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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

304-306

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Freuling, Georg:

Titel/Untertitel:

»Wer eine Grube gräbt Š«. Der Tun-Ergehen-Zusammenhang und sein Wandel in der alttestamentlichen Weisheitsliteratur.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2004. VIII, 301 S. 8° = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 102. Geb. EUR 49,90. ISBN 3-7887-2007-7.

Rezensent:

Jutta Krispenz

Etwa 50 Jahre nach der Veröffentlichung von Klaus Kochs Aufsatz »Gibt es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament?« mag es wohl an der Zeit sein, die in diesem Aufsatz erarbeitete, in nachfolgenden Arbeiten Kochs differenzierte und in der exegetischen Literatur breit rezipierte These vom Tun-Ergehen-Zusammenhang einer Überprüfung zu unterziehen. Die Bonner Dissertation von Georg Freuling widmet sich dieser Aufgabe. Sie wurde von Hans Strauß betreut.

Der Überprüfung von Kochs These bereitet F. in den vier Hauptabschnitten des Buches, die jeweils das Buch Proverbia (I), ausgewählte Psalmen (II), Hiob (III) und Kohelet (IV) behandeln, den Boden. Ein eigenes Kapitel ist dem Ertrag (V) gewidmet.

Noch außerhalb der Kapitelzählung steht die Einleitung, in der F. die These Kochs ausführlich darstellt, wobei er vom oben ge nannten Aufsatz Kochs ausgeht, weitere Arbeiten desselben Autors mit einbezieht und im Lauf der Darstellung auch Arbeiten von Pedersen und Fahlgren, die Koch bereits vorlagen, vorstellt. Koch ging in seinem Aufsatz von der seinerzeit landläufigen Vorstellung aus, das Alte Testament sei in weiten Teilen von einem geradezu dogmatischen Vergeltungsdenken geprägt. Diese Vorstellung ­ die im Letzten auf dem Vertrauen in die Stabilität und Verlässlichkeit sozialer Normen beruht, denn das vergeltende Eingreifen Gottes sorgt dafür, dass die Normen Bestand haben ­ ersetzt Koch durch diejenige vom Tun-Ergehen-Zusammenhang bzw. etwas prononcierter durch die Vorstellung von der schicksalswirkenden Tatsphäre. Der erste Begriff nimmt der Vorstellung vom »Vergeltungsdogma« den negativ wertenden Beiklang und den unbedingten Bezug auf Gott, wenngleich dieser im Alten Testament stets hinter dem Tun-Ergehen-Zusammenhang als Ursache gedacht wird. Der zweite Begriff geht darin noch einen Schritt weiter, dass er Kochs Überzeugung Ausdruck verleiht, dass im Alten Testament die Tat zu »einem Bereich, den der Täter sich selbst schafft und in dem er sich fortan bewegt« (12), wird. Anders als die Vorstellung eines Zusammenhangs zwischen Tun und Ergehen ist die Vorstellung von der schick salswirkenden Tatsphäre nach Koch ein Spezifikum des Alten Testaments, welches dieses nicht mit den anderen Kulturen des alten Orients teilt und das vom Monotheismus des Alten Testaments her zu erklären ist. F. zeigt, wie Kochs These in Gedanken von Pedersen und Fahlgren vorbereitet und, vermittelt durch diese Verbindung, von der Religionssoziologie Emile Durkheims beeinflusst ist.

Der Tun-Ergehen-Zusammenhang ist nach Koch überall im Alten Testament präsent, wird aber in der Weisheit am stärksten reflektiert; in den Büchern Hiob und Kohelet entwickelt sich aus dieser Reflexion die »Krise der Weisheit«.

F. möchte nun exemplarisch an Texten, die weisheitlichen Ur sprungs sind, ergründen, in welcher Weise diese weisheitlichen Texte vom Tun-Ergehen-Zusammenhang besonders geprägt sind, ob und wie sie ihn je unterschiedlich entfalten und in welche Zu sammenhänge sie ihn stellen. Dieser Aufgabe widmen sich die an die Einleitung anschließenden vier Hauptkapitel des Buches. Bei diesen liegt ­ allein vom Umfang der Ausführungen her geurteilt ­ ein Schwerpunkt bei den Proverbien, ein zweiter beim Buch Hiob.

