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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

306-309

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Müller, Reinhard:

Titel/Untertitel:

Königtum und Gottesherrschaft. Untersuchungen zur alttestamentlichen Monarchiekritik.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2004. X, 309 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 3. Kart. EUR 59,00. ISBN 3-16-148319-7.

Rezensent:

Walter Dietrich

Die von Rudolf Smend sowie von Christoph Levin betreute Göttinger Dissertation von 2003 möchte mit der Vorstellung aufräumen, dass die Königtumskritik des Alten Testaments ihre Wurzeln in der nichtstaatlichen Frühgeschichte der israelitischen Stämme habe. Nach M. ist sie so gut wie vollständig ein gedanklich-literarisches Produkt der nachexilischen Zeit.

Nach einem einführenden Forschungsüberblick (3­11, mit den Stationen Wellhausen, Noth, Richter, Crüsemann, Veijola, Becker und Kratz) befasst sich das erste Kapitel (12­34) mit der Jotamfabel Ri 9,7­15. Diese könne »während der gesamten Königszeit« verfasst worden sein (32 f.) und sei keineswegs »Reflex eines nicht monarchisch verfaßten Gesellschaftsmodells«, sondern schlicht Ausdruck weisheitlichen Denkens (33). Es sei insofern eher »Zufall«, dass aus der Umwelt des Alten Testaments »bislang noch keine eindeutigen Parallelen aufgetaucht sind« (34). Kommt solche Entmythisierung gegen Bubers Sicht der Jotamfabel als »stärkste antimonarchische Dichtung der Weltliteratur« (zitiert 12) an?

Im zweiten Kapitel (35­92) über den Gideonspruch Ri 8,22 f. wird zunächst sorgfältig nachgewiesen, dass dieser »jünger ist als das Rahmenwerk des Richterbuches« (42). Ein vor-dtr »Retterbuch« habe es nicht gegeben (gegen W. Richter), Ri 3­16 sei vielmehr insgesamt dtr konzipiert; die Listen der Kleinen Richter (Ri 10,1­5; 12,7­15) seien keine ältere Quelle, sondern »von der Redaktion des Richterbuches verfaßt« (59; doch warum dann die ðunrundenÐ Zahlen gegenüber dem dtr Ri-Rahmen?). Die Richter seien im Grunde Könige ohne Erbfolge, alles laufe ­ trotz oder wegen der Probleme in Ri 17­21 ­ auf die Errichtung des (davidischen) Königtums zu. Dazu setze der Gideonspruch einen Kontrapunkt (66 f.). Mit den königtumskritischen Texten in 1Sam 8­12 habe das nichts zu tun (68, gegen Veijola). Das dtr Ri-Buch sei »sekundär vor die [dtr] Darstellung der Königszeit« in Sam-Kön gesetzt worden (77, mit Kratz, gegen Noth und viele andere); dies zeige sich an Divergenzen zwischen Kön- und Ri-Rahmen (78­91).

