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Ausgabe:

März/1998

Spalte:

273–275

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Nüssel, Friederike

Titel/Untertitel:

Bund und Versöhnung. Zur Begründung der Dogmatik bei Johann Franz Buddeus.

Verlag:

Göttingen:Vandenhoeck & Ruprecht 1996. 362 S. gr.8° = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 77. Kart. DM 110,­. ISBN 3-525-56284-5.

Rezensent:

Eberhard Pältz

Die vorliegende, von W. Pannenberg angeregte und von der Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilian-Universität München 1994 als Dissertation angenommene Untersuchung zur dogmatischen Theologie des Johann Franz Buddeus (1667-1729) weist die im Bund Gottes mit dem Menschen begründete Versöhnung als die Mitte der Dogmatik des bedeutenden Jenenser Theologen aus. Mit der intendierten "Rekonstruktion" der dogmatischen Theologie von Buddeus unter der Frage, "in welcher Weise Buddeus die Dogmatik konzipiert und durchgeführt hat und inwiefern sich von daher der Übergang von der altprotestantischen Theologie zur Aufklärungszeit und zum Neuprotestantismus erhellen läßt" (11), gelingt der Vfn. eine dem theologischen Profil des Buddeus adäquate Gesamtdarstellung von dessen Dogmatik, von der sich auch für die in der Forschung unterschiedlich bewertete theologiegeschichtliche Ortsbestimmung neue Akzente ergeben.

Die 1723 erschienene Dogmatik (Institutiones Theologiae Dogmaticae ...) des seit 1705 in Jena lehrenden, als Philosoph und Theologe an den geistigen Auseinandersetzungen der Zeit partizipierenden Buddeus wird ­ entsprechend der zentralen Stellung, die der Dogmatik in dessen Einführung in die theologischen Wissenschaften (Isagoge ..., 1727) zukommt ­ mit Recht als dessen Hauptwerk angesprochen. Da bisher eine monographische Darstellung der Dogmatik des Buddeus nicht vorgelegen hat, kommt der Untersuchung der Vfn. eine in systematisch-theologischer und theologiegeschichtlicher Hinsicht gleichermaßen bedeutsame Stellung zu, kann doch Buddeus als maßgebende theologische Epochengestalt bezeichnet werden.

In sechs Kapiteln strukturiert die Vfn. ihre sorgfältig belegte, übersichtliche und in der Subtilität nachdenkender Reflexion authentische Darstellung und Deutung der Dogmatik von Buddeus. Das Gesamtwerk des Jenenser Theologen ist dabei ebenso im Blick wie der theologiegeschichtliche Bezug. Das erste Kapitel: "Die Autorität der Schrift" setzt bei der Schriftlehre ein und bezieht den Kontext der reformatorischen und altprotestantischen Hermeneutik (bes. der Jenenser Theologen J. Gerhard, J. Musäus, J. W. Baier) ein. Im Sinne der Tradition beschreibt Buddeus die Schrift als das autoritative Erkenntnisprinzip der Dogmatik, doch im Unterschied zum altprotestantischen Verständnis bedarf es zur vollständigen Erhellung der Autorität der Schrift der Demonstration der Wahrheit, Heiligkeit und Suffizienz ihrer Lehre.

Diese Aufgabe hat die Dogmatik zu versehen, deren Begriff und Aufgabe im zweiten Kapitel thematisiert werden. Angesichts der Positionen von Spinozismus, leibniz-wolffschem Rationalismus und englischem Deismus kann Buddeus nicht mehr nur mit einer Verteidigung der Autorität der Schrift als des exklusiven Erkenntnisgrundes der Theologie ansetzen. "Es bedarf vielmehr einer theologischen Disziplin, die den zentralen Inhalt des christlichen Glaubens als den wahren und unverzichtbaren Grund des menschlichen Heils auslegt" (33). Infolgedessen kommt der Dogmatik als eigenständiger Disziplin innerhalb der theologischen Wissenschaft die Aufgabe zu, die wesentlichen Inhalte der christlichen Religion durch die systematische Rekonstruktion zu bestimmen, zu erklären und zu beweisen.

