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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

208-209

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Böhm, Thomas H.:

Titel/Untertitel:

Religion durch Medien ­ Kirche in den Medien und die »Medienreligion«. Eine problemorientierte Analyse und Leitlinien einer theologischen Hermeneutik.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2005. 343 S. gr.8° = Praktische Theologie heute, 76. Kart. EUR 30,00. ISBN 3-17-018995-6.

Rezensent:

Lutz Friedrichs

Das Buch basiert auf der Dissertation, die Thomas H. Böhm an der Katholisch-Theologischen Fakultät Innsbruck 2003 abgeschlossen hat. Ihr Schwerpunkt ist die Entwicklung einer Kriteriologie für den theologischen Umgang mit Medienreligion. Das Werk setzt in der katholischen Debatte, die Fragen der Medienreligion bisher kaum aufgegriffen hat, einen deutlichen Akzent.

Es ist in vier Kapitel gegliedert. Nach einer Einleitung wird in Kapitel 1: »Medien im Dienst der konkreten Religion ­ Lehramtliche Vorgaben und konkrete Umsetzungen« (19­142) zunächst eine Rekonstruktion der offiziellen katholischen Medientheologie vorgenommen. Mit dem römisch-katholischen Dokument »Communio et Progressio« (1971) macht B. einen inkarnatorisch-christologischen Ansatz stark. Gegenüber Tendenzen, Medien theologisch nur funktional oder zu optimistisch zu sehen, gelte es, die »erlösende und transformierende ðLeistungÐ des christlichen Erlösungsgeschehens Š neu, konsequenter und radikaler durchzubuchstabieren« (49).

Sodann folgt eine Bestandsaufnahme des kirchlichen Medienengagements. B. hat nicht den Anspruch, einen eigenen empirischen Forschungsbeitrag zu leisten, sondern Phänomene zusammenzustellen, an denen grundsätzliche Anfragen deutlich werden. Seine Auswahl fällt auf das Medium Fernsehen, dort auf die Übertragung von Eucharistiefeiern und »Pfarrer- und Nonnenserien«. Instruktiv ist das Fallbeispiel der umstrittenen, von der Kirche mitfinanzierten Serie »Schwarz greift ein«. Tritt Kirche hier nicht in eine »Unterhaltungsfalle«? B.s Anliegen ist, zu differenzieren, und das bedeutet: »freilegen und interpretieren« (141): Der Erfolg der Serie basiere zwar nicht unwesentlich auf Klischees von Kirche. Dennoch müsse sie damit nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden, allenfalls ihre kirchliche Finanzierung. B. bleibt bei seiner Bestandsaufnahme im Hintergrund, ja droht, hinter den vielen Zitaten geradezu zu verschwinden ­ allein Kapitel 1 weist 631 Anmerkungen auf.

Auch Kapitel 2: »Religion ðaußerhalbÐ der Religion: Das Medienreligiöse und seine Formen« (143­222) ist Bestandsaufnahme. Drei Dimensionen des Medienreligiösen werden gesichtet: 1. Traditionelle religiöse Bilder und Inszenierungen in der Werbung; 2. Diana, Princess of Wales ­ die »Königin der Herzen«; und 3. Die mediale Vergewisserung des Alltags. Voraus gehen eine Darstellung der »aktu ellen ðreligionsanfälligenÐ Situation« (143) und eine Klärung der grundlegenden Begriffe. B. arbeitet unter Aufnahme des Ansatzes von Franz-Xaver Kaufmann mit einem »deskriptiv-funktionalen Religionsbegriff« (143). Die Begriffe »Medien« und »Medienreligion« werden nur gestreift (167­169).

Die Sichtung der medienreligiösen Phänomene ist aufschlussreich und zeigt deutlich das Anliegen, sie in ihrem Eigenstand theo logisch ernst zu nehmen. Für B. ist Medienreligion Ausdruck einer stabilisierenden Religion der Sehnsucht und Sinnstiftung, deren theologische Relevanz in ihrer »Transformationsoffenheit« (287) bestehe: »Das Medienreligiöse macht die Welt durchlässig auf ðTranszendenzÐ hin.« (222) Die Auswahl der Beispiele soll die ganze »Bandbreite der Phänomene« (170) abdecken. Nicht überzeugend ist, dass B. bei der Zusammenfassung der »Charakteristika« der Medienreligion ­ etwa ihre Machbarkeitsutopie ­ auf Phänomene der »Religion des Internet« hinweist, ohne diese zuvor thematisiert zu haben.