Das dritte Kapitel (93­118) eruiert in Ri 8 f. mindestens sieben Fortschreibungsstufen: 1) die dtr Ri-Redaktion, welche Gideon- und Abimelech-Überlieferung verbunden und über die Alleinherrschaft noch positiv gedacht hat; 2) eine »midraschartige Bearbeitung«, die das Bild Abimelechs eingetrübt, »Gideon und Abimelech durch Filiation verknüpft und die siebzig Söhne Gideons (8,30*) mit den siebzig Aristokraten von Sichem (9,2*) identifiziert« hat; 3) eine »paradigmatische Bearbeitung«, die die Jotamfabel einsetzte; 4) den Gideonspruch; 5) »einige spätdeuteronomistische Š sowie verschiedene antikanaanitische Nachträge«; 6) und 7) »zwei vergeltungstheologische Bearbeitungen«, welche die Schuld Abimelechs und der Sichemiten geahndet sehen wollten. (Die Zuteilungen gehen hinunter bis auf die Viertelvers- und sogar Wortebene, was hier nicht darzustellen, aber doch als Plausibilitätshindernis zu vermerken ist.)Das vierte Kapitel (119­147) zergliedert in ähnlicher Weise die Erzählung vom Königsbegehren 1Sam 8: 1) Schon der königtumsfreundliche »Grundtext« 8,1.3­5.22b ist dtr, was Zitate von Dtn 16,18 in V. 3 und von Dtn 17,14 f. in V. 5 beweisen (124.126 ­ ein starkes Argument); 2) eine »erste Erweiterung« in V. 21.22a sorgt für die »Rückbindung der Einführung des Königtums an Jahwe« (123.129!); 3) eine »ältere königtumskritische Eintragung« (133) in V. 6a.11.13 f. 16.19 f. polemisiert profan-innenpolitisch gegen das Königtum (das sog. Königsrecht sei »für den vorliegenden literarischen Zusam men hang geschaffen« [137]); 4) durch eine »Nachinterpretation wird die antimonarchische Polemik auf Jahwe selbst zurückgeführt (V. 6b.7a.9b.10.18)«; 5) sodann wird, analog zum Gideonspruch, »der Gedanke einer Antithese zwischen göttlichem und menschlichem Königtum entwickelt (V. 7b.[8].9a)« (146 f.); 6) schließlich folgen noch einzelne Zusätze (z. B. V. 2.12).

Im fünften Kapitel (148­176) geht es um Sauls Königswerdung 1Sam 10,17­11,15. Es wurde zunächst die Ammoniterkriegserzählung 11,1­5.9­11 (die Herausnahme von V. 6­8 ­ wie auch von 10,26b [160] ­ verrät das Vorurteil, dass religiöse Züge in solchen Erzählungen jung sind) durch 10,27bLXX mit 9,1­10,16 verbunden. Diesen Block schloss eine »annalistische Redaktion« (in der Exilszeit, 157) durch 11,15a ; 13,1 mit 1Sam 13 f.* zusammen und schuf so eine erste Darstellung der Anfänge des Königtums. Dahinein wurde eine jüngere Version geflochten: mit 1Sam 8 als Vorspann und 10,17 ff.; 11,12 ff. als Zwischenstücken. Hier ist die Schichtenfolge wieder sehr kompliziert: 1) In 10,17.20.21b .23b.24 f.; 11,14.15b lässt ein dtr Grundverfasser Saul »erwählt« sein (abgewandelt aus der »Erwählung« Jerusalems im Dtn!) und widerspricht damit einer davidischen Engführung des Königsgedankens (ist das wahrscheinlich für einen judäischen Verfasser der Exilszeit?). 2) In 10,26a.27; 11,12 f. wird eine Königskritik abgewehrt (aber wer hat sie geäußert?). 3) Eine »saulkritische Bearbeitung« schiebt 10,21b .22.23a ein (in nachexilischer Zeit?). 4) Es folgt in 10,18 f. die »theologische Königtumskritik«. In 5) bis 8) kommen noch eine »Ganz-Israel-« und eine »Gotteskriegs-Bearbeitung« sowie einzelne Zusätze.

Das sechste Kapitel (177­196) rückt 1Sam 12 von allen bisher behandelten Texten ab, insofern hier der Königswunsch im Gefolge von Jos 24,15 mit Fremdgötterdienst gleichgesetzt werde (12,10.13a). Erst hier könne »von einer spezifisch ðnomistischenÐ Prägung der antimonarchischen Tendenz gesprochen werden« (196). Konkrete Fragen politischer Organisation sind in weite Ferne gerückt. Das Kapitel ist, wiewohl insgesamt jung, in sich noch mindestens dreischichtig.

