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Ausgabe:

März/1998

Spalte:

270–272

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Lülsdorff, Raimund

Titel/Untertitel:

Die Zukunft Jesu Christi. Calvins Eschatologie und ihre katholische Sicht.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius 1996. 394 S. gr.8° = Konfessionskundliche und kontroverstheologische Studien, 63. Geb. DM 138,­. ISBN 3-87088-921-7.

Rezensent:

Christoph Strohm

Die von der Katholisch-theologischen Fakultät Paderborn angenommene Habilitationsschrift setzt sich zum Ziel, anhand des Themenkreises "Eschatologie" das Gespräch zwischen calvinistisch-reformierter und katholischer Theologie voranzubringen. Das ökumenische Anliegen bestimmt auch den Aufbau dieser Arbeit. Der erste Teil hat die Aufgabe, Calvins Eschatologie aus den Quellen darzulegen. Im zweiten Teil wird noch einmal Calvins Eschatologie im Licht katholischer Glaubenstradition diskutiert, wobei jeweils den Auffassungen Calvins lehramtliche Texte gegenübergestellt werden und im Anschluß daran die Sicht der gegenwärtigen Exegese zusammengefaßt wird.

Der Autor faßt das Thema "Eschatologie" sehr weit, wenn er vor der Behandlung der eigentlichen Hauptthemen der Eschatologie Calvins zuerst die anthropologischen (26-55) und heilsgeschichtlichen Vorgaben (56-69) darstellt. Der Abschnitt "Anthropologische Vorgaben" bietet eine eigenständige Abhandlung der Anthropologie Calvins, ohne daß hier jedoch spezifische Akzente gesetzt und die neuesten Beiträge zum Thema ausgewertet werden (vgl. bes. M. P. Engel, John Calvin’s Perspectival Anthropology, Atlanta 1988). Vielmehr orientiert L. seine Darstellung der Anthropologie Calvins an den älteren Arbeiten von Babelotzky und M. Schulze. So ist er in der Folge primär an dem für Calvin charakteristischen Fleisch/Leib-Geist/ Seele-Gegensatz interessiert. Calvins diesbezügliche Äußerungen werden ausführlich wiedergegeben.

L.s eigene Urteile sind durchweg zurückhaltend und ausgewogen formuliert mit dem Preis, daß eher die ältere Diskussion zusammengefaßt, als eigene Akzente gesetzt werden. Calvins Abwertung des Leibes, seine Tendenz zu einem dualistischen Menschenbild und der starke Einfluß platonischer Gedanken wird deutlich belegt und herausgestellt. Gleichwohl verteidigt der Vf. Calvin gegen den Vorwurf, eher Jünger Platons als Jünger Christi zu sein. Zu Recht muß man sagen, daß im entscheidenden Moment die Bindung an die Heilige Schrift die Orientierung an humanistisch-platonischem Gedankengut durchbrechen läßt. Der Vf. betont, daß Calvin "trotz all seiner Skepsis gegen den fleischlichen Leib ... unzulässige Leibfeindlichkeit ... nicht vorzuwerfen" sei (55).

Das ausgesprochen positiv zu bewertende Bemühen, Calvin im Blick auf das ökumenische Gespräch wirklich gerecht zu werden, führt mitunter freilich auch zu unpräzisen Formulierungen. So formuliert der Vf. im Blick auf den Sachverhalt, daß sich Calvin bei seiner Bezeichnung des Leibes als Kerker der Seele und seiner Ausrichtung auf die Betrachtung des künftigen Lebens wahrscheinlich unmittelbar von Platons Phaidon inspirieren ließ: "Calvin will von Platon nicht Inhalte beziehen, sondern Ausdrucksweisen und Metaphern, um die ­ freilich wieder auf dem humanistischen Verständnishorizont gewonnene und ausgelegte­ Botschaft der Bibel zum Ausdruck zu bringen. Daß sich eine so weitgehende formale Voraussetzung auch materialiter auswirkt, ist kaum zu leugnen, steht aber auf einem anderen Blatt" (52).

Der zweite Gedankengang "Heilsgeschichtliche Vorgaben" beschreibt das Heilswerk Christi, bevor dann einige Überlegungen zum Wirken des Heiligen Geistes angefügt werden. Der Anschluß an das Thema "Eschatologie" gelingt dem Vf. dadurch, daß er die Überlegungen zur Christologie vor allem auf die Auferstehung Christi ausrichtet. Zu Recht wird auch Calvins Beharren auf dem reformatorischen Grundsatz, daß Christus der einzige Mittler sei, betont.

