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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

333-336

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Neumann, Hanns-Peter:

Titel/Untertitel:

Natura sagax ­ Die geistige Natur. Zum Zusammenhang von Naturphilosophie und Mystik in der frühen Neuzeit am Beispiel Johann Arndts.

Verlag:

Tübingen: Niemeyer 2004. X, 280 S. gr.8° = Frühe Neuzeit, 94. Lw. EUR 74,00. ISBN 3-484-36594-3.

Rezensent:

Athina Lexutt

Johann Arndt gehört wie manch anderer und andere zu den Gestalten der Kirchengeschichte, die immer schon und immer wieder zu Diskussionen und zum Streit der Gelehrten herausgefordert haben und sicher auch in Zukunft herausfordern werden. Ihn einzuordnen fiel und fällt schwer und sein eigenes Profil wurde und wird dabei weniger herausgeschält als zerrieben. Die seit einigen Jahren neu aufkeimende Arndtforschung ist redlich bemüht, diesem Missstand abzuhelfen, jedoch bleibt es häufig beim Bemühen, so dass nolens volens zwar für alte Fronten neue Namen gefunden, diese jedoch so gut wie nicht beseitigt werden. Zu den in letzter Zeit häufig gestellten Fragen gehört die, ob Arndt ein Mystiker oder ein treuer Lutheraner war, ja in einem weiteren Sinne: ob es sich bei diesen Titulaturen um Alternativen handeln muss oder Arndt gar beides in sich vereinigt. Wer war Johann Arndt und mit welchem Begriff lässt sich sein Werk am besten auf den Punkt bringen?

Diese Frage stellt auch N. in seiner Berliner Dissertation, und er stellt sie als Philosoph. Das ist überraschend ­ und anregend. Möglicherweise tun sich ganz neue Perspektiven auf, wenn man den Theologen Arndt einmal aus den Rastern vorgeprägter historisch-theologischer Nomenklatur befreit und ihn in andere Kontexte stellt, ohne die üblichen ganz außer Acht zu lassen. Diese Kontexte sind es, die den ersten Hauptteil der Untersuchung bestimmen, bevor im zweiten Hauptteil Arndt selbst vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse ausführlich zu Wort kommt. Ausgehend von der Beobachtung, Arndt lasse seine Bücher vom wahren Christentum mit der Betrachtung des liber naturae enden, und es sei in der Iconographia, einem seiner ersten Werke, eine bestimmte Affinität zur Naturphilosophie ­ namentlich der des Heinrich Khunrath ­ zu erkennen, richtet N. den Blick auf die Tradition einer Naturphilosophie, die er auf der Basis der Verknüpfung von Frömmigkeit und Philosophie als pia philosophia bezeichnet. Vor diesem Hintergrund zeichnet N. plausibel eine Traditionskette von Ficino über Pico della Mirandola, Reuchlin und Paracelsus bis zu Khunrath nach, auf den eben sich Arndt nachweislich beruft. Die Herausarbeitung der jeweiligen Spezifika lässt dabei erste Vermutungen zu, welche Veränderungen Arndt den Vorlagen aus theologischer Überzeugung angedeihen lässt und wo Übereinstimmungen und Beeinflussungen vorliegen.

Relativ einseitig wird Arndt dabei von N. im Paracelsismus verortet, ja er be zeichnet ihn gar als paracelsischen Theosophen (46) und zieht allzu schnell den Schluss, Arndt sei »in den kirchlichen Dienst berufen« worden, »ohne jemals Theologie studiert zu ha ben«. Er hätte während seiner Studienzeit vornehmlich Medizin ge hört und sich den theologischen und anthropologischen Vorstellungen des Paracelsus zugewendet, dessen Anhänger er Zeit seines Lebens blieb (46). In diesen Aussagen steckt natürlich ein richtiger Kern, in dieser Ausschließlichkeit aber ist die Darstellung zu pauschal, historisch nicht genug gesichert und lässt die Beurteilung Arndts früh in eine Schieflage geraten. Ähnliches gilt auch für den schnellen Schluss, Arndts Anliegen sei »die Betonung christlicher Praxis und Erfahrung gegenüber der dogmatischen Streittheologie seiner Zeit. Er band unorthodoxe Anschauungen in sein Werk ein, um die in schulphilosophischen Disputationen erstarrte lutherische Orthodoxie von innen zu reformieren und zu dynamisieren« (49). Auch diese Sicht trifft Arndt, aber sie trifft wohl doch nicht den ganzen Arndt. N. zeichnet ­ wie weite Teile der Arndtforschung ­ ein einliniges Bild, ohne die Vielschichtigkeit etwa der lutherischen Orthodoxie selbst ausreichend im Blick zu haben. Versteht man N.s folgende Fokussierung auf die naturphilosophischen-alchimistischen Tendenzen, die Arndt aufgenommen haben soll, jedoch als eine Perspektive neben anderen, dann sind seine Ausführungen mit einigem Gewinn zu lesen.

