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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

301-304

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ehrlich, Carl S. [Ed.]:

Titel/Untertitel:

< B> Saul in Story and Tradition.

Verlag:

Ed. in Cooper ation with M. C. White. Tübingen: Mohr Siebeck 2006. VIII, 358 S. m. Abb. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament, 47. Lw. EUR 84,00. ISBN 978-3-16-148569-5.

Rezensent:

Klaus-Peter Adam

Im Idealfall bringen Sammelbände zu biblischen Figuren verschiedene Stimmen der Forschung zu Gehör und damit methodische und sachbedingte, durch den gemeinsamen Gegenstand aufeinander bezogene Erwägungen miteinander ins Gespräch. Je eindeutiger die mit der Figur verbundenen Sachaspekte sich definieren lassen, desto besser sind die einzelnen Stimmen und die Polyphonie der Forschung vernehmbar. Die komplexe Figur Sauls mit ihren vielen Facetten (1) als Thema von elf Versuchen zu biblischen Ge schichten bzw. biblischer Geschichte und von sechs Beiträgen zur nachbiblischen Rezeption steht im Mittelpunkt des vorliegenden Bandes, der keinen exemplarische-methodologischen (3), sondern einen sachbezogenen Beitrag zur biblischen und nachbiblischen Überlieferung vom ersten israelitischen König in Text, Musik und Bildender Kunst liefern will.

A. Faust erstellt ein übersichtliches Porträt der »Settlement Patterns and State Formation in Southern Samaria and the Archaeology of (a) Saul« (14­38) auf der Basis traditioneller (früher) Chronologie. Keines der Dörfer aus der Eisenzeit (EZ) I, die man mit dem Aufstieg der Israeliten im zentralpalästinischen Bergland verbindet, existierte in EZ II als Dorf. Faust sieht externe Faktoren als entscheidend für den Siedlungsumbruch. Die zirkuläre Argumentation biblischer Archäologie benennt er besonders im Blick auf mit Saul verbundene sites (31­34) und verweist demgegenüber auf Strukturen des Besiedlungsprozesses.

Auf der Grundlage der Textüberlieferung bearbeitet S. Kreuzer »Saul ­ not always ­ at War. A New Perspective on the Rise of King ship in Israel« (39­58). Auf Grund genereller Überlegungen zur Staatenbildung im 11. Jh. rechnet Kreuzer mit einem Wachstum philis täischer Städte und der philistäischen Besiedlung der Küstenebene und zieht Äußerungen wie 1Sam 13,20­21, die nicht der übergeordneten Textintention geschuldet und daher alt sind, mit heran, um zu einem Bild friedlicher israelitisch-philistäischer Koexistenz zu gelangen.

S. L. McKenzie, »Saul in the Deuteronomistic History« (59­70), versteht Saul als Gegenfigur zu David und entfaltet dies an der unscharf gehaltenen Darstellung Sauls in der dtr Geschichtsschreibung in 1Sam 8­12. Die Bezeichnung als dygn wird als Hinweis auf Sauls Funktion im Übergang zwischen der Richterzeit und der israelitischen Monarchie verstanden und die Ambivalenz der Er nennung Sauls wird mit der Akklamation Davids verglichen, während spätere Erzählungen über Saul sich mit seinem Scheitern auseinandersetzen. Die dtr Geschichtsschreiber haben die Figur Sauls nach McKenzie so stark übermalt, dass nur sehr wenig Historisches mehr von ihm erkennbar bleibt.

Die Spannung zwischen Saul als möglichem Königskandidaten und als verworfenem König führt nach Y. Amit, »The Delicate Balance in the Image of Saul and its Place in the Deuteronomistic History« (71­79), zu einem dreifachen Saulbild: Saul ist zum einen ein tragischer Held, er ist ferner im Kontrast zu David und Samuel gezeichnet und drittens ambivalent charakterisiert, so dass der Leser sich sowohl in seinen Aufstieg, als auch in seinen Untergang einfühlen kann, im Unterschied zu seiner Darstellung in Chr.

G. Mobley, »Glimpses of the Heroic Saul« (80­87), vergleicht den heldenhaften Saul der Geschichte in 1Sam 9­14 mit Erzählungen, in denen er als negative Folie für David dient (1Sam 15­31), wobei positive Einzelheiten in der Darstellung von Saul in 1Sam 9­14, die die spätere Überlieferung 15­31 negativ spiegelt, seines Erachtens auf authentischen historischen Traditionen beruhen. Im Einzelnen wird dies im Blick auf sechs negative Eigenschaften Sauls deutlich. Sauls Statur, seine göttliche Inspiration, die zum bösen Geist wird; sein Erfolg im Krieg, sein Speer, der stets negativ eingesetzt wird, seine Männer, die implizit in der Erzählung kritisiert werden (vgl. Ri 19), und seine prophetischen Fähigkeiten, die seinen krankhaften Geis teszustand anzeigen.