Für die Erhellung der Herausbildung der Dogmatik als einer eigenen theologischen Disziplin sind die mit zahlreichen theologiegeschichtlichen Verweisen untersetzten Interpretationen von Buddeus’ bedeutsamer "Isagoge" (35 ff.) aufschlußreich. Der unauflösliche Zusammenhang von Dogmatik und Moraltheologie bei Buddeus kommt darin zum Ausdruck, daß "Dogmatik und Ethik ein einheitliches, credenda und agenda umfassendes theologisches Lehrgefüge (konstituieren)" (41).

Das zentrale dritte Kapitel: "Die Versöhnung des Menschen mit Gott" behandelt zuerst die in der Christologie entfaltete Begründung der Versöhnung und erörtert dann im Anschluß an die Christologie die als Werk des Geistes beschriebene individuelle Aneignung der Versöhnung des Menschen mit Gott.

Die Stellung des Buddeus im Rahmen der lutherischen Lehrtradition (Lehre vom dreifachen Amt, Idiomenkommunikation) wird umfassend reflektiert. In seiner Lehre von Christi Person und Werk, ausgehend von der Bestimmung Christi als Mittler des Gnadenbundes zwischen Gott und den Menschen, ist Buddeus von der bereits bei S. Pufendorf und J. W. Jäger rezipierten reformierten Föderaltheologie beeinflußt, folgt jedoch in seiner Deutung der Naturen in der Einheit der Person im Sinne der realen und vollständigen Einwohnung der göttlichen Natur in der menschlichen Natur der lutherischen Tradition.

Mit dem Erweis des Zusammenhangs zwischen der Mittlertätigkeit Christi und der Konstitution des expliziten Glaubensbewußtseins gelingt es Buddeus, einen orthodoxen Objektivismus zu vermeiden, ohne in Subjektivismus abzugleiten. (Eine Positionsbestimmung, die auch Buddeus’ kirchenpolitischer Haltung in der Auseinandersetzung um den Pietismus entsprechen dürfte.) In seiner Rechtfertigungslehre hat Buddeus die Abhängigkeit der in der Wiedergeburt gewonnenen subjektiven Heilsgewißheit von ihrem objektiven Grund nachdrücklich akzentuiert: Buddeus betont ­ mit J. W. Baier­, daß die den Menschen im Rechtfertigungsurteil Gottes zuerkannte Gerechtigkeit keine den Menschen eigene oder inhärente Gerechtigkeit, sondern die fremde Gerechtigkeit, nämlich die Gerechtigkeit Christi, ist.

Dem Nachdenken über die Notwendigkeit der Versöhnung ist das vierte Kapitel: "Der Bund als Thema der Versöhnung" gewidmet, das den Stellenwert markiert, der in der dogmatischen Theologie des Buddeus der Bundestheologie zukommt: allerdings führt Buddeus das föderaltheologische Konzept in durchaus modifizierter Weise in sein System ein.

Eingehend erörtert die Vfn. die Argumentation des Buddeus in den anstehenden Auseinandersetzungen um die Versöhnungslehre (Sozinianismus) und bei der theologischen Verarbeitung des durch Leibniz aktuell thematisierten Theodizeeproblems. Die föderaltheologische Konzeption begreift die Menschheitsgeschichte als unter dem Gnadenbund Gottes stehende Heilsgeschichte: Im Gnadenbund läßt sich Gott als Vater erkennen. Eine abstrakte Prädestinationslehre lehnt Buddeus ab; für die Begründung der Erwählungsgewißheit gewinnen die Sakramente konstitutive Bedeutung. In der Ekklesiologie konzentriert sich Buddeus auf die Wesensbestimmung der wahren und unsichtbaren Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen. Die Institution ist sekundär; die Funktion der äußeren, sichtbaren Kirche besteht darin, Wort und Sakrament als die Konstitutionsbedingungen der wahren Kirche richtig zu verwalten.