Im siebten Kapitel (197­213) wird das »Monarchiestatut« Dtn 17, 14­20 als nach-dtn und keineswegs monarchiekritisch erwiesen (ge gen Alt). Von den vier Schichten sei schon die erste (V. 14.15a.16a. 17.20a·b) von 1Sam 8 abhängig und damit »längst weit jenseits der geschichtlichen Erfahrungen der Königtümer Israel und Juda«, d. h. klar nachexilisch (212). Erst recht gilt dies natürlich für die sukzessiven Forschreibungen in V. 15b, V. 18 f.20a und V. 16b. Das achte Kapitel (214­236) nimmt überraschend noch Jos 23 f. in den Blick. In diesem Text kulminiere das Ringen um »Israels einzigartige Identität im Gegenüber zu seinem Gott«, zu dem auch die radikale Monarchiekritik ­ Gott oder König ­ gehöre (214). Nicht nur Jos 24, sondern auch Jos 23 ­ ein Kapitel, das sich sehr wohl auch als Einheit lesen lässt ­ werden in eine Vielzahl miteinander verschränkter Schichten, Angleichungen, Ergänzungen usw. aufgelöst. Deren wichtigste sind (in dieser Reihenfolge): eine knappe Erzählung vom Landtag in Sichem (24,1 f.*.15*.16.18b.22); eine Ab schiedsrede Josuas (23,1 f.14­16a*); eine Gottesrede mit Paränese (24,2*.3­5.6­8*.11*.13­15*.17*.18* ­ die Sternchen deuten überaus diffizile Einzelzuweisungen an); eine Polemik gegen Fremdgötter (24, 14b.23 f.); eine Warnung vor fremden Völkern (23,3.11­14a); eine Mahnung zu Toragehorsam (23,4a.5­10). Schon die allererste Schicht soll von 1Sam 10,17 ff. abhängig und damit nachexilisch sein. Ganz Israel entscheide sich hier für Jhwh, der dabei als heimlicher König erscheint (226). In den späteren Textschichten trete an die Stelle der Alternative »Jahwe oder König« die andere »Jahwe oder andere Götter«; damit gerate »das Thema des Königtums allmählich aus dem Blick« (236).

Das Buch wird abgeschlossen durch eine Zusammenfassung der Ergebnisse (237­249), »deutsche Textpräparationen« zur Veranschaulichung der postulierten Fortschreibungsprozesse (250­265), ein Literaturverzeichnis (266­280) sowie Stellen-, Namen- und Sachregister (301­309).

Die Arbeit ist in einem guten, schnörkellosen Stil geschrieben und sorgfältig gefertigt. (Die hübsche Verschreibung »Und er hatte 30 Esel, die auf 30 Eselsfüllen ritten, und 30 Eselsfüllen gehörten ihnen«, 259, ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt.) Immer wieder werden intensive, fast kommentarartige Interpretationen einzelner Textabschnitte geboten, deren Lektüre lohnt. Die literar kritische Argumentation ist überaus, manchmal fast übermäßig scharfsinnig. Viele Einzelergebnisse überzeugen, an anderen wie auch an der literarhistorischen Gesamtsicht mag man Zweifel haben.

In M.s Stratigraphie der Texte zur Königtumskritik erscheint einzig die Jotam-fabel als vorexilisch und nur der dtr Kön-Rahmen als exilisch. Frühnachexilisch sollen der dtr Ri-Rahmen, die pro-königlichen Texte in 1Sam 8; 10,17 ff.; 11,12­14 und die anti-königlichen Nachträge in 10,27a; 11,12 f. sein. Erst im 5. Jh. sei eigentliche Königtumskritik aufgekommen: mit dem Einbau der Jotamfabel und der Formulierung des Königsrechts in 1Sam 8,11 ff., mit dem Königsgesetz in Dtn 17,14­20 und schließlich der Ineinssetzung von Königswunsch und Fremdgötterei in Ri 6,7­10 und 1Sam 12. Gegen diese Sicht lassen sich einige Einwände formulieren: Die Einschätzung der Jotamfabel als (gerade einmal) vorexilisch ist übervorsichtig, die Datierung des Königsrechts von 1Sam 8 in die Perserzeit überkühn; die Separierung eines (exilischen) dtr Kön-Buchs von einem (nachexilischen) dtr Ri-Buch gibt vorschnell die große Nothsche Hypothese eines von Dtn bis Kön reichenden dtr Geschichtswerkes preis; das pro-königliche dtr Stratum in 1Sam 8 und 10,17 ff. dürfte zum exilisch-dtr Grundwerk und nicht in die nachexilische Zeit gehören; 1Sam 10,27a ist kaum noch jünger, sondern eine ältere Kritik an Saul, wenn nicht am Königtum; der Grundtext von Dtn 17,14­17 ist kaum von 1Sam 8 und der dtr Darstellung Sauls und Salomos abhängig, sondern liegt damit auf einer Ebene.