Saul bei den Propheten (1Sam 19,18­24 und 10,10­12) bildet den thematischen Schwerpunkt der bedenkenswerten Studie von C. Nihan, der ein »Reworking Saul¹s Figure in the Context of the Debate on ðCharismatic ProphecyÐ in the Persian Era« (88­118) darstellt. Das Sprichwort »Ist Saul auch unter den Propheten?« gehört in die persische Zeit; 1Sam 10,10­12 sind späterer, nach-dtr Zusatz zur ursprünglichen Erzählung von Sauls Salbung 1Sam 9,1­10,16. Der Kontext dieser Neuinterpretation der Führungsrolle wird im frühen 5. Jh. im Ende des Versuches Serubbabels verstanden, die nationale Autonomie in der persischen Provinz Jehud zu errichten. 1Sam 19,18­24 liefert die Antwort klassischer prophetischer Kreise in Jerusalem auf das Phänomen ekstatischer Prophetie, so dass hier ein Dialog zwischen offizieller und charismatischer Prophetie vorliegt.

M. White, »Saul and Jonathan in 1Sam 1 and 14« (119­138), er mittelt eine ursprüngliche Erzählung von Sauls Aufstieg in 1Sam 1,1­14,48, deren Zweck es war, Samuel als eigentlichen Priester einzusetzen und den Leser auf sein Handeln vorzubereiten, insbesondere auf seine Salbung Sauls als des ersten Königs von Israel. Saul kommt in dieser Erzählung nur indirekt vor, z. B. durch den siebenmaligen Gebrauch von Wortspielen über seinen Namen. In dieser vor-davidischen Fassung ist Samuels einzige Funktion, die Elidenpriester abzuwerten und den Sauliden zum Königtum zu verhelfen. Parallelen zwischen einzelnen Abschnitten dieser Überlieferung werden aufgezeigt, z. B. die Hingabe des Sohnes Jonatan bei Saul (1Sam 14) und die Hingabe des Sohnes bei Hanna 1Sam 1.

M. W. Hamilton widmet sich in »The Creation of Saul¹s Body. Re flections on 1Samuel 8­10« (139­155) Sauls Körper in der Erzählung über die Einsetzung zum König. Er klärt die Arten der Darstellung ritueller Konstruktion des Körpers in 1Sam 8­10 und die Be deutung eines Körpers als simulacrum für die Gesellschaft als Ganze. Erst als Saul ein »anderes Herz« bekommt (1Sam 10,9), empfängt er den Geist, der ihn verändern wird. Die Kritik am Königtum nach 1Sam 8 wird auf dem Hintergrund ethnographischer Parallelen als formales Ri tual gesehen, durch das das aufgelistete Böse abgewehrt wird. Sauls enthaupteter und vergewaltigter Körper an der Stadtmauer von Beth-Shean zeigt das Ende seiner Herrschaft als König an.

A. Meier behandelt in »The Sword. From Saul to David« (156­174) den Einsatz und die Behandlung von Waffen in der Saulüberlieferung, in der sich das erwartete Schicksal teils umkehrt.

C. Mark McCormick, »From Box to Throne. The Development of the Ark in DtrH and P« (175­186) stellt die ambivalente Funktion der Lade als göttlicher Thron und als Behälter für die Bundestafeln dar und weist einen rein phänomenologischen Zugang zur Lade als Objekt als ungenügend zurück, da diese als Textbild (textual icon) in literarischen Bezügen zu verstehen sei. Die Ladeerzählung als dtr Komposition endet mit der Überführung der Lade in den Tempel, so dass keine Notwendigkeit bestand, diese in die Saulüberlieferung zu integrieren.

Gary N. Knoppers aufschlussreiche Studie beschreibt »Israel¹s First King and ðThe Kingdom of YHWHÐ in the hands of the sons of David« (187­213). »The Place of the Saulide Monarchy in the Chro nicler¹s His toriography« zeigt das Interesse des Chronisten an der Genealogie und am Tod Sauls im Kampf (1Chr 10), der die Aus einandersetzungen aus 2Sam übergeht und David als von vornherein ausgesuchten König Israels darstellt. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass David von jedem Einfluss auf Sauls Tod ferngehalten werden sollte. Die Benjaminiten wenden sich David zu, während Saul noch lebt. Dies erklärt Chr teilweise durch Darstellung des abtrünnigen Saul und spiegelt insofern den Streit Benjamins und Judas als zweier nicht-priesterlicher Stämme mit Machtansprüchen in persischer Zeit wider. Chr stellt Sauls Vorherrschaft dar und beschreibt ihn als unzureichenden König, was die Benjaminiten zur Zeit Sauls erkennen und was in persischer Zeit zur Anerkennung der Herrschaft Davids führen soll.

