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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

339-341

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Büchner, Christine:

Titel/Untertitel:

Gottes Kreatur ­ »ein reines Nichts«? Einheit Gottes als Ermöglichung von Geschöpflichkeit und Personalität im Werk Meister Eckharts.

Verlag:

Innsbruck-Wien: Tyrolia-Verlag 2005. 597 S. 8° = Innsbrucker theologische Studien, 71. Kart. EUR 59,00. ISBN 3-7022-2640-0.

Rezensent:

Udo Kern

Bei dem Buch handelt es sich um die im Dezember 2003 vom Fachbereich Katholische Theologie der Johann Wolfgang von Goethe-Universität Frankfurt am Main angenommene Dissertationsschrift der Vfn. Weniger der Haupttitel, eher der Untertitel gibt die wissenschaftliche Intention der Arbeit wieder. Es hätte der von Re dun danzen nicht freien Arbeit und dem Leser sehr gut getan, wenn sie in ihrem Umfang auf zwei Drittel desselben komprimiert worden wäre.

Die Untersuchung besteht aus fünf Hauptteilen und einer Einleitung (13­42), die sich wie üblich mit der anvisierten wissenschaftlichen Fragestellung der Untersuchung, einer Verortung in der bisherigen Forschung und einer sehr hilfreichen methodischen Reflexion über den Gang der Arbeit beschäftigt. Teil I der Dissertation hat den Titel »Die Metaphysik in den Lateinischen Werken Meister Eckharts« (43­164), Teil II »Die Subjektivierung der Metaphysik in den Deutschen Predigten und Traktaten« (165­285), Teil III »Personalität als Problemfeld der dialektisch-hierarchischen Wirklichkeitssicht?« (286­366), Teil IV »Quellen für die eckhartsche Sicht des Geschöpfs« (367­468) und Teil V »Eckharts Verhältnisbestimmung von Gott, Mensch und Schöpfung und aktuelle theologische Po sitionen ­ eine wechselseitige Herausforderung« (469­559). Dazu kom men ein die Ergebnisse der Arbeit bündelnder Schlussteil »Er trag und Ausblick« (560­571), ein Abkürzungs- und Literaturverzeichnis (572­597) und ein Personenregister (595­597). Sehr schön fasst die Vfn. in den jeweiligen Hauptteilen die entsprechenden Ergebnisse zusammen, so dass der Leser gut dem Fortschritt der Arbeit folgen kann.

»Wie denkt Meister Eckhart das Verhältnis zwischen Gott und Schöpfung?« ­ das ist nach Meinung der Vfn. die »bisher nicht eindeutig geklärt(e)«, nun aber von der Vfn. zu klärende inhaltlich fundamentale Frage, die allen sich mit dem Denken Eckharts befassenden Arbeiten zu Grunde liege (17). Gott besitze nach Eckhart im Voraus schon alles Sein in sich. Für Eckhart sei das Geschöpf nicht nur creatura mit einem temporalen Anfang sondern creatura in prin cipio, also immer bereits aus der Faktizität seines In-Gott-Seins lebend. In principio seien Himmel und Erde und damit im Sohn, in dem Logos, durch den nach Joh 1,3 alles geschaffen ist. Damit seien sie auch durch Univozität charakterisiert, denn der Sohn ist dem Vater univoke. Das principium sei das erste einfache Jetzt der Ewigkeit (primum nunc simplex aerternitatis), in dem der eine Gott Himmel und Erde schuf. Die Vfn. erörtert, wie das Verhältnis der Einheit und Vielheit hinsichtlich der Relation Schöpfer und Geschöpf Eckhart gemäß zu interpretieren ist. Auch bedenkt sie in diesem Zusam menhang Eckharts duplex esse.

In der generatio werde festes, nicht der Zeit unterworfenes Sein gegeben. Sie wese also nicht aus dem formalen esse hoc et hoc. Die generatio sei Lebensgrundlage und telos der gesamten Schöpfung. Die Einheit von generatio und creatio im übertemporalen principium interpretiert die Vfn. als »Einholen der generatio in der Zeit« und damit als Erlösung (147). Die Differenz zwischen Gott und Kreatur ergebe sich daraus, dass Gott wesenhaft intelligere bzw. puritas essendi, die Kreatur aber Gott unvergleichlich auf Grund ihres ihr wesenhaften esse sei. Dieses kreatürliche Sein sei esse ex altero et ad alterum.

Die Wirklichkeit Gottes bestimme nach Eckhart alles, was über die Schöpfung auszusagen sei. Dabei gelte einerseits die gänzliche Verschiedenheit unserer Lebenswirklichkeit von der Gottes, andererseits die totale Abhängigkeit geschöpflicher Wirklichkeit von der Gottes. Das mache die Dialektik der geschöpflichen Wirklichkeit aus. Hinsichtlich der Eigenständigkeit der Schöpfung sei diese einmal eine ex negativo und zum anderen relational und auf anderes hin entworfen zu verstehen. Jene sei eine gegen andere sich abgrenzende sich arelational artikulierende Eigenständigkeit. Die relationale Eigenständigkeit dagegen gedeihe in der Öffnung zum anderen, als esse ad alterum. Die Vfn. redet hier von einer Hierarchisierung der Dialektik von Einssein und Unterschiedensein. Das Getrenntsein sei durch eine niedrigere Realität als das Offen- und Bezogensein chrakterisiert. Alle Schöpfung und mit ihr der Mensch strebe zu der letzteren, der höheren Realität. Nach der Verwirklichung der Einheit mit Gott suche der Mensch. Dieses habe eine eschatologische Perspektive.