Als "Hauptthemen der Eschatologie Calvins" erörtert der Vf. dann Tod, Unsterblichkeit, Auferstehung, Jüngster Tag/Gericht, Himmel/Seligkeit/ewiges Leben, Verdammnis/Hölle, Fegefeuer/Zwischenzustand sowie Heiligenverehrung (70-142). Nachdem hier wieder Calvin selbst ausführlich zu Wort gekommen ist, werden die einzelnen Abschnitte jeweils mit einer "Zusammenfassung in Kernsätzen" abgeschlossen. Neben der Auferstehung wird insbesondere Calvins Beharren auf der Unsterblichkeit der Seele hervorgehoben. Die Darstellung der verschiedenen Lehren Calvins, vor allem seine Ablehnung der Apokatastasis sowie sein Verständnis einer gestuften Eschatologie im Blick auf den einzelnen Gläubigen wie auch der Heilsgeschichte insgesamt, bringen die wichtigen Texte aus der Institutio sowie verschiedenen Kommentaren. Besonderen Raum nehmen die Themen der Eschatologie ein, die Calvin in polemischer Frontstellung gegen die römisch-katholische Kirche erörtert hat. Bei allem Festhalten an der Vorstellung eines Zwischenzustandes kritisiert Calvin die Lehre vom Purgatorium, da sie nicht durch die Schrift zu begründen sei (132-138). Das gleiche Argument führt Calvin gegen die Heiligenverehrung an. Darüber hinaus liegt deren Ablehnung in dem nach Calvins Auffassung mangelnden Kommunikationsvermögen und -bedürfnis der abgeschiedenen Seelen sowie der damit verbundenen Beeinträchtigung der Majestät Gottes und der Heilsmittlerschaft Christi begründet (138-142). Die Konsequenzen für das christliche Leben stellt der Vf. von dem für Calvin zentralen Begriff "Meditatio futurae (coelestis) vitae" ausgehend dar. Zwar wird hier auch die Abtötung des Fleisches behandelt, aber durch das Thema der Arbeit bedingt tritt der zweite Schlüsselbegriff für Calvins Beschreibung des christlichen Lebens in der Institutio, die abnegatio nostri, wohl doch etwas zu sehr in den Hintergrund, zumal diesem in der Institutio mehr Seiten gewidmet sind als der Meditatio futurae vitae. Der erste Teil der Arbeit über Calvins Eschatologie schließt ab mit einem Ausblick auf Texte der reformierten Tradition, vor allem den Heidelberger Katechismus, aber auch neuere Texte reformierten Bekenntnisses sowie Walter Krecks Entwurf einer Eschatologie (Die Zukunft des Gekommenen, 1961). Hier stellt der Vf. zu Recht fest, daß gerade die anthropologischen Aussagen Calvins, die auf eine Abwertung der Leiblichkeit hinauslaufen, nur sehr zurückhaltend rezipiert worden sind.

Der zweite Hauptteil der Arbeit, "Calvins Eschatologie im Licht katholischer Glaubenstradition" orientiert sich exakt am Aufbau des ersten Hauptteils. Hier werden Calvins Gedanken zum Teil umfangreiche lehramtliche Äußerungen gegenübergestellt. Bemerkenswert sind dabei vor allem die ­ im Bereich protestantischer Theologiegeschichtsschreibung wenig bekannten ­ Zitate aus dem im Gefolge des Tridentinums 1566 verfaßten Catechismus Romanus, die mitunter eine erstaunliche Nähe zu den Äußerungen Calvins zeigen. Man mag einwenden, daß sich in den ausgesprochen vielfältigen und mitunter disparaten lehramtlichen Äußerungen auch zahlreiche Formulierungen finden, welche die Differenz zu Calvin sehr viel stärker markieren, aber im Sinne der Zielsetzung der Arbeit, die Ansatzpunkte für das Gespräch zwischen calvinistisch-reformierter und katholischer Theologie zu suchen, ist das Verfahren des Vf.s durchaus legitim. Ähnliches gilt für die den einzelnen Themen jeweils angefügten und naturgemäß eklektischen Überlegungen gegenwärtiger Exegese.

Als Differenzen, die im Zusammenhang der Eschatologie Calvins festzuhalten sind, nennt der Vf. folgende: das typische reformatorische Verständnis von Schrift, Tradition und Lehramt, die Beurteilung des Purgatoriums, der Heiligenverehrung und der Sakramente sowie das Problem der Prädestination. Gerade im Bereich der Eschatologie zeigt sich nach Auffassung des Vf.s aber, daß diese Divergenzen auf dem Hintergrund eines weitreichenden Konsenses zu bewerten sind. Hier nennt der Vf. vor allem das gestufte eschatologische Modell, das Festhalten an der Unsterblichkeit der Seele sowie die typologische Sicht der Auferstehung Christi im Hinblick auf die aller Glaubenden (vgl. bes. 379).

Der Wert der Arbeit liegt darin, daß Calvins Äußerungen zu Fragen der Eschatologie mit entsprechenden Äußerungen aus dem Bereich der katholischen Tradition ins Gespräch gebracht werden. Das Profil der Eschatologie Calvins gegenüber der Luthers, Bucers oder Zwinglis und die Frage möglicher Einflüsse wird nicht erörtert. Zudem gibt die teilweise umfangreiche Aneinanderreihung von Calvin-Zitaten zwar dessen Gedanken authentisch wieder, läßt sein besonderes Profil innerhalb der Reformation jedoch nicht ausreichend deutlich werden. Mitunter erscheinen die gleichen Calvin-Zitate auch zweimal im Text (vgl. 30 u. 44 sowie 27 u. 46). Register fehlen, aber das detaillierte Inhaltsverzeichnis ermöglicht ohne Schwierigkeiten das Auffinden der einzelnen Themen.