Sechs wirkungsgeschichtliche Aufsätze folgen. »Josephus¹s View of Saul« (214­244) von L. H. Feldman untersucht das Aufgreifen der Saulidenüberlieferung bei Josephus, die durch eine ausgedehnte Ausformulierung der Überlieferung dieses Helden als tragische Figur und als König mit guter Herkunft, physischer Attraktivität, Weisheit, Mut, Beherrschung, Gerechtigkeit und Frömmigkeit sowie durch Erklärungen der biblischen Überlieferung (z. B. die medizinische Erklärung seines Zustandes) gekennzeichnet ist. H. Liss geht bei der Untersuchung »The Innocent King. Saul in Rabbinic Exegesis« (245­260) von einer positiven Einschätzung Sauls durch die Rabbinen aus, die Saul als bescheidenen Mann darstellen, der insofern seinen Fall vorwegnimmt und für diesen nicht verantwortlich gemacht werden kann. Sauls Tapferkeit, in Gilboa in den Krieg zu ziehen, erscheint aus rabbinischer Sicht bewundernswert, was einer häufig beobachteten Umkehrung biblischer Figurenwertung in rabbinischer Überlieferung entspricht. W. A. Saleh, »King Saul in the Qur¹¯an and Post-Quranic Literature« (261­283), geht auf die kurze Erwähnung Sauls in Q. 2,246­253 ein, die sich sehr von den biblischen Ursprüngen unterscheidet und sich in nach-koranischer Literatur erneut umkehrt. Die Veränderung der Überlieferung im Koran wird nicht als Neuinterpretation, sondern als Neufassung verstanden, die mit dem Zugang zur göttlichen Überlieferung begründet wird. Das spezifische Anliegen ist nicht das Königtum als solches, sondern die Sanktionierung des Krieges: Samuels Warnungen vor dem Königtum werden zu Warnungen vor der Verweigerung des Krieges umgedeutet.

Drei Beiträge beziehen sich auf die westeuropäische Wirkungsgeschichte der Saulüberlieferung der letzten 500 Jahre. Die Analyse von R. Bartelmus zu »Handel and Jennens¹ Oratorio ðSaulЫ (284­307) vergleicht zunächst den biblischen Bericht mit dem Libretto des Oratoriums. Die Aufmerksamkeit wird im musikalischen Werk auf die Figur Sauls und seine Tragik durch die Verwerfung verschoben, während David erwählt wird. In der musikalischen Analyse kommt dem C als vorrangiger Tonstufe des Oratoriums besondere Bedeutung zu.

S. Nicholson stellt »Catching the Poetic Eye. Saul Reconceived in Modern Literature« (308­333) dar und bietet einen Blick auf die Dramen von Jean de la Taille, Pierre du Ryer, Vittorio Alfieri, Voltaire, Alphonse de Lamartine und André Gide und auf den Romancier Thomas Hardy. Die Autoren spielen in unterschiedlicher Deutlichkeit auf die Saulüberlieferung an, wobei Sauls Verrücktheit und seine Konflikte mit der Umgebung Konstanten aller Überarbeitungen darstellen.

M. M. Epstein untersucht in »Seeing Saul« (334­345) die am besten bekannten bildlichen Darstellungen Sauls in der westlichen Kunst ab Rembrandt, die im Stil des 17. Jh.s den Geisteszustand ihrer als Individuen verstandenen Fi guren zum Ausdruck bringen; Verunsicherung und Verzweiflung sind Gegenstand der Bilder.

Stellen-, Namen- und Sachregister beschließen den Band.


Der Reiz des weit gespannten inhaltlichen Bogens besteht vor allem in den teils sehr bedenkenswerten Einzelstudien. Die Vielfalt der dargebotenen Ansätze und Fragestellungen bietet für Interessenten aus Nachbardisziplinen eine Fallstudie über die Verarbeitung eines biblischen Stoffes. Als Sammlung für die alttestamentliche Exegese überzeugt die Zurückhaltung der Herausgeber im Themenzuschnitt nur bedingt. Die biblische Figur des Saul ist bereits im Alten Testament angesichts kontroverser literarischer und historischer Einordnung sehr vielschichtig, wie der Band eindrucksvoll vorführt.