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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

323-324

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Mäkinen, Virpi [Ed.]:

Titel/Untertitel:

Lutheran Reformation and the Law.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2006. XII, 270 S. gr.8° = Studies in Medieval and Reformation Traditions, 112. Geb. EUR 89,00. ISBN 90-04-14904-X.

Rezensent:

Andreas Wöhle

Ein »Lutherische Reformation und das Gesetz in neuerer Forschung« betitelter Übersichtsartikel von H. Pihlajamäki und R. Saarinen eröffnet diese interdisziplinäre finnische Studie. Zunächst wird die sich von E. Troeltsch absetzende Forschungslinie von J. Witte und H. J. Berman beschrieben: Keineswegs sei die Reformation, wie Troeltsch meine, »nur ein religiöses, kein rechtliches Phänomen« (4). Vielmehr ließe sich an vielen Punkten ein formender Einfluss reformatorischer Konzepte auf Entwicklungen des praktischen Rechtes nachweisen, und damit sei »die Lutherische Reformation relevant und einflussreich, sowohl in der Geschichte des Rechtes wie der der Theologie« (7).

Der Hauptteil I der Studie unter dem Titel »Gesetz, Theologie und Philosophie« beginnt mit einem Artikel von A. Raunio zum Göttlichen und Natürlichen Gesetz bei Luther und Melanchthon (21­61). Raunio entfaltet zunächst seine bekannte Argumentation, dass »Lu ther versuche eine Sichtweise der Schöpfung zu entwickeln, die ganz auf der Idee der göttlichen Liebe als einem nicht abreißenden Prozess der Hingabe« begründet sei. Melanchthon hingegen »denke traditioneller, indem er die sich hingebende Liebe Gottes mit einer teleologischen Struktur der Schöpfung verbinde, sowie mit dem Streben der verstandbegabten Kreatur, sich ihrem Ursprung zuzuwenden« (25). Daraus ergebe sich bei Luther eine grundsätzlich empfangende Grund situation des Menschen, während der Mensch bei Me lan chthon zudem auch seine auf Gott auszurichtenden natürlichen Kapazitäten einzusetzen hätte. Dieser Unterschied äußere sich bei Luther in der Entfaltung einer Ethik in der Abweisung, bei Me lan chthon in der Bejahung der Idee des gängigen »ordo charitatis« (26).

Luthers Kritik des ordo charitatis wird an dessen frühen Galatervorlesungen exemplifiziert und sein dynamisches Verständnis des natürlichen Gesetzes als das ständige Wirken des Heiligen Geistes im menschlichen Verstand beschrieben (37). Als »Gesetz der göttlichen Natur« entfalte das natürliche Gesetz bei Luther nichts anderes als die Essenz der sich hingebenden Liebe Gottes. Bei Melan chthon seien die moralischen Anweisungen des natürlichen Gesetzes als dem Verstand durchaus zugänglich gedacht. Die Aufgabe des göttlichen Gesetzes sei es, den Affekt zur Umsetzung derselben in christliches Leben zu bewirken.

Auf Grund der Unterscheidung von natürlichem und göttlichem Gesetz habe Melanchthon, anders als Luther, eine Sozialordnung auf der dem Verstand zugänglichen und von ihm gesuchten Umsetzung der Prinzipien des natürlichen Gesetzes basieren können, während Luther dabei stets die Gefahr sah, den tiefen, Gottes Liebe abbildenden Sinn des Gesetzes zu verdunkeln (60).

In einem Beitrag von Raunio und V. Mäkinen zu »Recht und Herrschaft nach Luthers Verständnis und dessen mittelalterlicher Hintergrund« (63­92) wird in großer Detailliertheit zunächst der vor-lutherische Diskurs um »Rechte« auf dem Hintergrund des De cretum Gratiani beschrieben. Terminologische Differenzierungen werden ausführlich in Bezug auf ihre Verwurzelung im römischen Recht dargestellt, bevor in einem zweiten Bogen Luthers Kritik an Gratians Definition des natürlichen Gesetzes vorgestellt wird (77 ff.). Hier ist erneut Raunios Argumentationsduktus zu spüren, der sein oben beschriebenes Verständnis der Goldenen Regel in Bezug setzt zu den Qualitäten des Besitzrechts und der Verfügungsgewalt, wobei er Letztere theologisch als Gottesgeschenk versteht (82 f.).