Die Proverbien stellen für F. die Basismenge weisheitlicher Texte dar. Sie bilden darum den Ausgangspunkt für seine Untersuchung, das Kapitel über die Sprüche Salomos schließt als einziges mit einem Zwischenergebnis ab, das bei der Formulierung des Ertrags (V) dann auch den Hintergrund bildet, vor dem die anderen Textgruppen konturiert werden und vor dem die Frage nach der Krise der Weisheit beantwortet wird.

F. lässt die Debatte zu Kompositionen im Sprüchebuch praktisch unberück sichtigt: Hierbei handle es sich um »eine notwen dige, aber auch unbewältigte Aufgabe« (36). Eine inhaltliche Auseinandersetzung führt F. hierzu weder hinsichtlich der Plausi bilität von Kriterien noch hinsichtlich der Zielsetzung oder der Ergebnisse. Zu gleich akzeptiert F. die Einteilung der Proverbien in Sammlungen und auch die Annahme von Untersammlungen bei den Sammlungen II und V (Prov 10­15; 16­22,16; 25­27; 28­29), wobei für ihn freilich nur die Unterscheidung zwischen Prov 1­9 einerseits und Prov 10­29 (immerhin vier Sammlungen!) andererseits eine Rolle spielt.

Diese beiden Gruppen repräsentieren für F. die »ältere Spruchweisheit« bzw. die »jüngeren Lehrreden«, eine Einteilung die seit O. Eissfeldt Tradition hat, die Differenz zwischen beiden Textbereichen wird diachron gedeutet. Ob das die einzige Deutungsmöglichkeit ist, wird in jüngerer Zeit immer wieder einmal gefragt. Auch die Möglichkeit, etwa Unterschiede zu registrieren zwischen den einzelnen Sentenzensammlungen oder auch zu den Sammlungen III und IV (Prov 22,17­24,22; Prov 24,23­34), die ja ihre eigenen Besonderheiten aufweisen, lässt F. sich entgehen.

In seiner Durchsicht des Textmaterials behandelt er die Vorkommen des Tun-Ergehen-Zusammenhangs nach thematischen Ge sichtspunkten. Wie er innerhalb dieser thematischen Gruppen generell solche Sprüche bzw. Texte auffindet, die das zu untersuchende Phänomen aufweisen, legt F. nicht dar. Ebenso wenig informiert er den Leser, ob er die Auswahl, die er bietet, für vollständig hält oder nicht. Für den Leser entsteht der Eindruck eines nicht sehr systematischen, eher intuitiven Vorgehens. Das ändert auch F.s Erklärung, er orientiere sich an Sachzusammenhängen, um so den Tun-Ergehen-Zusammenhang in seinem inhaltlichen Kontext wahrzunehmen, nicht, denn auch für die von ihm gewählten in haltlichen Bereiche gibt F. keine Begründungen an. Die Bereiche, die er untersucht (1.1.1. Die Unterweisung und das Gelingen des Weges; 1.1.2. Hochmut und Fall, Ehre und Demut; 1.1.3. Armut und Reichtum, Mangel und Fülle; 1.1.4. Die Frucht der Rede; 1.1.5. Die Eigendynamik der bösen Tat und die Reaktion auf widerfahrenes Übel; 1.1.6. Der Gerechte und die Frevler; 1.1.7. Zur theologischen Qualifikation des Tun-Ergehen-Zusammenhangs [VII]) ergeben nicht schon aus sich selbst heraus ein evidentes Untersuchungsfeld­ seine Auswahl begründet F. aber nicht.

Die Sprüche versteht F. eher als Solitäre, nur wo Stichworte ihn nötigen, Zusammenhänge zu sehen, ist er bereit, sie zu berücksich tigen. Um die konkrete Auseinandersetzung mit Sachargumenten manövriert F. sich herum, wie folgendes Zitat zeigen mag: »Allgemein sei zum Vorgehen kompositionskritischer Studien angemerkt: Der Versuch, ðAbschnitteÐ zu identifizieren, erscheint problematisch; wird oftmals festgestellt, daß sich über die Grenzen der be haupteten ðAbschnitteÐ hinweg Zusammenhänge feststellen lassen, so stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, solche ðAbschnitteÐ zu pos tulieren. Angemessener erscheint die Annahme einer lockeren Kom po sition ohne feste Abschnitte, unter der auch verschiedene thematische Zusam menhänge verschränkt werden können, ohne daß zwingend ein inhaltlicher Bezug greifbar werden müßte.« (35, Anm. 21)

