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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

327-329

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Wolff, Jens:

Titel/Untertitel:

Metapher und Kreuz. Studien zu Luthers Christusbild.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. XXIII, 677 S. gr.8° = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 47. Lw. EUR 119,00. ISBN 3-16-148605-6.

Rezensent:

Risto Saarinen

Jens Wolffs Dissertation im Fach Kirchengeschichte wurde 2004 mit dem Martin-Luther-Preis der Luther-Gesellschaft ausgezeichnet. Das umfangreiche Werk konzentriert sich auf Luthers Auslegung des 22. Psalms in den Operationes in Psalmos. W. bezeichnet diese Auslegung als »Leittext zu Luthers Christusbild« (19), weil der Reformator in ihr den gekreuzigten Auferstandenen theologisch deutet.

W.s ehrgeizige Arbeit beabsichtigt, zwei Forschungslücken auszufüllen. Zum einen erläutern die bisherigen Studien zu Luthers Chris tologie die Dynamik von Kreuz und Auferstehung nicht hinreichend (5­8). Zum anderen untersucht die Arbeit den theologischen Stellenwert der Metapher bei Luther. Als heuristische Alternativen zur Klärung dieses Problems nennt W. einerseits die Position E. Jüngels, der die theologische Notwendigkeit der Metapher unterstreicht, andererseits die Auffassung G. Ebelings, dem zufolge die Glaubenssprache die Metaphorik sprengt (1 f.). Anhand der Psalmenauslegung Luthers soll geklärt werden, wie sich die Metaphorik Luthers gestaltet und ob zwischen den zwei Positionen vermittelt werden kann.

So enthält die Arbeit nicht nur kirchengeschichtliche, sondern auch und vielleicht vor allem systematisch-theologische sowie sprachwissenschaftliche Fragestellungen. Das Buch bietet sehr ausführliche Anmerkungen sowie Exkurse, die über den sprachwissenschaftlichen, rhetorischen und philosophischen Stand der Metapherforschung informieren. Ebenfalls werden lange Ausführungen zur Geschichte der Exegese sowie zur Christologie angeboten. Me thodisch hat die Arbeit mit dem De-homine-Kommentar Ebelings sowie mit den Lutherstudien von W.s Doktorvater A. Beutel viel gemeinsam. ­ Die fast unüberschaubare Fülle von sprachlichem, rhetorischem und theologischem Material macht das Lesen des Buches manchmal schwierig. W. liebt auch selbst metaphorische Ausdrucksweisen sowie sehr lange Sätze, die die verschiedenen Aspekte des Gesagten miteinander auszubalanzieren versuchen. Seine Schlussfolgerungen sind oft relativ komplizierte Synthesen des reichen Materials, was den Eindruck von barocker Gelehrsamkeit vermittelt.

Eine unbestrittene Stärke der Arbeit liegt darin, dass die bisherigen Untersuchungen zu Luthers Metaphorik, die sich auf die Latomusschrift konzentriert haben, mit Hilfe der Auslegung von Ps 22 neu beurteilt werden können. In der Latomusschrift spricht Luther bekanntlich davon, wie Christus »metaphorisch« zur Sünde ge macht worden ist und wie in diesem Geschehen ein »metaphora rerum« zum Vorschein kommt (WA 8, 87,6-10, vgl. 2Kor 5,21). Viele Interpreten haben an dieser Stelle eine Parallele zur modernen Metaphertheorie konstatiert, die die Metapher nicht als Ornament, sondern als notwendigen und sogar konstitutiven Bestandteil der Sprache betrachtet. Die thematischen Parallelen der Auslegung von Ps 22 mit der Latomusschrift erlauben eine detaillierte Bewertung dieser Interpretationen.

W. bejaht die Ansicht, dass die Metaphern basale Sprachphänomene sind. Der Reichtum der Sprachbilder bei Luther zeugt davon, dass eine lebendige und wirkungsmächtige Sprache ihre kommunikativen Funktionen kaum ohne Metaphern erfüllen kann. Eine derartige rhetorische Notwendigkeit der metaphorischen Sprache ist aber nicht einfach mit den modernen hermeneutischen Theorien von P. Ric¦ur und anderen Philosophen gleichzusetzen, die die Unterscheidung zwischen Bildlichem und weniger Bildlichem grundsätzlich in Frage stellen und für den grundlegend metaphorischen Charakter der semantischen Beziehungen plädieren.

