Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2007

Spalte:

287-289

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Surmann, Beate:

Titel/Untertitel:

Licht-Blick: Paulinus Nolanus, carm. 23. Edition, Übersetzung, Kommentar.

Verlag:

Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier 2005. 426 S. m. Abb. 8° = Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium, 64. Geb. EUR 54,50. ISBN 3-88476-738-0.

Rezensent:

Matthias Skeb

Beate Surmanns Studie über das 23. Gedicht des spätantiken lateinischen Dichters Paulinus von Nola (ca. 355­431 n. Chr.) ist die Druckfassung ihrer unter der Leitung des Göttinger Ordinarius für Lateinische Philologie Siegmar Döpp erarbeiteten und im Wintersemes ter 2001/2002 angenommenen philologischen Dissertation.

Carmen 23 ist das siebte, zum 14. Januar 401 entstandene Ge burtstagsgedicht (Natalicium), das der Mönch Paulinus dem in Nola verehrten Ortsheiligen Felix anlässlich seines Festtages gewidmet hat und in dessen Mittelpunkt die schwere Augenverletzung steht, die sich Theridius, ein Mitglied der Mönchsgemeinschaft des Paulinus, an einem von der Decke hängenden Lampenhaken zugezogen hat, sowie deren Heilung durch Christus/Felix.

Die Arbeit füllt eine wirkliche Forschungslücke aus, insofern bislang präzise Einzeluntersuchungen ganzer Gedichte des Paulinus noch nicht in dem notwendigen Umfang vorliegen, um eine sichere Basis für eine seriöse Würdigung der dichterischen Leistung des Nolaners im Kontext spätantiker Poesie abzugeben. Sie steht inhaltlich im Schnittpunkt von Klassischer Philologie, Theologie, Christlicher Archäologie und Medizingeschichte und ist methodisch stark vom Forschungsansatz des Münsteraner Altphilologen Christian Gnilka bestimmt, der unter dem Stichwort »rechter Ge brauch« (usus iustus) die kritische Aneignung der Elemente der heidnisch-antiken Kultur durch die frühen Christen untersucht.

Nach dem einleitenden ersten Kapitel klärt die Vfn. die Frage, ob und inwiefern carm. 23 als Natalicium zu bestimmen ist (»II. Zur Frage der literarischen Form«). Dabei erliegt sie nicht der Gefahr der Pauschalisierung: Es gib keine eigenständige antike Gattung ðGe burtstagsgedichtÐ und carm. 23. ist nicht einfach ðGeburtstagsdichtungÐ. Gattungsmäßig bestimmt sie das Werk als hagiographisches Geburtstagsgedicht in Form eines historisch-enkomiastischen Kleinepos, das eine zeitgenössische Episode aus der Heilsgeschichte behandelt (33).

Das folgende Kapitel (»III. Text und Übersetzung«) legt eine kritische Neuedition und eine deutsche Übersetzung des Gedichts vor. Da die Textausgabe Wilhelms von Hartels im Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum unzureichend ist, hat die Vfn. alle erforderlichen sieben Handschriften neu kollationiert und auch die handschriftliche Überlieferung der Responsa Dungali, in denen Paulinus-Texte zitiert werden, berücksichtigt. Auf diese Weise konnte sie im textkritischen Apparat von Hartels Überflüssiges eliminieren, Fehler bereinigen und Auslassungen nachtragen. Ihre Übersetzung, die sie selbst als »zielsprachenorientiert« bezeichnet (13), überträgt zwar das Gedicht in verständliches Deutsch, orientiert sich aber fast durchgängig an der syntaktischen Struktur des lateinischen Textes, so dass sie auch eine wertvolle Hilfe zu dessen Verständnis darstellt.

Im Anschluss daran legt die Vfn. das interpretierende Haupt kapitel der Arbeit vor (»IV. Kommentar«). Eine »Strukturanalyse« deckt zunächst die Disposition des Werkes auf. Das Gedicht besteht aus fünf großen Partien, die in konzentrischen Kreisen angeordnet sind. Im Proömium (Vv. 1­44), das eine dichtungstheoretische Einführung beinhaltet, und im Epilog (Vv. 330­335), der eine Übertragung des Augenlichts des Theridius auf das geistliche Sehvermögen des Paulinus enthält, spricht der Poet als »Ich«. Eine thematische Einführung in die am Felixgrab geschehenden Exorzismen (Vv. 45­105), die die zentrale Theridiuserzählung vorbereiten soll, und die theologische Ausdeutung des Theridiusgeschehens (Vv. 266b­329) bilden den zweiten Kreis. Das Zentrum des Gedichts ist die Darstellung des Unfalls und der Rettung des Theridius (Vv. 106­266a).