Das »Zwischenergebnis«, das F. zu den Proverbien formuliert, passt zu dieser methodologischen Vorgabe: F. kommt zu keinen konturierten Ergebnissen, die über bereits Bekanntes hinausgingen. So kann er resümieren: »Es handelt sich um ein regelmäßig wiederkehrendes und erfahrenes Phänomen, dessen Wahrnehmung der Lebensorientierung fruchtbar gemacht wird. Zugleich gibt es widersprüchliche Erfahrungen, die die Gültigkeit des Zu sammenhangs von Tun und Ergehen jedoch nicht in Frage stellen, sondern als solche konstatiert und bewältigt werden. So handelt es sich weder um ein unbedingt geltendes ðNaturgesetzÐ, noch um ein ðDogmaÐ, genauer gesagt ein ðdogmatisch versteiftesÐ Ordnungsdenken« (107). Zu den im letzten Satz genannten Abgrenzungen hätte der Leser gerne die Quellen erfahren: Die Ausführungen F.s in der Einleitung (35 f.) erwecken den Eindruck, als wären solche Aussagen in älteren Arbeiten weitaus häufiger vertreten als in neueren. Den Begriff der »schicksalswirkenden Tatsphäre« lehnt F. an dieser Stelle als unangemessen ab.

Vor dem Hintergrund seiner Ergebnisse aus dem Buch Proverbia untersucht F. nun die einschlägigen Aussagen in den Psalmen 37, 49 und 73, im Hiobbuch und bei Kohelet. Diese Texte stehen für das, was man öfter unter dem Titel »Krise der Weisheit« subsumiert und als historisch spätes Phänomen gedeutet hat: In diesen Texten findet eine explizite Auseinandersetzung mit dem Tun-Ergehen-Zusam menhang statt. Diese Auseinandersetzung, so F. sicher mit Recht, darf nicht einfach sozusagen als Erosionsform der Vorstellung in den Sprüchen gesehen werden. Die Proverbien setzen vielmehr ge genüber den Büchern Hiob und Kohelet und auch den untersuchten Psalmen einen anderen Akzent. Was bisher meist als historisches Nacheinander verstanden wurde, lässt sich ebenso als systematisches Nebeneinander verstehen, dessen Unterschiedenheit durch die unterschiedliche Zielsetzung und den unterschiedlichen sozialen Zusammenhang ausreichend erklärt wäre. Wenn F. dann allerdings den »Prozeß einer zunehmenden Individualisierung in Israels Denken« (276) als Ursache für die Ausprägung kritischer Äußerungen zum Tun-Ergehen-Zusammenhang nennt, so fragt man sich, ob er damit nicht selbst wieder bei einer historischen Erklärung gelandet ist. Das Problem dürfte das Denken, das sich in den üblicherweise der »Weisheit« zugeschriebenen Texten äußert, begleitet haben, seit in ihm nebeneinander der Tun-Ergehen-Zusammenhang und die Empirie als Quellen der Erkenntnis gültig wurden.

F.s Untersuchung der These Klaus Kochs kommt zu dem Ergebnis, dass diese These im Wesentlichen Bestand haben kann. Die Arbeit verfolgt ihr Ziel mit großer Hingabe und Engagement, die sicher zu weiteren Ergebnissen geführt hätten, wenn F. sich neben den »Klassikern« auch etwas stärker der neueren, auch englischsprachigen Literatur ernsthaft zugewandt hätte:

Die Proverbienkommentare von R. N. Whybray wurden nicht herangezogen, ebenso wenig der von R. J. Clifford; M. Zehnders Monographie zur Wegemetaphorik hätte in Abschnitt 1.1.1. manchen Weg abkürzen können. Und schließlich hätte in derselben Weise, in der F. das Nebeneinander von pädagogisch orientierter Spruchweisheit und kritisch reflektierender Weisheit synchron statt diachron betrachtet, auch das Nebeneinander verschiedener Sammlungen im Buch Proverbia als synchrones Phänomen aufgefasst werden können. Die gestellte Aufgabe ist mit diesem Buch möglicherweise noch nicht erledigt. Ein Bibelstellenregister vervollständigt den Band.