt, ist die steuernde Arbeitshypothese der Dissertation. Ihr entspricht das Ziel, nicht nur eine medien- und theologiekritische Rekonstruktion ausgewählter Sendungen zu unternehmen, sondern die Frage zu verfolgen, inwiefern in der Sendung »die Frage nach dem Wesen des Christentums ... zum Vorschein kommt« und »ob bzw. wie eine sachgerechte Darstellung des Wesens des Christentums im Medium Fernsehen möglich ist« (4).

Zum Aufbau der Untersuchung: In einem ersten knapp gehaltenen Teil (7­32) rekonstruiert R. die Entstehungsgeschichte des Projektes und analysiert die zeitlich vorgeschaltete Pilotsendung »Im Zeichen des Kreuzes«. Der gut 200 Seiten umfassende Hauptteil des Bandes (33­256) offeriert fünf Feinanalysen exemplarisch ausgesuchter Einzelsendungen der Reihe, die R. mit Überlegungen zur Rezeption der Sendereihe abschließt. Alle fünf Durchgänge bestehen aus einer Einführung, einer anschließenden Sequenzanalyse der jeweiligen Folge der Reihe, einer medienkritischen Feinanalyse und zuletzt einer theologischen Inhaltsanalyse und Interpretation. Zugleich werden die fünf Durchgänge theologischen Themenfeldern (christologische, eschatologische, ekklesiologische, soteriologische und säkulare Aspekte) zugeordnet. In einem letzten, 50 Seiten langen Teil (257­306) geht R. in drei Reflexionsgängen der Frage nach dem Wesen des Christentums nach. Ein erster Überlegungsgang geht den geschichtlichen Wesensbestimmungen nach, ein zweiter wendet sich den theologischen Wesensbestimmungen der Sendung zu, ein dritter thematisiert die Wesensfrage in einem medienwissenschaftlichen Horizont.

Der kritischen Darstellung der Arbeit ist eine Bemerkung voranzustellen: Die Darstellungen R.s stoßen unfreiwillig an die Grenzen des rein schriftlichen Diskurses in der Auseinandersetzung mit audiovisuellen Untersuchungsgegenständen. Die Leserin bzw. der Leser wünscht sich eine beigelegte DVD mit den wichtigsten besprochenen Filmausschnitten. Dies hätte nicht nur die textliche Darstellung erheblich entlastet, sondern dem Leser/dem Betrachter die Chance eines eigenständigeren Urteils ermöglicht.

Das große Verdienst der Arbeit ist, produktorientiert medien analytische und theologische Reflexion zusammengeführt zu ha ben, und dies auf einem sehr hohen Niveau. Die Studie verlässt auch die vertrauten Pfade einer hochkulturellen, und d. h. vornehmlich kinofilmorientierten Medienanalyse. Theologisch zielt die Analyse immer wieder auf die der Sendung implizite Theologie, z. B. auf den fehlenden Zusammenhang des historisch-vorösterlichen und des nachösterlichen Jesus. Die medienwissenschaftlichen Beschreibungen sind perspektivenreich und dokumentieren eine filmanalytische Kompetenz.

Überschaut man Anlage und Durchführung der Dissertationsschrift, so wirft das Projekt zwei Fragen auf, die R. selbst im Schlussteil verschiedentlich berührt, die er aber nicht ins Zentrum stellen möchte. Sie scheinen mir jedoch für das gesamte Problemfeld nicht unwesentlich zu sein.

Lebt die Frage nach dem Wesen des Christentums, wie sie E. Troeltsch und A. v. Harnack gestellt haben und die R. der Sendereihe als Selbstanspruch zu schreibt, nicht von Voraussetzungen, die weder die Filmemacher noch weite Teile der Geschichtstheorie teilen? Konkret: Lässt sich nach der Krise des Historismus, in Anerkenntnis der Perspektivität und Konstruktivität historischer Darstellung und nicht zuletzt vor dem Hintergrund des operativen Konstruktivismus in der Medienpraxis die Wesensfrage noch durch historische Analysen beantworten? Markiert für die Medienproduktion »Geschichte« nicht eine performative und rhetorische Strategie, eine »Geste«? Es bleibt in der Schwebe, ob R. die Voraussetzungen einer starken Geschichtskonzeption teilt und/oder ob er sie zu teilen den Serienproduzenten unterstellt. Auch ohne einem haltlosen Relativismus oder gar Geschichtsnihilismus zu verfallen, kann und muss dieser geschichtsphilosophische Problemhorizont wahrgenommen werden. Je nachdem, wie man sich an diesem Punkt entscheidet, sind die Kriterien und Lösungsstrategien z. B. angesichts der inneren Heterogenität der Sendungen zu suchen. Lässt sich ðWesentlichesÐ und ðUnwesentlichesÐ rein historisch, sozusagen perspektivenfrei unterscheiden?

Die zweite Frage betrifft im Kern den Zusammenhang zwischen audiovisueller Medialität und einer Bestimmtheit und Wahrheit suchenden Kommunikation des Evangeliums. Die Probleme einer inneren Polyphonie im Sinne einer mangelnden inhaltlichen Kohärenz, die Probleme der Visualisierung und Dramatisierung des Stoffes und nicht zuletzt das Problem der hohen Suggestivkraft der Kombination von Wort, Bild und Ton führen R. zu der Einsicht: »Die scheinbar objektive, Wirklichkeit abzubildende Darstellung des Fernsehens spaltet die Fachkundigen und überzeugt die Unwissenden« (281). Das ganze Bündel der damit faktisch aufgeworfenen me dientheoretischen, wissenssoziologischen und letztlich auch theologischen Probleme weist weit über die Arbeit hinaus und durchzieht doch das gesamte Projekt. Ist, so kann man knapp fragen, jede me diale Konstellation in gleichem Maße geeignet, das Wesen des Chris tentums zu kommunizieren? R.s berechtigte Zu rückweisung kulturpessimistischer Attitüden lässt ihn an diesem neuralgischen Punkt die Grenzen des Mediums nicht hinreichend ausloten.


Diese Rückfragen dürfen jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass R.s Arbeit für die Analyse von religiösen Fernsehsendungen hinsichtlich der distinkten, methodisch geklärten Analysezugänge und der pointierten theologischen Reflexion wegweisend ist. Sie dokumentiert eine Stufe der theologischen Medienreflexion, auf der die falsche Alternative enthusiastischer Träumereien und depressiver Verfallsprognosen zu Gunsten wissenschaftlich sachlicher und theologisch engagierter Analysen überwunden ist. Im Feld ðKirche und MedienÐ wird »Das Wesen des Christentums als mediale Wirklichkeit« sich zweifellos den Status eines Standardwerkes erobern.