P. Kärkkainen beschäftigt sich mit der Lehrtradition der via mo derna an der Erfurter Alma mater Luthers (93­110). In der Diskussion um die Unsterblichkeit der Seele beschrieb Kanonisches Recht de facto die Grenze der Lehrfreiheit, sowohl im theologischen wie im philosophischen Diskurs. Kärkkainen untersucht hierzu die Positionen dreier Lehrer Luthers (Johannes Carnificis de Lutrea, Jodocus Trutfetter und Bartholomaeus de Usingen). Im Ergebnis sieht Kärkkainen weitgehende Übereinstimmungen zwischen Luther und seinen Lehrern, unterstreicht aber, dass es Luther letztlich nicht um die Frage der Unsterblichkeit der Seele ging, sondern, wie in den Schriften Disputatio contra theologiam scholasticam 1517 und der Heidelberger Dis putation 1518 deutlich wird, um ein Abweisen Aristotelischer Ar gumentation sowie der Berufung auf die Autorität von Papst und Konzilien im Gegenüber zur Schriftargumentation. Hier wagt sich Lu ther weiter vor als seine Lehrer zu gehen bereit waren.

Im letzten Artikel des Hauptteils I schreibt R. Tvörinoja zum Bild der Communio Sanctorum als der »Idealen Gemeinschaft« (111­127). Tvörinoja erkennt Luthers Position als Bruch mit jeglicher Vorstellung von einem (Gesellschafts-)Vertrag. Für Luther sei Gemeinschaft nur als Gottesgeschenk, als »donatio« denkbar gewesen, und dieses Bild widersetze sich grundsätzlich jeder direkten Umsetzung in eine politische (Vertrags-)Ordnung.

Der Hauptteil II der Studie (»Gesetz und Reform«) wird von einem Artikel von M. Korpiola zu Normen und Formen von Ehe (und Priesterehe) im nachreformatorischen Schweden eröffnet (131­169). Die sozial- und rechtsgeschichtliche Untersuchung schreibt das unterschiedliche Tempo der Entwicklung der Formen und formalen Zuständigkeiten in dieser Sache verschiedenen nicht-theologischen Faktoren zu. Reformatorisches (lutherisches) Gedankengut habe zwar nachweislich zu den Veränderungen beigetragen, sei aber nur ein Faktor neben anderen gewesen.

Pihlajamäki widmet sich dem Verhältnis des Strafrechts zur Lutherischen Reformation (171­204). Nach einer Einführung in die Entwicklungsgeschichte des ius commune und der Carolina in den Deutschen Landen nennt er die Zwei-Reiche-Lehre als Hintergrund der eingeforderten Verantwortlichkeit der Fürsten in Bezug auf strafrechtliche Ordnungsgebung und entdeckt Parallelen zwischen dem dreifachen Gebrauch des Gesetzes als theologischer Kategorie und den Funktionen des Strafrechts und der Strafe als solcher (182 f.). Das ius commune fand zunächst über im Ausland ausgebildete Priester seinen Eingang in Schweden, aber auf Grund der mangelnden Ausbildung der Verantwortungsträger »vor Ort« hätten alte Rechtsformen und Verantwortlichkeiten weiterhin Gültigkeit bewahrt.

Im letzten Beitrag der Sammlung beschreibt schließlich K. Arffman den Einfluss lutherischer Tradition auf die Armenhilfe (205­230).

Nach einem geschichtlichen Abriss der Entwicklung des Um gangs mit und der Vorstellungen von Armut und Armensorge in Europa folgt eine Zusammenstellung von Motiven, in denen sich Luther dieser Frage stellte (Kl./Gr. ðSermon von dem WucherÐ sowie ðAn den christlichen Adel deutscher NationÐ ...), sowie bekannter historischer Fakten zu Einrichtungen sozialer Ordnungen etc. Erst im letzten Paragraphen wird kurz auch auf parallele Entwicklungen in Dänemark und Schweden rekurriert.

Insgesamt ergibt sich der Eindruck, dass die Artikel, die in dieser Studie zusammengetragen wurden, zwar die Orientierung an der Frage von Gesetz und Ordnungskriterium miteinander gemeinsam haben, dass die Studie aber eine Einheit herzustellen sucht, die de facto, trotz der lobenswerten Qualität jedes einzelnen Artikels, nicht gegeben ist. Der Titel der Studie suggeriert hier mehr Kohärenz als die Zusammenschau zu leisten vermag.