Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

212-214

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kohler, Eike:

Titel/Untertitel:

Mit Absicht rhetorisch. Seelsorge in der Gemeinschaft der Kirche

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. 320 S. m. 5 Abb. u. 2 Tab. gr.8° = Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie, 47. Kart. EUR 57,90. ISBN 3-525-62389-5.

Rezensent:

Birgit Weyel

Anregend ist es, die Spezialisierungen der praktisch-theologischen Teildisziplinen so zu unterbrechen, dass man Homiletik, Religionspädagogik, Poimenik und Pastoraltheologie in ein Gespräch bringt. Die Arbeit von K. unternimmt den Versuch, die Rhetorik für die Seelsorgelehre fruchtbar zu machen, indem das seelsorgerliche Gespräch wie die Predigt auch als absichtsvoll gestaltete Rede mit den Regeln der rhetorischen Kunst in den Blick genommen wird. K. versteht seine Dissertation als konsequente Weiterführung der Arbeit seines Lehrers Eberhard Hauschildt (Alltagsseelsorge, 1994), der Gespräche anlässlich von Geburtstagsbesuchen des Pfarrers/der Pfarrerin mit linguistischen Methoden analysiert hatte, um so gerade die spezifischen Merkmale von Alltagskommunikation hervorzuheben und zu zeigen, dass alltägliche Gespräche keineswegs den gängigen Vorurteilen des Smalltalks entsprechen, sondern durchaus eine tiefere Bedeutung gewinnen können.

Indem K. die Rhetorik als methodischen Ansatz verwendet, will er zu einer neuen Grundlegung der Seelsorge voranschreiten, »in der nicht nur de facto, sondern mit Absicht rhetorisch kommuniziert wird, d. h. mit bewusstem und reflektiertem Einsatz rhetorischer Mittel« (11). Die Absicht ist allerdings keine je und je situativ neu zu bestimmende, sondern Seelsorge zielt prinzipiell auf Gemeinschaft. In dieser Bestimmung zeigt sich ein durchaus klassisches Verständnis von Seelsorge, wie es prominent von F. Schleiermacher vertreten wurde.

In einem ersten Teil (Die Gemeinschaft als Kontext der Seelsorge, 23­80) wird der Gemeinschaftsbegriff entwickelt. Im Anschluss an Christoph Schwöbel, Reiner Preul und Udo Tietz (Die Grenzen des Wir. Eine Theorie der Gemeinschaft, 2002) werden dogmatische, kirchentheoretische und soziologische Perspektiven zu einem Verständnis von Gemeinschaft miteinander verknüpft, die diese als Personengruppe definiert, die ein Selbstverständnis als Wir-Gruppe entwickelt und in direktem kommunikativen Kontakt steht. Ihre theologische Bestimmung gewinnt sie aus dem zeichenhaften Bezug auf das eschatologisch verheißene Heil. Aufgabe der Seelsorge ist es, »im Gespräch über das, was in der Gemeinschaft als gelingendes Leben gilt oder gelten soll, Übereinstimmung zu erzielen« (77). Nicht nur das Gespräch mit dem Pfarrer/der Pfarrerin, sondern auch »der Dialog zwischen beliebigen Gemeindegliedern« (ebd.) kann somit als gemeinschaftsbildend verstanden werden, wenn er diese Funktion erfüllt.

Der zweite Teil (Rhetorik als gemeinschaftsorientierte Kommunikationstheorie, 81­135) definiert Rhetorik wesentlich als »Technik zur Herstellung gemeinschaftlicher Gewissheit« (107). Ein breites Spektrum an Ansätzen von Gert Otto, der die Rhetorik ja bereits als Reflexionsperspektive der gesamten Praktischen Theologie exponiert hat, über Thomas Erne, der im Anschluss an Blumenberg auf »das Rhetorische« als Verflüssigung erstarrter Sprachmuster im Seelsorgegespräch hingewiesen hat, die semiotische Zeichentheorie von Charles S. Peirce bis zu psychoanalytischen Symboltheorien z. B. Winnicotts wird aufgefächert. Die Darstellung der sehr heterogenen Ansätze stellt sich allerdings eher als ein referierendes Nacheinander dar, ohne dass eine systematische Verbindung erkennbar würde.

