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Ausgabe:

März/2007

Spalte:

283-285

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Fischer, Alexander Achilles:

Titel/Untertitel:

Tod und Jenseits im Alten Orient und im Alten Testament.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2005. IX, 271 S. m. 20 Abb. 8°. Kart. EUR 24,90. ISBN 3-7887-2104-9.

Rezensent:

Stefan Beyerle

Die Darstellung ist ganz der Beschreibung antiker Phänomene gewidmet und setzt doch in der Neuzeit ein: Am Grab seines ihm unbekannt gebliebenen Vaters erfährt der Protagonist aus Albert Camus¹ Roman »Le premier homme« (deutsch: Der erste Mensch) das, was F. einen »Endlichkeitsschock« (3) nennt. Daraus erschließt sich die ­ nicht nur ­ existenziell-existenzialistische Bedeutung des Todes. Das Jenseits führt auf das Leben zurück. Transzendenz und Immanenz gehen eine enge Verknüpfung ein. Die »Forschungsreise« durch den Alten Orient und in die Bibliothek des Alten Testaments, zu der F. seine Leser einlädt, findet bei dieser Einsicht ihren Anfang wie Abschluss. Denn am Ende der Reise, in Apokalyptik und später Weisheit, diagnostiziert F. ein Zusammenrücken von Himmel und Erde, wonach die »Transzendenzlinie« weniger Trennung als einen Übergang bezeichne (206).Um gleich im Bild zu bleiben: Die Reise setzt keine sprachlichen und sachlichen Qualifikationen voraus, richtet sich also an einen weiteren Kreis von »Reisewilligen«. So beschränken sich Hinweise und Diskussion der überwiegend deutschsprachigen Fachliteratur auf die Endnoten. Fremdsprachiges aus den Quellen ist in Um schrift dargeboten. Alle Gegenstandsbereiche werden erläuternd eingeführt, die besprochenen Primärtexte einleitungswissenschaftlich dargestellt. Der flüssige Stil, die kurzweilige Darstellung und ein überwiegend ausgewogenes Urteil erhöhen zudem den Reisekomfort. Man bewegt sich zunächst zwischen Ägypten und dem Zweistromland, stattet aber auch Griechenland einen Besuch ab. Gerade letzterer Kulturkreis ist in der deutschsprachigen Fachliteratur bisher unterrepräsentiert (vgl. jedoch J. N. Bremmer). Schließlich findet auch der syrisch-kanaanäische Raum Berücksichtigung, insbesondere die mythischen Texte aus Ugarit.

Die für Ugarit angenommene Praxis des Ahnenkults bildet dann auch die Plattform für die Anknüpfung an die altisraelitische und antik-jüdische Literatur. Allerdings werden die ugaritischen Quellen (wie KTU 1.113; 1.161; 1.108) m. E. bisweilen etwas rasch im Sinne ritueller Ahnenkult-Zeugnisse verstanden. So verweist die Königsliste in KTU 1.113 mit dem Determinativ ilu wohl auf die Vergöttlichung verstorbener Könige, allerdings nur sehr mittelbar auf die Unterwelt. Und KTU 1.161 beschreibt lediglich ein »Bestattungsritual« (s. St. Gulde, FAT 32, 414­416.418). Schließlich verknüpft F. etwas voreilig die »Textwelt« mit der unter differenten methodischen Gesichtspunkten zu deutenden »Welt« archäologischer Hinterlassenschaften: Raum 28 der ugaritischen Palastanlage sei »Kultstätte für die Ahnen« (108). Die Nekromantie als »Spezialfall der Totenbeschwörung« (115) ist dann mit 1Sam 28 näher beleuchtet. Der Text wird literarisch in drei hypothetische Schichten (I. Grunderzählung über eine bacalat-¹ob, II. Totenbefragung des tragischen Helden Saul u. III. dtr. Verwerfungsgeschichte Sauls) unterteilt. Das Signalwort ¹ob , von hethitisch a-a-pi (»Öffnung«) abgeleitet, diene zur Bezeichnung einer Opfergrube. Allerdings passt das Verständnis von ¹ob als Totengeist besser zum ¹ælohim, den die bacalat-¹ob aufsteigen lässt (1Sam 28,13). Und religionsgeschichtlich liegt die Ableitung von sumerisch-akkadisch lú gidim.ma (»Mann des Totengeistes«) m. E. näher (vgl. J. Tropper, DDD2, 808).

Die Anfragen sollen nicht die grundsätzlich richtige Einsicht F.s, dass es in Israel Totenbeschwörung gab, in Frage stellen. Sie zeigen nur, dass die Schlussfolgerungen in der Darstellung bisweilen sehr weitreichend sind ­ wobei sich F. der Hypothetik stets bewusst ist.