Aus der Sicht der eckhartschen dezidierten Theozentrik ergebe sich die Nichtigkeit endlich-kategorialer Zentriertheiten. Diese eck hartsche Theozentrik verstehe den sich gebenden Gott als Grund der Wirklichkeit. Das inkludiere auch das Freisein des Von-sich-aus-Nichtigen. Eckharts Rede von der selbsteigenen Nichtigkeit der Kreatur mit dem »Lassen des Selbst« hat nach Meinung der Vfn. aktuelle theologische Relevanz, auch qua der ihr proprietären Relationalität hinsichtlich christlicher Schöpfungsspiritualität und Schöpfungsethik. Sie verdeutliche, dass »der Primat eines authentischen freien Handelns des einzelnen aufgrund der innersten Präsenz Gottes in der Schöpfung dem gleichzeitigen Primat von Demut und Liebe nicht widerspricht, sondern entspricht« (567). Eckharts aktuell »wichtige(s) kritische Potential Š für unsere Weltdeutung« liege »in der utopischen Zugkraft seiner unmittelbaren theonomen Begründung weltlicher Autonomie (verstanden als Offensein für andere wie für sich selbst) im Hier und Jetzt gegen ein expansiv mißdeutetes Verständnis von Eigenständigkeit und Freiheit des Menschen mit ... seinen globalen Folgen« (568). Der Bejahungskrise der Moderne könne durch Eckharts Auffassung der creatura dei als ein lûter niht (das differenziert betrachtet grundlegende Bejahung der Schöpfung bedeute) ef fektiv begegnet werden. Insbesondere im Teil V versucht die Vfn., explizit Eckharts Schöpfungsrede mit den theologischen (insbesondere römisch-katholischen) Schöpfungsdiskursen der Gegenwart in Beziehung zu setzen. Sie meint aus Eckharts Ansatz theologische aktuelle Relevanz zu finden: so hinsichtlich 1. von Gottes Anwesenheit in der Schöpfung, 2. der fundamental trinitarischen teleologischen Fokussierung und auch ­ für Eckhartkenner überraschenderweise ­ 3. der Konsequenzen im Hinblick auf die Verantwortung für Schöpfung in Zeit und Geschichte.

Die Vfn. hat eine interessante und gut lesbare, sehr umfängliche und engagierte Arbeit vorgelegt. Wichtige Erkenntnisse der neueren Eckhartforschung hat sie zum großen Teil verarbeitet und zusammen mit ihrer eigenen Eckhartlektüre ihrer Untersuchung inkorporiert. Der historisch-systematische Ansatz überzeugt. Je doch hat man nicht nur zuweilen den Eindruck, dass die Vfn. eine Art Eckhart-Material-Schlacht liefert. Weniger wäre hier mehr gewesen. Getrieben ist die Vfn. von dem Drang, Eckharts Bedeutung für die theologische Schöpfungslehre der Gegenwart herauszustellen. Das ist natürlich ein legitimes und für den systematisch-theologisch argumentierenden Theologen ein nachzuvollziehendes, ja zu begrüßendes Unternehmen. Jedoch muss in diesem Diskurs Eck hart Eckhart bleiben. Man vermisst zu oft in der Arbeit den sperrigen Eckhart, der auch kontrovers lag und liegt mit der wohlverstandenen kirchlichen und theologischen Orthodoxie.

Der provokative Charakter, den die Vfn. ja auch sieht, darf nicht weitgehend eingeebnet werden, sondern muss in seinem auch kantigen Profil erhalten bleiben. In Meister Eckhart ­ und die Vfn. ist nicht gänzlich frei davon ­ sollte nicht (unkritisch) kirchliche Dogmatik aktualer Relevanz hineingelegt werden. Das geht manchmal in der Arbeit einher mit ungenauer und nicht treffender Interpretation eckhartscher Texte (z. B. der Maria-Martha-Geschichte, auch hinsichtlich des Nichts bei Eckhart).

Diese kritischen Bemerkungen sollen nicht den Eindruck erwe cken, als sei hier eine nicht lesenswerte Arbeit vorgelegt worden. Im Gegenteil: Beim Lesen dieser Arbeit bekommt man nicht nur Interesse und Lust, sich original mit Eckhart zu beschäftigen, sondern kann sich profiliert durch die Untersuchung der Vfn. diesem ertragreicher zuwenden. Das wird auch begünstigt durch die wichtigen und schönen Zitate, die die Vfn. in ihrem Buch darbietet.