Es kommen Anfragen auf Grund anderer alttestamentlicher Texte hinzu. Ist die Kritik an einzelnen Königen wirklich unerheblich für das Thema, weil sie ja keine wirkliche Monarchiekritik darstellte? Mit diesem Argument werden Texte wie Hos 8,4 (53), 1Sam 25, die Thronfolge- und die Salomogeschichte (237) beiseite geschoben. Es gibt indes noch viel mehr: 2Sam 12,1­15; 24,10­17; 1Kön 13,1­5; 20,35­43; 21,1­16; 22,13­28; 2Kön 1,1­17; 20,12­19; Jes 7,1­17; Jer 22,13­19.24­27; Ez 34; Am 7,10 f.; Zef 1,8; Prv 28,15 f.; 29,12.26 u. a. m. Ab wann aber schlägt Quantität in Qualität, sprich: akzidentielle in prinzipielle Kritik um? Weisen nicht die vielfältigen Distanzierungen von einzelnen Königen auf eine verbreitete Distanz zum Königtum?


Eine der Hauptstützen für die Annahme einer vorexilischen Monarchiekritik, die Prophetie Hoseas, umgeht M. eher, als dass er sie angeht. Von Hos 8,4 war schon die Rede. Zu Hos 13,9­11 bemerkt er: »Wahrscheinlich handelt es sich Š um einen späten Midrasch, der bereits sämtliche monarchiekritischen Einträge in I Sam 7­12 voraussetzt« (125), womit er eine Wolke von Zeugen gegen sich hat (etwa die Kommentare von Wolff und Jeremias). Hos 10,9 wird nicht behandelt, obwohl dort mit »Gibea« sicher das Gibea Sauls (vgl. 1Sam 11,4; 15,34, oft auch »Gibea Benjamins«) und damit der Ur sprungsort des israelitischen Königtums gemeint ist.

Gern erführe man auch mehr über die geschichtlichen, politischen und gesellschaftlichen Hintergründe, vor denen die Monarchiekritik angeblich zu sehen ist. Immerhin einen Versuch dazu gibt es: Mit dem Königsrecht 1Sam 8,11 ff. warnten im persischen Wirtschaftssystem zu Wohlstand gekommene Agrarier vor Gedankenspielen über eine Restitution des Königtums (144­146). Doch was an diesem Text ist typisch perserzeitlich?

Und schließlich wüsste man gern, wie sich das immens diffizile Fortschreibungsgeflecht, das M. (und ja nicht nur er) in den Texten meint erkennen zu können, rein buchtechnisch vorstellen lässt. Die postulierten Dutzende von Autoren arbeiteten nicht an verschiedenen Exemplaren einer Druckauflage oder gar an miteinander kompatiblen Computern, sondern an handschriftlichen Unikaten. Wer schrieb wie und wann in welches Exemplar was hinein? Wann gab es welche Neufassung, wer autorisierte sie? Und wie kam es dann zu dem in vielen Handschriften mit nur minimalen Abweichungen bezeugten Standardtext, der am Ende kanonisiert wurde?

Wie am Referat der Thesen, so möge auch an der Ernsthaftigkeit und Grundsätzlichkeit der Rückfragen abgelesen werden, wie be deutsam der Forschungsbeitrag ist, den dieses gescheite und innovative Buch leistet.