Kapitel 3: »Theonomie und Offenbarung ­ Systematische Reflexionen über die ðwahre ReligionЫ (223­298) entwickelt die theologische Kriteriologie einer Medienreligion unter Aufnahme des kulturtheologischen Ansatzes von Paul Tillich und der »mimetischen Theorie« René Girards. So entsteht ein spannungsreiches, protestantisch-ka tholisches Theoriemodell kulturtheologischer Medienkritik. Auf der einen Seite wird mit Tillich Medienreligion theologisch als Verweis auf die »Offenbarung des schöpferischen und sich inkarnierenden Gottes« (285) verstanden. Auf der anderen Seite wird der »tendenziell zu offene Kulturbegriff« (289) kritisiert und mit Girard eine »eindeutige Kriteriologie, die das inhaltliche Spezifikum des Christlichen präzise festhält« (289, Anm. 536), gesucht. ­ Jenseits der Frage, ob die Kritik an Tillich berechtigt ist, erhält der Ansatz B.s so sein klares Profil von einer »wissenschaftlichen Fassung der Erbsündenlehre« (Peter Sloterdijk) her: An die Stelle eines Einmütigkeit stiftenden, seine Gewaltmechanismen verschleiernden Mythos des versöhnenden Opfers tritt eine »neue, positive Mimesis« (270), die den Teufelskreis der Gewalt mit Liebe unterbricht.

In Kapitel 4: »Inkulturiertes Medienengagement ­ Ekklesiologisch-praktische Ableitungen und Konsequenzen« (299­324) wird die Kriteriologie auf die medienreligiösen Phänomene bezogen. Hinsichtlich der lehramtlichen Aussagen wird eine kritische und selbstkritische Haltung eingefordert, weil auch die Kirche nicht vor den ­ Tillich würde sagen »dämonischen« ­ Gesetzen eines mimetischen »Neidkraftwerks« (Sloterdijk) gefeit ist. Hinsichtlich der kirchlichen Medienpräsenz gilt es zu fragen, wie Kirche »das Medium selbst ðvermenschlichenÐ kann« (316). Und hinsichtlich der Medienreligion gilt es, sie als Ausdruck von Sehnsucht und Sinnsuche ernst zu nehmen, aber »Kurzschlüsse« aufzudecken, etwa in einer kritischen Analyse ihrer marginalisierenden, Benachteiligte und Arme an den Rand drängenden Strukturgesetze.

B. gibt mit seinem Buch Antwort auf die Frage, worin der spezifische Beitrag des Christlichen zur Medienreligion heute liegen kann. Theologische Kritik ist dabei auch Selbstkritik der Kirche, etwa in Form einer Kritik am päpstlichen »Starkult« (319). Sein konzeptioneller Ansatz ist mehr Zusammenschau verschiedener Theorieansätze als diskursives Entfalten einer These oder von Schlüsselbegriffen wie »Medien«, »Religion« oder »Mythos«. Darin sehe ich die Grenze des Buchs. Insgesamt aber halte ich es für einen instruktiven medien theo logischen Diskussionsbeitrag. B. favorisiert ein »existenzielles« Medienverständnis, das in der »Durchbrechung der mimetischen Spirale« (270) eine wesentliche theologische Aufgabe formuliert. Mit Recht wird damit der Blick auf die Frage gelenkt, wie gewalttätige Strukturen medialer Kommunikation konstruktiv transformiert werden können. Die mediale Ratlosigkeit im Umgang mit kollektiven Krisen zeigt exemplarisch die wunden Punkte unserer Gesellschaft: Statt Ohnmacht auszuhalten, wird diese mit raschen Erklärungen »verschleiert«. Sich damit nicht zufrieden zu geben, ist eine wesentliche Aufgabe von Theologie und Kirche.