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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

361-362

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hübner, Hans

Titel/Untertitel:

Evangelische Fundamentaltheologie. Theologie der Bibel.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. 255 S. gr.8°. Geb. EUR 74,90. ISBN 3-525-53563-5.

Rezensent:

Hans-Martin Rieger

Eine Fundamentaltheologie aus der Feder eines Neutestamentlers. H. begreift sie als Bearbeitung eines Grundproblems, das sich ihm nach Abschluss seiner dreibändigen »Biblischen Theologie« ergab: Wie kann dem Denken der neutestamentlichen Autoren folgend der heutige Mensch innerhalb seines Seins das transzendente Sein Gottes denken? Bei der Beantwortung dieser Frage kommt zwar die herkömmliche Fundamentaltheologie als Metareflexion der Theologie (M. Petzoldt) zum Zug, ausgegangen wird indes von einer positionalen »Biblischen Theologie«, für welche das biblische Zeugnis des Evangeliums für den christlichen Glauben fundamental ist. In diesem Sinn sollen Titel und Untertitel gelten.

Zielpunkt ist eine »Ontologie der Transzendenz«, welche das Sein Gottes und das Sein des Menschen explizierbar macht. Ausgangspunkt ist der im Joh-Prolog zur Sprache kommende »Deus hermeneuticus«. Entscheidend und für gewohnte Fundamentaltheologie etwas atemberaubend ist der Gedankengang dazwischen. Er be steht, kurz gesagt, darin, über die Entwürfe hauptsächlich dreier Diskussionspartner Analogien und Verstehenshilfen zu biblischen Vorstellungen aufzubauen und diese insofern zu plausibilisieren: 1. populäre kosmophysikalische Vorstellungen (Urknalltheorie, An thropisches Prinzip), 2. die Freiheitsschrift Schellings und 3. die Spätphilosophie Heideggers.

Im ersten Kapitel wird zunächst die Grundbedingung benannt: Zu Gottes Sein führt der Weg nur über sein Offenbar-Sein (24). Um zu einer Ontologie der Transzendenz zu gelangen, sei allerdings eine Fundamentalontologie notwendig, welche zu jener in Analogie stehe. Gegen alle Kritik hält H. an der analogia entis fest (109 ff.: allerdings als analogia personalitatis).

Im zweiten Kapitel erfolgt die Auslegung des Joh-Prologs: Gott entäußert sich in seinem Logos aus der Transzendenz in die Immanenz hinein. Er setzt sich selbst außerhalb seiner selbst und bleibt doch ewiges Sein. So formuliert werden schon die Analogien zu Schelling und Heidegger ersichtlich. Zunächst aber wird der in Joh1 gewahrte absolute Geheimnischarakter göttlicher Transzendenz mit der kosmophysikalischen Vorstellung der noetisch un durchdringbaren Planckschen Mauer und der Anfangssingularität in der Urknallhypothese verbunden.

Genau hier kann das dritte, zentrale Kapitel über das Sein Gottes ansetzen. Gefragt wird, ob nicht die riesige Energie hinter der Planckschen Mauer zum vestigium Dei werden könnte, insofern sich doch auch nach biblischem Zeugnis die Schöpfung dem Gott verdanke, der seinem Wesen nach dynamis, Energie, sei (78 f.). Partner der Frage nach dem Sein Gottes sind dann Schelling und Heidegger: Schellings These von dem »in Gott gezeugten Gott« stehe in wunderbarem Einklang mit Joh 1 (105.203), ebenso seine These einer panentheistischen Beziehung zwischen dem Sein des Schöpfers und dem Sein des Geschöpfs. Vor allem der späte Heidegger wird als philosophierender Theologe in Anspruch genommen, als beispielhaft gilt seine Auffassung der Subjekthaftigkeit des Seins.

Im vierten Kapitel über das Sein des Menschen werden drei verschiedene Seinsweisen unterschieden: der gerechtfertigte, der ge heiligte und der eschatologische Mensch. Hinsichtlich der ersten Seinsweise wird die paulinische Rechtfertigungslehre mit dem Exis tential des Gerecht-sein-Wollens, das Heilmittel des Wortes mit Heideggers Zuruf des Seins verbunden. Hinsichtlich der zweiten wird die Metamorphose ins transzendente Wesen Gottes (2Kor 3,18) bzw. die Teilhabe des Christen am göttlichen Wesen mittels der Heiligkeitsvorstellung, dann mittels der Heideggerschen Wesensverwandlung erhellt. Hinsichtlich der dritten schließlich wird die Frage »Wo sind die Toten?« mit der Aufhebung der im Zusammensein des Glaubenden mit Gott noch währenden Bilokation von In-der-Welt-sein und In-Gott-sein beantwortet. ­ Der Epilog führt die existentiale Interpretation angesichts der Anfechtung des Nihilismus in einer kosmischen Spekulation über Raum und Zeit fort, nimmt zuletzt aber mit Jüngel das Nichts in Gott hinein.

H.s Studie ist als wohltuender Widerspruch gegen eine Transzendenzvergessenheit und gegen das Pathos der Distanzierungsfähigkeit in Exegese und Fundamentaltheologie ernst zu nehmen ­ ebenso darin, dass sie das Bekenntnis zu einer von der christlichen Identität ausgehenden Positionalität nicht als fundamentaltheo logische Schwäche, sondern als Stärke begreift und von hier aus Theo logie in umfassender Weise als Wirklichkeitswissenschaft versteht. Allerdings wird man den Gewinn des abwechselnden Befragens der drei Diskussionspartner weitaus skeptischer beurteilen müssen: Selbst wenn man zugesteht, dass diese besser verstanden werden, als sie sich selbst verstehen, so droht die Suche nach Ana logien, Verstehenshilfen und Adaptionsmöglichkeiten doch Differenzmomente und Problematiken zu unterschlagen. Notwendig wäre die hermeneutische Klärung eines Sich-in-Beziehung-Setzens zu anderen Diskursfeldern, insofern schon nicht ausgemacht ist, ob man sich auf dasselbe bezieht. Dazu liegen Vorschläge vor (für Kosmophysik D. Evers). In der zentralen Problematik von Transzendenz und Ontologie votiert bereits Bonhoeffer mit guten Gründen anders, insofern er etwa (gegen Heidegger und Bultmann) mit der Differenz vom Sein Adams und Sein Christi eine Fundamentaldifferenz in die Ontologie selbst hineinträgt.