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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

229-231

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Kaupp, Angela:

Titel/Untertitel:

Junge Frauen erzählen ihre Glaubensgeschichte. Eine qualitativ-empirische Studie zur Rekonstruktion der narrativen religiösen Identität katholischer junger Frauen.

Verlag:

Ostfildern: Schwabenverlag 2005. 432 S. m. Tab. gr.8° = Zeitzeichen, 18. Kart. EUR 35,00. ISBN 3-7966-1187-7.

Rezensent:

Monika Jakobs

Mit der vorliegenden Arbeit reiht sich Angela Kaupp ein in die seit den 1990er Jahren aufblühende empirische Erforschung in der Religionspädagogik. Mit der Frage nach der religiösen Sozialisation von jungen Frauen bezieht sie sich auf die ebenfalls noch junge Genderforschung in der Religionspädagogik und nimmt das Desiderat nach einer vertieften Erforschung der Genderperspektive in der Religionspädagogik auf. (Vgl. TheoWeb 2 [2003], 1.) Empirisches Material zur Thematik aus religionspädagogischer Sicht ist äußerst rar. Theoretisch wurde sie fast zeitgleich in der Arbeit von Büchel-Thalmaier umfassend erarbeitet (Dekonstruktive und rekonstruktive Perspektiven auf Identität und Geschlecht. Münster 2005).

Insofern erfüllt das qualitativ-empirische Forschungsprojekt K.s ein dringendes Forschungsanliegen. Obwohl »Gender« sich auf beide Geschlechter sowie das Geschlechterverhältnis mit seiner symbolischen Repräsentationen bezieht und vehement einen »Frauen-als-Sonderfall«-Forschungsansatz ablehnt, ist die von K. gewählte Beschränkung auf katholische weibliche Jugendliche, auch im Hinblick auf ähnlich angelegte Anschlussprojekte, sinnvoll. K. versucht auf der Basis biographischer Interviews den Zusammenhang zwischen Lebens- und Glaubensgeschichte, die Charakteristika von Religiosität, dem Einfluss von Elterhaus bzw. Kirche auf die religiöse Identität zu ergründen und zu schon vorhandenen Ergebnissen in Beziehung zu setzen. Ihre These ist, dass »sich gender auch in der Dimension gelebter Religiosität ausprägt«.

Der erste, fast 100 Seiten umfassende Teil widmet sich der Begründung der Methodenwahl, eine für solche Arbeiten typischer Umfang, der anzeigt, dass es trotz des Stellenwerts der qualitativen empirischen Forschung für die praktische Theologie noch keinen allgemein anerkannten Methodenkanon gibt. Geschlecht bzw. Geschlechtsidentität werden, in Übereinstimmung mit der entsprechenden sozialwissenschaftlichen Forschung, nicht als statische Größen verstanden, sondern als »doing gender«, als Prozess, obwohl sie maßgeblich auch »Kontinuität und Kohärenz gewährleisten« (45). Geschlecht und Identität werden im Lebenslauf immer wieder neu interaktiv hergestellt und angepasst. Methodisch bezieht sich K. auf die »grounded theory« von Glaser/Strauss, ein Verfahren der Theoriebildung auf empirischer Grundlage (56 f.), ebenso auf die in der Theologie schon länger verwurzelte Biographieforschung. Als forschungspraktisches Verfahren bietet sich das narrative Interview an. Hier treten »narrative Identität« und die Biographisierung, d. h. der Konstruktionsprozess des Lebenslaufs am deutlichsten hervor. Die Auswertung verläuft nach der »Narrationsanalyse biographischer Selbstpräsentation« nach Rosenthal/Fischer-Rosenthal und nach dem Konzept der »Rekonstruktion narrativer Identität« von Lucuis-Hoene/Deppermann. (75 ff.)

Grundlage der Arbeit sind 24 Interviews mit katholischen jungen Frauen im Alter zwischen 16 und 24 Jahren, fünf davon wurden einer sprachlichen Feinanalyse unterzogen und sind in Auszügen hier dargestellt.

