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Ausgabe:

Februar/2007

Spalte:

198-199

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Tillich, Paul:

Titel/Untertitel:

Dogmatik-Vorlesung (Dresden 1925­1927).

Verlag:

Hrsg. u. m. einer historischen Einleitung versehen v. W. Schüßler u. E. Sturm. Berlin-New York: de Gruyter/Evangelisches Verlagswerk 2005. XLIV, 456 S. 8° = Ergänzungs- und Nachlaßbände zu den Gesammelten Werken, XIV. Lw. EUR 168,00. ISBN 3-11-018353-6.

Rezensent:

Hermann Fischer

Die jetzt als Bd. 14 im Rahmen der Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken Paul Tillichs erschienene Dresdner Dogmatik-Vorlesung T.s stellt eine Neufassung der 1986 von W. Schüßler unter dem Titel »Dogmatik. Marburger Vorlesung von 1925« verantworteten Edition dar. Die Herausgeber haben sich zur Titeländerung entschlossen, weil T. nur etwa ein Drittel des vorhandenen Vorlesungsmanuskripts in seinem letzten Marburger (Sommer-)Semester vorgetragen hat, den ganzen Text in drei Semestern vom Wintersemester 1925/26 bis zum Wintersemester 1926/27 aber erst an der Technischen Hochschule Dresden. Die Edition von 1986 wies einige Mängel auf. Deshalb ist es jetzt zu einer Neuedition gekommen, dieses Mal herausgegeben von W. Schüßler und E. Sturm, der schon mehrere Bände in der Reihe der Ergänzungs- und Nachlassbände editorisch betreut hat.

Die Neuausgabe ist im Textbestand des Vorlesungsmanuskripts nahezu identisch mit der alten Ausgabe, die ich seinerzeit ausführlich in der ThLZ vorgestellt habe (ThLZ 112 [1987], 838­841). Deshalb genügt jetzt der Hinweis auf diese Besprechung. Von der alten Edition unterscheidet sich die neue zunächst durch die Beseitigung von Entzifferungs- und Druckfehlern. Dabei sind die in der damaligen Rezension angesprochenen Errata und Desiderata fast vollständig berücksichtigt worden. Durch den Vergleich mit Vorlesungsnachschriften konnten sodann die §§ 28 und 29 sowie die §§ 41 und 42 wieder in ihre ursprüngliche Reihenfolge gebracht werden. Nach der gehaltenen Vorlesung hat T. an den diktierten Lehrsätzen der §§ 14 bis 19 Änderungen vorgenommen, die Schüßler in seiner Edition an Stelle des ursprünglichen Textes geboten hatte. In der neuen Ausgabe ist der auch durch die Vorlesungsnachschriften belegte ursprüngliche Wortlaut wiederhergestellt, die Änderungen werden im Apparat mitgeteilt. Des Weiteren sind einige wenige Abschnitte, die in der alten Ausgabe fehlen, eingefügt worden, so zu Beginn des »Ersten Teils« und vor § 26. Wie die Herausgeber in der instruktiven »Historischen Einleitung« (XXI­XLIV) mitteilen, plante T. die Veröffentlichung seiner Dogmatik in zwei Bänden, zunächst unter dem Titel »Die Wissenschaft vom religiösen Symbol«. Wenig später lautete der Titel »Das System der religiösen Erkenntnis«, unter dem T. im Wintersemester 1927/28 an der Technischen Hochschule Dresden und als Honorarprofessor an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig eine Vorlesung hielt. Beide Projekte haben sich zerschlagen. In einem Verlagsprospekt von 1930 soll T.s Dogmatik nun in zwei Bänden unter dem Titel »Die Gestalt der religiösen Erkenntnis (Dogmatik)« erscheinen. 1931 wird die Veröffentlichung für 1932 in Aussicht gestellt. Auch dazu ist es nicht gekommen. Zu dem geplanten Werk existiert aber eine ausführliche Gliederung mit dazu gehörenden 170 Lehrsätzen. Dieser Text wird im vorliegenden Band als Beilage 1 publiziert (395­431). Beilage 2 bietet auf wenigen Seiten die anfängliche Ausarbeitung ( 435­440), die T. dann aber zu Gunsten der Arbeit an seinem Buch »Die sozialistische Entscheidung« nicht weitergeführt hat. Eigentümlicherweise bricht der neue Entwurf mit § 170 (bzw. 171) genau an der Stelle ab, an der schon das Dogmatik-Manuskript endet, im II. Teil, in der Christologie (Von der Erlösung. Theologische Geschichtserkenntnis).

Ein Vergleich mit der Dogmatik-Vorlesung zeigt, dass T. den I. Teil des Entwurfs (§§ 1­86: Grundlegung) völlig neu konzipiert hat. Entfaltete er dort »Das Wesen der Dogmatik«, aufgeschlüsselt nach Begriff, Gegenstand, Normen, Form, Aufbau und Zweck, so entwickelt er in der neuen Einleitung eine religiöse Erkenntnislehre. Für die in den Lehrsätzen skizzierte materiale Dogmatik (§§ 87­170: Aufbau) bleibt die alte Dreigliederung erhalten, aber in den Überschriften der drei Hauptteile wird der Begriff »vollkommene Offenbarung« ersetzt durch die neue Formel »vollkommene Erscheinung des Seins-Jenseits«, ohne dass T. den Offenbarungsbegriff preisgibt (vgl. §§ 30­41). Der Terminus »Dogmatik« für die Entfaltung der christlichen Lehre erscheint T. inzwischen aber ebenso untauglich wie der der »Glaubenslehre«. Betont der eine zu sehr den objektiven Aspekt, so der andere den subjektiven. »Der Name ðGestalt der religiösen ErkenntnisÐ ist ein Versuch, die Sache symbolkräftig für unsere Lage zum Ausdruck zu bringen« (§ 14).

Die 170 Paragraphen der neuen Konzeption stellen die letzte im engeren Sinne theologische Arbeit T.s vor seiner Emigration in die USA dar und bilden das Scharnierstück zwischen der Dresdner Dogmatik-Vorlesung und der späteren »Systematischen Theologie«. Eindrücklich belegt dies gleich zu Beginn § 1 des Entwurfs, der den Ort aufzeigt, »an dem religiöse Erkenntnis entspringt. Er führt zu einer ontologischen Betrachtung des menschlichen Seins bis zu dem Punkt, wo die Frage entsteht nach dem Jenseits des Seins und die Antwort auf diese Frage vernommen werden kann« (395; vgl. auch 439 f.). Damit ist das spätere Korrelationsmodell anvisiert. Auch die spätere Unterscheidung von originaler und abhängiger Offenbarung wird nicht der Terminologie, wohl aber der Sache nach formuliert (§ 64).

Den Herausgebern ist dafür zu danken, dass sie T.s Dogmatik-Vorlesung nun in einer zuverlässigen Textgestalt vorgelegt und mit den Beilagen Bausteine für eine Rekonstruktion der weiteren systematisch-theologischen Entwicklung T.s bereitgestellt haben.