Der »Stichwortkommentar«, der eine Einzelexegese wichtiger De tailfragen des Gedichtes (in Auswahl) enthält, die die eigentliche Interpretation entlasten soll, widmet sich neben typisch philologischen Aufgaben auch ðrealienkundlichenÐ Fragen und theologischen Themen (die »Doppelexistenz« des Heiligen im Himmel und auf Erden sowie die Verbindung von Heiligenverehrung und Askese, die Täuschungstheorie in der Soteriologie und die christologische Zweinaturenlehre).

Es folgt eine »Interpretation der einzelnen Teile« des Gedichts unter fünf Gesichtspunkten. Unter der Überschrift »Dichtung und Natur« (Vv. 1­44) weist die Vfn. gegen A. Pastorino nach, dass Paulinus¹ genuin christliches Naturverhältnis gerade nicht (subjektiv) durch dessen »stato d¹animo« bestimmt ist, sondern einen objektiven Verständnisschlüssel schöpfungstheologischer Art voraussetzt:

Die Zeichenhaftigkeit der Natur ist dazu bestimmt, die Menschen über geistige Fragen und Gottes Pläne zu belehren. Auf ähnliche Weise gewinne Paulinus Einsichten über sein Dichten aus der Natur. Das Felix-Fest als Feier der Geburt zum ewigen Leben entspricht dem Frühling. Die verschiedenen Metra in carm. 23 ahmen einen bunten Blumengarten nach. Wie die Singvögel im Frühjahr, so bringt Paulinus am Felixtag sein Lied zu Gehör. Nur die Gesangsgabe der Nachtigall könnte den verschiedenen Stoffen der Felix-Dichtung gerecht werden. Die Analysen der Vfn. sind nachvollziehbar. Allerdings hätte sich der Rezensent beim Thema der geistlichen Zeichenhaftigkeit der Natur einen Hinweis auf Paulinus¹ allgemeines mystagogisches Prinzip »per visibilia ad invisibilia« (epist. 43,7 u. ö.) und dessen (neu-)platonischen Hintergrund ge wünscht. Außerdem vermisst man eine differenzierende Analyse der Frage, ob die (geschilderte) Zeichenhaftigkeit der Natur als Erkenntnisquelle der Poetologie oder als deren anschauliche Ausdrucksform anzusehen ist. Der folgende Abschnitt »Der Heilige und die Dämonen« (Vv. 45­105) stellt Felix (bzw. Chris tus durch Felix) als Bezwinger der Dämonen und Retter der Besessenen vor. Der Bekenner setzt sich als menschlicher Fürsprecher bei Christus für die Erkrankten/Besessenen ein und vermittelt ihnen auf diese Weise Heilung. Am Felixtag und am Felixgrab werden besonders viele Dämonen ausgetrieben. Die Austreibungswunder sollen den Glauben an einen gütigen Gott stärken. Der Abschnitt »Unfall und Rettung des Theridius« (Vv. 106­266a) enthält die zentrale Narratio des Gedichts. Wichtig für Paulinus ist der geistig-symbolische Sinn des Geschehens: Das Auge als Anlage zur Gotteserkenntnis wird bedroht vom Lampenhaken, der den Satan selbst vertritt. Diesem Antagonisten tritt Felix (als »Schutzherr«) entgegen und vermittelt göttliche Hilfe: Durch ihn heilt Christus den Verletzten. Unter der Überschrift »Aktualisierende Bibelepik« erfolgt die Deutung des Geschehens (Vv. 266b­329): Die Rettung des Auges ist Fortdauer des göttlichen Schöpfungsaktes. Der letzte Abschnitt »Lumen. Augenlicht und geistige Erleuchtung« (Vv. 330­335) schlägt den Bo gen zurück zum Proöm: Weil Theridius¹ Augenlicht bewahrt wurde, wurde Paulinus inneres Sehvermögen geschenkt, und er erkannte, dass Felix sich um ihn sorgt. Auch die Heilung des Theridius hat Zeichencharakter.

Die wenigen vom Rezensenten vorgetragenen Bedenken können das äußerst positive Gesamtbild der Studie nicht beeinträchtigen. Die Arbeit enthält erfreulicherweise eine Fülle neuer Einsichten und Klärungen. Methodisch wahrt sie das Gleichgewicht zwischen präziser philologischer Detailanalyse und Einordnung in orientierende Gesamtzusammenhänge. Die fremdsprachige Fachliteratur zu Paulinus (Englisch, Französisch und vor allem Italienisch) wird angemessen berücksichtigt. Besonders hervorzuheben ist, mit welcher Sicherheit und Kompetenz sich hier eine jüngere Klassische Philologin auf christlich-patristischem Terrain bewegt. Das ist heute leider alles andere als selbstverständlich.