Im fünften Kapitel "Religion und Offenbarung" weist die Vfn. überzeugend nach, daß Buddeus den Religionsbegriff zur Verteidigung der christlichen Versöhnungsbotschaft gegen Spinozismus und Deismus entwickelt hat. Daher wäre der Begriff der natürlichen Religion mißverstanden, wenn man ihn im Sinne eines von der offenbarten Religion unabhängigen Substrats menschlicher Vernunfterkenntnis einstufen würde: Für die adäquate Realisierung der Religiosität bedarf der Mensch der Offenbarung. Daher ist für Buddeus Gottes Offenbarung in seinem Werk- und Gnadenbund das Faktum, durch welches die Religion begründet wird.

Die theologiegeschichtlichen Aspekte, u. a. zum Bewußtsein "schlechthinniger Abhängigkeit" bei Schleiermacher und Buddeus, werden erörtert. Zum Ursprung des Begriffs der natürlichen Religion verweist die Vfn. auf J. Musäus’ Auseinandersetzung mit Herbert von Cherbury. Bereits Musäus signalisierte die Unvollkommenheit der natürlichen Gotteserkenntnis.

Eine der Intention des Buddeus zuwiderlaufende Wirkungsgeschichte des Motivs der natürlichen Religion wäre gesondert zu verhandeln. Zur Entwicklung des Religionsbegriffs: K. Feiereis, Die Umprägung der natürlichen Theologie in Religionsphilosophie. Ein Beitrag zur deutschen Geistesgeschichte des 18. Jh.s. Leipzig 1965; G. Freund, Theologie im Widerspruch. Die Lessing-Goeze-Kontroverse. Stuttgart 1989.

Auch das sechste Kapitel "Gott als das höchste Gut des Menschen", das die Gottes- und Trinitätslehre thematisiert, bezieht die Auseinandersetzungen des Buddeus mit den zeitgenössischen philosophischen Positionen (u. a. der spinozistischen Gotteslehre) ein. Für Buddeus ist das Interesse maßgebend, Gott als Grund des in Christus offenbarten, universal gültigen Gnadenbundes und darin als das höchste Gut des Menschen zu bestimmen. Der sich in seinem Gnadenbund offenbarende Gott erweist sich als der Grund menschlicher Glückseligkeit.

Buddeus, der im Einklang mit der Jenaer Theologie das ontologische Argument des Descartes abweist, erkennt die ­ mit der altprotestantischen Tradition als Erhaltung, Mitwirkung und Regierung der Welt gedeutete, Gott als frei handelndes Wesen erweisende ­ Providenz als Voraussetzung für die Gewißheit der Existenz Gottes. (Zur Auseinandersetzung mit dem Theodizeeproblem: 326 ff.) Das gemeinsame Wirken von Vater, Sohn und Geist in der Begründung und Vermittlung des Gnadenbundes gilt als Erkenntnisgrund der anhand des biblischen Zeugnisses entworfenen (den traditionellen dogmatischen Bestimmungen gegenüber distanzierten) Trinitätslehre, in der die Gotteslehre ihren Abschluß findet.

Die Untersuchung erschließt das dogmatische Werk eines nicht nur zu seiner Zeit herausragenden Theologen. Buddeus hat ein Sensorium für die zu Beginn des 18. Jh.s anstehenden Herausforderungen der Theologie durch rationalistische und offenbarungskritische Positionen. Er erkennt, daß eine neue Weise der Vergewisserung der durch Christus als dem Mittler begründeten Versöhnung des Menschen mit Gott unabdingbar ist. Daher überwindet sein Programm der Dogmatik ­ wie die Vfn. deutlich macht ­ in formaler Hinsicht die Schranken der orthodoxen Dogmatik. "An die Stelle der altprotestantischen Organisation der Theologie durch die analytische und kausale Methode setzt Buddeus das Programm der systematischen Reflexion auf die Versöhnung als den zentralen Inhalt des Glaubens und überwindet damit den scholastischen Charakter des Altprotestantismus" (338).

Der Vfn. ist zu danken für eine dem denkerischen Anspruch des theologischen Werkes von Buddeus in jeder Hinsicht angemessene Untersuchung, die nicht nur für den Theologiehistoriker von Interesse sein dürfte.