Nach W. vermag Luther durchaus, zwischen Bildlichem und we niger Bildlichem zu unterscheiden. Luthers berühmte Unterscheidung »metaphora rerum ­ verborum« drückt im Weiteren zwar sein programmatisches Interesse an Metaphern aus, aber sie ist »keineswegs als Luthers alles bestimmende Ur-Unterscheidung zu be trachten« (591). W. zufolge gewinnt Luther die Regel seiner Bildhermeneutik nicht aus axiomatischen Prinzipien, sondern er erreicht sie induktiv aus den biblischen Texten (592). Mit solchen Ergebnissen, die ich für grundsätzlich richtig halte, stellt sich W. gegen viele systematisch-theologische Lutherinterpreten und zeigt seine Eigenständigkeit.

Die sprachlich-rhetorische Orientierung führt W. manchmal zur kritischen Beurteilung der Philosophie. Zugleich ist seine eigene, höchst differenzierte Urteilsbildung von solchen Grundentscheidungen abhängig, die ebenfalls philosophisch sind. Zum Beispiel definiert er Luthers Bestimmung des Terminus »homo« in einer späten Disputation als »antiphilosophisch« (428­434). Seine an sich hilfreiche Erläuterung wird aber anhand von I. U. Dalferths systematischer Grammatik gewonnen, die ihrerseits nicht weniger philosophisch ist.

W. sagt diplomatisch, dass zwischen den Auffassungen von Ebeling und Jüngel vermittelt werden kann. Seine eigenen Ergebnisse verhalten sich aber kritisch zu der Position Jüngels. Auch wenn W. seine Sympathie für Ebeling zur Kenntnis gibt, ist es m. E. nicht klar, inwieweit seine Ergebnisse sich letzten Endes mit Ebelings theologischer Sprachlehre decken. Während bei Ebeling die Glaubenssprache und die Glaubensaussagen zum großen Teil eine Kategorie sui generis bleiben, betont W. die breitere Geschichtlichkeit der Metaphern. Er will eine »kritisch-historische Metaphernhermeneutik« entwerfen, die herausfinden könnte, »wie theologische Re devollzüge gegenwärtig zu optimieren sind« (sic! 598).

Obwohl ich diesen Optimismus hinsichtlich der universalen Möglichkeiten der Sprache nicht teilen kann, finde ich W.s Erläuterung der christologischen Sprache der »metaphora rerum«, in der Christus als »Sünder« erscheint, »ernüchternd« und historisch überzeugend. Während andere Forscher in diesen Wendungen bisweilen eine ganz einzigartige sprachtheoretische Leistung Luthers gesehen haben, zeigt W., dass solche Wendungen vielleicht eher Ironie bzw. Antiphrase ausdrücken wollen (545). An dieser Stelle hätten die Parallelen aus der ersten Psalmenvorlesung, die L. Grane (Christus finis omnium, Festschrift für T. Mannermaa, Helsinki 1997, 170­ 191) untersucht hat, W.s Interpretation noch vertieft.

Sonst lassen die ausführlichen Literaturangaben kaum zu wünschen übrig. Die früheren Studien werden zumeist fair und diplomatisch kommentiert, aber so, dass das detaillierte Lesen oft W.s eigene Distanz zu den dargestellten Studien offenbart. Das Werk ist im Weiteren ein lehrreicher Kommentar zu den rhetorischen Regeln und zur Kunst der Disponierung bei Luther. Die sprachwissenschaftliche Konzentration hat zur Folge, dass die Christologie nicht so umfassend behandelt wird, dass die angesprochene Forschungslücke völlig beseitigt werden könnte. Aber es ist trotzdem beeindruckend, wie vielseitig die Auslegung des 22. Psalmes die Probleme der Christologie erhellen kann. Die eigenständige und materialreiche Arbeit hat den Martin-Luther-Preis verdient.