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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

224-226

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Schwarz, Stephan:

Titel/Untertitel:

Strukturen von Öffentlichkeit im Handeln der katholischen Kirche. Eine begriffliche, rechtshistorische und kirchenrechtliche Untersuchung.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2004. 382 S. gr.8° = Kirchen- und Staatskirchenrecht, 3. ISBN 3-506-71801-0.

Rezensent:

Irina M. Kreusch

Stephan Schwarz hat sich die Aufgabe gestellt, die Bedeutung von »Öffentlichkeit« im kanonischen Recht zu untersuchen und dies vor begrifflichem, historischem und theologischem Hintergrund. Dieses Unterfangen ist ihm eindeutig gelungen. Der klar strukturierte Aufbau und wertvolle Lesehilfen wie (Zwischen-)Resümees machen die Arbeit zu einem fachlich informativen Werk und einer gut leserlichen Lektüre zugleich.

Das Thema macht neugierig: Öffentlichkeit als ein Schlagwort, das heute nicht nur alle Lebensbereiche tangiert, sondern in Manier eines Zauberwortes diese zu beherrschen scheint, soll systematisch-theologisch betrachtet und eingeordnet werden. Auf 382 Seiten und in vier Großkapiteln geht der Vf. seine Zielvorgabe an: Es soll »eine theologisch fundierte und rechtlich differenzierte Struktur des kirchlichen Handelns im binnenkirchlichen Raum wie auch gegenüber Gesellschaft und Staat entworfen werden«. Zu berücksichtigen sei, »welche Aspekte von Öffentlichkeit jeweils relevant werden und welche Konsequenzen dies für das öffentliche Wirken der Kirche zeitigt« (24).

Die Einleitung (19­28) bietet detailliert einen sehr guten Überblick zum Gesamtwerk, das die Leser zu folgenden Fragen mit auf den Weg nimmt: Welche wissenschaftlichen Begriffe von Öffentlichkeit erscheinen relevant? Welche Genese liegt dem Begriff rechtlich und kanonistisch zu Grunde? Welche Ekklesiologie verbirgt sich dahinter? Welche Aussagen macht das Gesetzbuch der katholischen Kirche im lateinischen Ritus, der Codex Iuris Canonici von 1983 (CIC/1983)? Welche theologischen und theologisch-rechtlichen Werke beschäftigen sich aktuell mit Aspekten oder Teilaspekten des Themas? Der eigens erläuterte »unbestreitbare Reiz des Begriffes Öffentlichkeit« (vgl. 20) ermuntert, sich gerne näher mit der Fragestellung auseinanderzusetzen.

Kapitel I, »Die Verwendung des Begriffs Öffentlichkeit in verschiedenen Kontexten« (29­87), bietet dazu unterschiedliche Deutungen an: einer ausgewählten kurzen Begriffsgeschichte, die mit etymologischen Aspekten aufwartet, folgt das Verständnis von »Öffentlichkeit« in Philosophie, Soziologie, Kommunikationswissenschaften und Pädagogik. Der Vf. lässt diverse Theorien zu Wort kommen und versucht u. a. mit Jürgen Habermas und Niklas Luhmann die gesellschaftliche Relevanz von »Öffentlichkeit« zu untermauern. Der rechtswissenschaftliche Teil bietet einen etwas ausschweifend wirkenden Überblick zum Wortvorkommen von »öffentlich« in der zivilen Gesetzgebung an, während der dagegen eher kurze, theologische Ausflug eine Auswahl an Thesen darlegt, bei der die »Theologie der Welt« von Johann B. Metz als hilfreich dargestellt wird.

Kapitel II zur »historischen Genese des öffentlichen Wirkens der Kirche im Kontext einer fortschreitenden Differenzierung von Kirche und Staat« (89­154) erläutert rechtswissenschaftliche Kate go rien: »publicus« und »privatus« im römischen Recht und darauf aufbauende Prinzipien in der deutschen Rechtsordnung sind ebenso Gegenstand wie ein überblicksartiger Gang durch die Geschichte von Kirche und Staat in Spätantike, Mittelalter und Neuzeit. Detailliert wird damit die Geschichte des Ius Publicum Ecclesiasticum als vorkodikarische Doktrin dargestellt. Lehren zur Societas perfecta sowie zum inneren und äußeren Handeln der Kirche werden nicht nur kurz und verständlich wiedergegeben, sondern zugleich kritisch in ihrem zeitlichen Kontext betrachtet. Die Analyse des CIC/1917 baut auf diesen Erkenntnissen auf. Als Beispiel öffentlichen Handelns katholischer Laien mit Beauftragung durch die kirchliche Hierarchie und zugleich in Abgrenzung zu katholischen Vereinen wird der »Katholischen Aktion« eine besondere Rolle zugesprochen.