Das dritte und umfangreichste Kapitel zum Thema »Rhetorische Theorie für die Seelsorge« (136­238) stellt eine Rhetorik im engen Anschluss an die Tübinger Rhetoriker Ueding/Steinbrink und die Produktionsstadien einer Rede von der inventio bis zur actio dar und gewinnt daraus Perspektiven und konkrete Hinweise für das ab sichtsvoll auf gemeinschaftsbildende Übereinstimmung zielende Seelsorgegespräch. Ein deutlicher Schwerpunkt liegt auf der Entfaltung einer Topik, die sich durch den reflektierten Einsatz von Argumentationstechniken und einen sinnvollen dramaturgischen Ge sprächsaufbau auszeichnet. Die Spannung zwischen der Gattung der gestalteten Rede und dem von dieser deutlich unterschiedenen Format des seelsorgerlichen Gesprächs mit seinen überraschenden situativen Settings und deutlich kürzeren Redeeinheiten soll durch eine »praktisch-theologische Kasuistik« (238, hervorgehoben) ausgeglichen werden. Häufig wiederkehrende Anfragen und Themen wie Theodizee, Vorstellungen zum Leben nach dem Tod, Kirchenkritik könnten demnach argumentativ vorbereitet und dann der Gesprächssituation entsprechend adressiert werden. »Für diese Fragen sollten Antworten nicht erst im laufenden Gespräch neu entwickelt werden, sondern vom Seelsorger bereits in der Vorbereitung auf seine Tätigkeit gefunden und für die Gesprächssituation vorbereitet werden.« (204)

In einem abschließenden vierten Teil (239­296) werden die theoretischen Aspekte illustriert. Als Probe auf das Exempel werden drei sehr unterschiedliche Beispiele aus der Literatur herangezogen und im Sinne der eigenen Grundlegung »rhetorisch« analysiert: ein Geburtstagsbesuch von E. Hauschildt (1994), ein Traugespräch von H.-Ch. Piper (2. Aufl. 1988) und ein Eheberatungsgespräch von E. Thurneysen (1968). Dieser exemplarische Teil zielt darauf, eine poimenische Kasuistik stark zu machen, die sich teils ergänzend, teils kritisch zum therapeutischen Paradigma der Seelsorgebewegung verhält. Es gehe darum, »in einer Situation pluraler und konfligierender Interessen Š eine Lösung zu finden, mittels derer die ratsuchende Person sich nicht aus der Gemeinschaft ausschließt und zugleich nicht in die Lage kommt, die eigene Identität Š verleugnen zu müssen«. Aufgabe einer rhetorisch grundgelegten gemeinschaftsorientierten Seelsorge sei es, dabei zu »helfen, eine solche Entscheidung durch das gedankliche Durchspielen der verschiedenen Modelle auf ihre Akzeptabilität zu überprüfen« und situativ anzupassen (295). Eine materiale Ausarbeitung der Kasuistik will K. selbst nicht bieten. Ihm geht es im Sinne einer poimenischen Grundlegung vielmehr um eine mittels der Rhetorik zu gewinnende »Horizontverschiebung in der Frage nach dem Status der Personen« (299). Sie sollen nun nicht mehr als autonome, sondern als im mer schon als in eine Gemeinschaft eingebundene Individuen verstanden werden.

Diese enge Verbindung von Rhetorik und ekklesiologischem Ge meinschaftsgedanken, die K. unternimmt, ist m. E. nicht überzeugend. Zielt Rhetorik tatsächlich auf Übereinstimmung, nicht vielmehr auf Verständigung und Überzeugung? Reicht es tatsächlich aus, wenn eine Übereinstimmung zwischen Seelsorger/Seelsorgerin als Repräsentant von Kirche und Ratsuchendem erreicht ist, um von Gemeinschaft im Sinne der communio sanctorum zu sprechen? Wenig einleuchtend ist auch, dass einerseits der Anspruch erhoben wird, verschiedene Ansätze zu integrieren, andererseits aber diese über weite Passagen hinweg nur nacheinander referiert werden. Um tatsächlich ein »einheitliches Paradigma« (301) plausibilisieren zu können, bedürfte es einer stärkeren systematischen Integration, die auch die Differenzen von Seelsorgegespräch und öffentlicher Rede mitreflektiert.