Im zweiten Hauptteil der Studie stehen »Tod und Jenseits im Alten Testament und in der jüdisch-hellenistischen Literatur« zur Debatte. F. untersucht im ersten Unterabschnitt zunächst die Todesbilder, die »Scheol«-Vorstellung und das Verhältnis JHWH ­ Tod (129­149). Insbesondere an den Bedeutungsnuancen von »Scheol« macht F. das Ineinanderfließen von »Bild« und »Wirklichkeit« im Erfahrungsraum des Einzelnen deutlich ­ hierzu passt die Beobachtung, dass sich die »Scheol«-Belege im Alten Testament ganz auf die personal-emotionale Ebene bei Individuen beschränken und dabei Be schreibungen der »Scheol« zurücktreten (so Ph. S. Johnston, Shades of Sheol, 2002, 70­73).

Mit dem Thema »Tod und Gerechtigkeit in der Weisheit« (150­176) werden bereits Grenzphänomene hin zu Überwindung des Todesgeschicks angesprochen. Ausgangspunkt ist der »Tun-Ergehen-Zusammenhang«, der ­ trotz B. Janowski (vgl. auch G. Freuling, WMANT 102, 1­30) ­ bei F. im Sinne des »klassischen« Verständnisses zur Darstellung kommt. Bleibt die Hiobdichtung angesichts der »Krise« des »Tun-Ergehen-Zusammenhangs« noch ganz im Diesseits verhaftet, deutet die Entrückungsterminologie der weisheitlich beeinflussten Psalmen 49 und 73 die Überwindung der Todesgrenze wenigstens an. Wobei hier Ps 73,24­26 mit der Vorstellung von der den Tod entmachtenden Gottesgemeinschaft eine deutlichere Sprache spreche als etwa Ps 49,16.

Wiederum »diesseitig« verfahren Koh und Sir mit der Todesproblematik, indem beide Texte je unterschiedlich die Themen Carpe diem und Memento mori miteinander verknüpfen. Während Koh den Tod als völlige Abgeschiedenheit des Menschen (vgl. 172) verstehe, verzichte auch Sir auf jede Jenseitsspekulation (vgl. 175 f.). Jedoch entwickle Sir im Unterschied zu Koh aus Memento mori nicht nur den Aufruf zu Carpe diem, sondern auch eine ethische Kraft (vgl. Sir 14,11­13.16: »kategorischer Imperativ« [175]). Allerdings kann man wenigsten bei Koh fragen, ob nicht doch Jenseitsvorstellungen in den Texten (vgl. 3,16­22 mit 12,5­7: s. H.-P. Müller) verarbeitet wurden. Zudem hätte die Behandlung von Koh und Sir vor den Psalmen mehr inhaltliche Konsistenz erwirkt.

Mit dem gewichtigen Kapitel über »Auferstehung und Gericht in der Apokalyptik« (177­209) kommen die unterschiedlichen Jenseitskonzeptionen des antiken Judentums zum Tragen, auch außerhalb des hebräischen Kanons. F. arbeitet sich von Ez 37 über Henoch- und Jubiläenbuch bis zu Dan 12,1­3 vor und verzichtet dankenswerter Weise auf ermüdende Definitionsfragen zu »Apokalypse/Apokalyptik«. Damit dokumentiert F. die zutreffende Einsicht, dass sich nicht zuletzt auch die christliche Auferstehungshoffnung aus der Apokalyptik heraus entwickelt hat.

Allerdings wäre bei der Unterscheidung von »Apokalypsen mit Himmelsreisen« und »historischen Apokalypsen« (vgl. vor allem 199) ein Hinweis auf J. J. Collins angebracht gewesen. Zu Ez 37,1­14 hätte die Rezeptionsgeschichte (vgl. nur 4QpseudEza) weitere Einsichten beisteuern können, wie insgesamt die gewichtigen Qumrantexte viel zu kurz kommen.

Das Kapitel über die »Unsterblichkeit der Seele« (210­235) behandelt schließlich die Grabinschriften von Leontopolis, PsPhok 99­115 und die »eschatologischen« Passagen in SapSal. F. trennt hier zwischen der naturgemäßen und der von Gott gegebenen bzw. zugesprochenen Unsterblichkeit der Seele in Griechentum und Judentum.

F. hat ein anregendes, bisweilen spannend zu lesendes Buch geschrieben. Auch wenn man zu Einzelentscheidungen kritische Rückfragen formulieren kann, bleibt der positive Gesamteindruck zu diesem durch 20 Abbildungen illustrierten sowie durch Literaturhinweise und ein Stellenregister erschlossenen Buch.