Mit Kapitel III zur »sendungstheologischen Grundlegung des öffentlichen Handelns und des Öffentlichkeitsauftrags der Kirche in den Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils« (155­203) wird der Textbestand untersucht. Ein Hauptergebnis der Arbeit ist hier zu finden: Die katholische Kirche hat einen Öffentlichkeitsauftrag. Diesen unterscheidet der Vf. auf mehreren Ebenen, einerseits unterschieden im Handeln von Laien und Klerikern, andererseits in diversen Verbindlichkeitsgraden kirchlicher Beauftragung. Die missionarische Struktur von Kirche gilt dem Vf. als Öffentlichkeitsauftrag, »das Evangelium ­ immer wieder neu beleuchtet und aktualisiert durch die Gegebenheiten von Zeit und Ort ­ in jede Gesellschaft und Kultur zu tragen und dort zur Sprache zu bringen« (vgl. 175). Dieser Auftrag ist kein konziliar grundgelegter, sondern wird aus der konziliaren Ekklesiologie, genauer gesagt aus dem universalen Heilsauftrag der Kirche, abgeleitet. Die darauf aufbauenden ekklesiologischen Thesen sind zwar nicht neu, allerdings mit einer ungewohnten Perspektive konfrontiert, indem sie auf den Öffentlichkeitsbegriff angewandt werden.

Als kanonistische Arbeit ist mit Kapitel IV zum »öffentlichen Handeln der Kirche in den Bestimmungen des Codex Iuris Canonici von 1983« (205­337) das Herzstück der Untersuchung zu erwarten. Der notwendig ausführlichen Begriffsuntersuchung im CIC/1983 folgt der Vergleich zum konziliaren Textergebnis. Der Kodex spricht, so das Ergebnis im doppelten Sinn, sowohl von »staatlich ... [auch] im Sinne von freier Zugänglichkeit und Publizität« als auch von einem gewissen »sozial-politisch begründeten Öffentlichkeitsauftrag der Kirche«. Vorrangig geht es allerdings um das »offizielle Handeln der Kirche« und dies vor allem in binnenkirchlicher Perspektive (vgl. 338). Mit Blick auf Verfassungs- und Vereinsrecht stellt der Vf. das öffentliche Handeln von Papst, Bischofskollegium sowie Bischofskonferenz und teilkirchlicher Ebene (am Beispiel Diözesanbischof, Pfarrer, Diakon) heraus. Das öffentliche Handeln der Laien wird auf ihr Wirken in kanonischen Vereinen beschränkt. Die jeweilige Teilhabe der Kirchenglieder als öffentliches Handeln in Verkündigungs-, Heiligungs- und Leitungsdienst wird durch die zuvor gestellten Ebenen (Laien, Kleriker, Grad der Beauftragung mit und ohne Weihe) einzeln ausgelegt.

Die Zusammenfassung bietet eine knappe und gelungene Ergebnissammlung der untersuchten Fragestellung. Ein Entwurf, vor allem gegenüber Staat und Gesellschaft, ist zwar explizit nicht herauszulesen, dafür aber die Empfehlung, den vielschichtigen Öffentlichkeitsbegriff für ekklesiale Verfassungsfragen fruchtbar zu machen. Der Vf. hat damit »Öffentlichkeit« als theologisch-rechtliches Schnittfeld im interdisziplinären Gespräch entdeckt. Inwieweit der dargestellte Öffentlichkeitsbegriff, besonders mit der Darstellung des eher beschränkten Handelns der Laien, im untersuchten Feld, nämlich der Öffentlichkeit selbst ­ vor allem der gesellschaftlich-politischen Öffentlichkeit ­ verstanden und rezipiert werden kann, wird zu beobachten bleiben.