So erhält der Leser interessante Einblicke in Seiten der frühneuzeitlichen Philosophie, die weniger bekannt sein dürften. N. buchstabiert mehrere Themenfelder durch, etwa die philosophia perennis, die Kosmologie und die christliche Magie, und fragt danach, in welcher Weise, gefiltert oder ungefiltert, sie bei Arndt rezipiert werden. Dazu zieht N. vor allem das Frühwerk Arndts zu Rate, etwa auch den lange als verschollen gegolten habenden Traktat »De antiqua philosophia«. Immer wieder konstatiert N. bei dieser Durchsicht, wie vor allem paracelsisches Gedankengut und die Bekanntschaft, mindestens die literarische Kunde Heinrich Khunraths Arndt beeinflusst haben. Von dort aus widmet er sich im nächsten großen Hauptteil dem Naturbegriff bei Johann Arndt namentlich auf der Folie des Paracelsus und Khunraths. Dabei kommt er zu dem Ergebnis: »Der Einfluß Hohenheims ist vielmehr durch Khunrath gefiltert, konzentriert und verstärkt worden, ja Khunrath dürfte Arndt die Augen für die mögliche Interpolation paracelsischer Naturphilosophie und Al chemie in eine frömmigkeitspragmatische und mystisch orientierte Theologie erst geöffnet haben.« (164) Erst mit Khunrath also sei Arndt ein überzeugter Theosoph geworden. Ausgesprochen aufschlussreich ist eine zweite Quelle, die N. für Arndts Naturbegriff auftut: die kappadozische Theologie, wobei Arndt die vermeintliche Nähe zwischen den Kappadoziern und Paracelsus im Blick auf die Anthropologie gereizt haben dürfte. Wenn N. dann das Trio an Vorlagen mit Valentin Weigel komplettiert und schließlich auch noch einen spiritualistischen Kirchenbegriff nachweist, scheint nichts mehr daran zu hindern, Arndt der Heterodoxie zu überführen. Allerdings gesteht N. Arndt ein Bemühen zu, den orthodoxen Boden nicht verlassen zu wollen; dafür spricht die Kritik, die Arndt an Weigel dort übt, wo dieser der CA oder Formula Concordiae widerspricht; diese Kritik sei jedoch nicht wirklich ernst zu nehmen, da sie meistenteils auf tatsächlichen oder absichtlichen Missverständnissen beruhe und so eher dazu diene, oberflächlich dem Vorwurf des Weigelianismus entgegenzuwirken. Als letzte Folie für Arndts Gedanken benennt N. die Theologia Deutsch, die besonders verschiedene anthropologische Grundmuster im Blick etwa auf die Sünde und den freien Willen bestimmt haben soll.

Im abschließenden Kapitel versucht N., seine Untersuchung gleichsam zusammenfassend, den Zusammenhang von Naturphilosophie und Mystik darzustellen. Dabei gerät er in die Not, Mystik ebenso eindeutig definieren zu sollen wie den Begriff der Naturphilosophie ­ ein nahezu unmögliches Vorhaben, was er selbst einsieht. An dieser Stelle spätestens wird deutlich, dass es kaum einen guten Grund gegeben hat, namentlich Johannes Tauler aus der gesamten Untersuchung auszuschließen, der für Johann Arndt sicher ein wichtigerer Gewährsmann als die Theologia Deutsch gewesen ist. N. schreibt dazu in seiner Einleitung: »Wenn im Titel der Dissertation der Zusammenhang von Naturphilosophie und Mystik angeführt wird, will das nicht heißen, dass Arndts Verarbeitung mystischer Quellen hier nochmals eingehend aufgearbeitet und analysiert werden soll. Es geht hier nicht darum, den Einfluß Taulers oder Bernhards von Clairvaux auf Arndts Wahres Christentum zu bestimmen, sondern darum, das der Naturphilosophie Arndts inhärente mystische Muster herauszuarbeiten.« (12) Ob so allerdings wirklich ein Profil Arndtscher Denkweise zu gewinnen ist und das »mystische Muster« komplett genannt werden kann, bleibt fraglich.

Nichtsdestoweniger sind N.s Ergebnisse anregend. So konstatiert er: 1. die Prägung des Arndtschen Philosophiebegriffes durch das Philosophiekonzept des Renaissanceplatonismus und die paracelsisch-paracelsistische Pragmatisierung, wobei christliche Praxis und experimentelle Naturforschung eine methodische Einheit bilden und die naturphilosophische Kontemplation Movens und Weg zur Unio mystica darstellt; 2. die Natur als sprechende Materie in dem Sinne, dass das Natürlich-Sinnliche Sprache Gottes ist, der den Mensch zur Ebenbildlichkeit geschaffen hat und dorthin zurück ruft; 3. die Natur als hierarchisch verstandene und Stufen zulassende Weisheit Gottes, so dass ohne sie eine spirituelle Gestaltung des Lebens nicht gelingen kann; 4. die Natur als lebendigen Rückruf Gottes an den Menschen, der gelingt, wenn der alte Mensch innerlich in den neuen verwandelt wird durch die Aufgabe des Eigenwillens in den Willen Gottes; und 5. den von Arndt beschriebenen mystischen Weg als imitatio naturae, die mit der imitatio Christi einhergeht. Das ist nicht immer wirklich neu, frühere Forschungen kommen mitunter zu ähnlichen Ergebnissen. N.s Verdienst indes ist es, Naturphilosophie und Mystik als bei Arndt untrennbar miteinander verquickte Wege eines christlichen Lebens herausgestellt zu haben, was neue Fragen zu Arndts Stellung zwischen Orthodoxie und Heterodoxie provoziert.