Zu den Ergebnissen: Im Vergleich zu anderen Jugendstudien werden zentrale Themen wie Liebe/Sexualität, aber auch Freundschaften nicht näher ausgeführt. Offensichtlich wird die religiöse Lebensgeschichte »als ein Thema empfunden Š, das mit dem Lebensalltag als Jugendliche wenig zu tun hat« (350). Allerdings zeigen sich bei der Betrachtung des Zusammenhangs von Lebensgeschichte und der Entwicklung des Gottesbildes wieder Berührungspunkte, denn es entwickelt sich an Knotenpunkten des Lebens weiter (auch im Sinne einer zeitweiligen Negation), z. B. nach einem Umzug, nach einer traumatischen Erfahrung, bei der ersten Erfahrung des anonymen Alleinwohnens und der ersten ernsthaften Beziehung zu einem religiös nicht interessierten Freund. Die ist umso erstaunlicher als die interviewten jungen Frauen eine katholische Normalbiographie mit Erstkommunion und Firmung (in einem Fall mit bewusster Entscheidung gegen die Firmung) aufweisen, in drei Fällen mit einer langjährigen aktiven Rolle in der Ministrantinnenarbeit, und sich die Interviewten als religiös interessierte und zu differenziertem religiösem Urteil fähige Personen präsentieren. Obwohl institutionalisierte Strukturen in Kirche und Schule für die jungen Frauen Anlässe für die Beschäftigung mit religiösen Fragen waren, präsentieren sie ihre religiöse Identität als innere Beheimatung in kritischer Abgrenzung zu institutionellen, vor allem kirchlichen Strukturen. Dabei ist diese Kritik nicht inhaltlich fokussiert, sondern bezieht sich auf Atmosphäre und Ästhetik von Gottesdiensten sowie die Qualität der Kommunikation innerhalb von Kirche und Schule. In diesem Sinne werden besonders kommunikative Pfarrer, etwas weniger auch Religionslehrpersonen positiv hervorgehoben.

Die Rolle der religiösen Erziehung in der Familie, insbesondere die Bedeutung der Mütter bleibt sehr blass; dies, obwohl mehrfach erwähnt wird, die Mütter hätten sich als Katechetinnen bei der Erstkommunionvorbereitung zur Verfügung gestellt. Eine interessante Beobachtung, wenn auch ohne statistische Bedeutung, ist, dass in drei Fällen der Vater als die religiös profiliertere Person wahrgenommen wurde. »Da die Mütter der Befragten weitgehend für die Erziehung zuständig waren, ist es möglich, dass die religiöse Erziehung durch die Mutter nicht eigens wahrgenommen und folglich nicht erzählwürdig erscheint.« (365)

Zur Kategorie Geschlecht äußern sich alle Befragten erst auf Nachfrage. Man möchte »kein typisches Mädchen« sein und beklagt die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in einem Jugendlager, sowie nach längerem Nachdenken, die Abwesenheit von Frauen »am Altar« im Sinne einer priesterlichen Funktion. Geschlechterdifferentes Verhalten in der Kirche wird erlebt, es wird ihm aber eine persönliche Relevanz abgesprochen. Die Mädchen haben die Erfahrung gemacht, dass sie ohne weiteres Ministrantinnen werden und in diesem Zusammenhang auch Leitungsaufgaben übernehmen können. Ein kirchlicher Beruf ist für keine der Interviewten eine Perspektive. Nicht das Frauenbild der Kirche wird kritisiert, sondern der Zölibat, kirchlicher Formalismus, Hierarchie und Fragen der Sexualethik. Für ihre eigene Lebensplanung ist die weitere Ausbildung und Berufsfindung von Bedeutung und die Perspektive der Familiengründung. K. wagt die Hypothese, dass erst ein »entsprechender Erfahrungshintergrund zur Wahrnehmung von Diskriminierungen notwendig ist« (379).

Die Interviewsituation hat offensichtlich dazu geführt, dass sich die jungen Frauen »als Expertin ihrer Lebensgeschichte und als ernst zu nehmende Person zeigen«. Sie praktizieren selbstverständlich Subjektsein, indem sie Erwartungen und Ansprüche an religiöse Angebote klar formulieren und solche die ihnen nicht zusagen, argumentativ kritisieren. Sie zeigen sich also keineswegs als religiös Verunsicherte. Gleichzeitig präsentieren sie sich als religiös Fragende und für Neues offene Menschen.

Das methodische Vorgehen von K. ist exemplarisch zu nennen. Allerdings zeigen sich auch strukturelle Grenzen der Methode. Die Tiefenanalyse der Interviews läuft Gefahr, in den vielen Einzelheiten die große Linie zu verlieren. Die Interpretation gewisser kleiner Segmente lässt auch Alternativen zu ­ teilweise werden sie genannt, aber nicht gewichtet. Durch die offene Interviewstruktur werden einzelne Punkte thematisch vertieft, nicht aber Informationen ge zielt nachgefragt. Die Person der Forscherin, das, was vielleicht mit eigenen Erfahrungen korreliert wie auch das, was fremd erscheint, bestimmen in entscheidendem Maße das Nachfragen und die Interpretation. Die fehlende systematische Reflexion der interviewenden und interpretierenden Person scheint eine Schwäche der Methode zu sein.

Wie alle guten biographisch orientierten Arbeiten werden Einsichten vermittelt, die nicht eigens als Erkenntnisinteresse ausgewiesen sind, nämlich wie bereichernd, intellektuell anregend und kreativ Gespräche mit Menschen sind, wenn man sie in ihrer Kompetenz ernst nimmt. Das überaus flüssig geschriebene und gut lesbare Buch von K. gehört zur Pflichtlektüre aller, die sich mit Jugendlichen befassen.