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Ausgabe:

März/1998

Spalte:

261–263

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Augustin

Titel/Untertitel:

Contra Academicos (Vel de Academicis Bücher 2 und 3). Einleitung und Kommentar von Th. Fuhrer.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1997. X, 532 S. gr.8° = Patristische Texte und Studien, 46. ISBN 3-11-015204-5.

Rezensent:

Josef Lössl

Vorliegendes Buch ist der Ertrag mehrerer Jahre Forschungs- und Lehrtätigkeit F.s als Assistentin am Institut für Klassische Philologie an der Universität Bern, ergänzt durch einen Forschungsaufenthalt an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Eine frühere Fassung wurde der philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern im Wintersemester 1994/95 als Habilitationsschrift vorgelegt.

Seiner Form nach ein historisch-philologischer Kommentar mit philosophiegeschichtlichem Schwergewicht zu Augustins Frühdialog Contra Academicos vel De Academicis, Bücher 2 und 3, ist das Werk nicht nur für das philologische, sondern vor allem auch für das philosophische und theologische Studium jener Texte sowie ihrer Quellen und ihrer Wirkungsgeschichte als Arbeitsmittel zu empfehlen. Eines seiner überzeugendsten Merkmale ist seine Gründlichkeit. Sie beeindruckt besonders auf dem Gebiet der Textkritik. Zwei Tabellen im Anhang (483-486) listen für alle drei Bücher Druckfehler sowie für die Bücher 2 und 3 abweichende Lesarten in der bisherigen Standardedition von Green (CChr.SL 29, 3 bzw. 18-61) auf. Wo für nötig befunden, werden die Konjekturen an den entsprechenden Stellen im Kommentar einzeln diskutiert. Einen Gesamtüberblick zur Textlage bietet der Abschnitt zur Textüberlieferung im Einleitungsteil (49-51). Beachtenswert Fuhrers Fazit, eine Neuedition sei ein dringendes Desiderat (51). Zahllose Querverweise, aufgelistet in zwei Indices zu Bibelstellen sowie antiken und mittelalterlichen Autoren (503-532), helfen des weiteren beim Aufspüren literar- und ideengeschichtlicher Zusammenhänge. Sowohl im Einleitungsteil als auch zu den einzelnen Stellen wird zusätzlich eine große Menge an Sekundärliteratur zitiert und kritisch gesichtet. In das Literaturverzeichnis (487-501) aufgenommen findet sich davon jedoch nur eine Auswahl an Titeln. Ihren Entschluß, Buch 1 aus dem Kommentar herauszunehmen, stützt Fuhrer auf eine Reihe interner wie externer Gründe (V). Sie werden unter anderem im Einleitungsteil (1-54) diskutiert, zusammen mit den üblichen Einleitungsfragen wie Stellung der Schrift im augustinischen Gesamtwerk, Datierung, Adressat, Teilnehmer am Dialog, Ort und Szenerie, Historizität, Dialogform und Struktur, Titel, Thematik und Intention, akademisch-skeptischer und neuplatonischer Hintergrund, Quellen, Sprache, Stil und Argumentation, Textüberlieferung und Nachwirkung. Zwar bleibt es mit Blick auf die literarische Einheit von Contra Academicos wie auch aus quellenkundlicher Perspektive bedauerlich, daß das als Trilogie in Nachahmung von Ciceros Academica entworfene Werk (39) nicht auch als solche behandelt wird. Doch bildet, so Fuhrer, auch der hier kommentierte Text eine Einheit, ja er rundet die früheste Phase von Augustins schriftstellerischer Tätigkeit in Cassiciacum als ganzer sogar in einer Weise ab, die eine Einschränkung auf die Bücher 2 und 3 "nicht nur nahelegt, sondern nachgerade empfiehlt" (V).

Im Gegensatz zur (relativen) Überschaubarkeit der auf diese Weise für augustinische Verhältnisse erfreulich schmal gehaltenen Textbasis steht die Breite des zu berücksichtigenden philosophiegeschichtlichen Kontexts. Er erstreckt sich von der Entstehung skeptischer Positionen im Platonismus des dritten vorchristlichen Jahrhunderts über ihre Radikalisierung im Pyrrhonismus und Einbindung in die Dogmatik der späteren Akademie, Ciceros Vermittlerrolle, die Auseinandersetzung mit den skeptischen Thesen in der frühchristlichen und mittelalterlichen Theologie (31-33), bis hin zu ihrer Verwendung (unter Berufung auf Contra Academicos) für antipelagianische Argumente, ihrem Einfluß auf die Entwicklung apophatischer Theologien in Werken mittelalterlicher Mystiker und bei der Wiederbelebung skeptischer Bewegungen in Neuzeit und Gegenwart (51-54).

Angesichts dieser Vermittlerrolle von Contra Academicos scheint es nicht einfach, es auch als Original zu würdigen. Häufig werden seine begrifflichen und argumentativen Eigenheiten als Kontamination der Argumentationsformen der stoisch-akademischen "Originale" hingestellt. Zwar distanziert sich Fuhrer von solchen Vorgehensweisen. Sie kann sich jedoch selbst nicht ganz den Zwängen des Diskurses entziehen: Ist die "semantische Verschiebung" bei der Verwendung stoischer Termini (verba) in Verbindung mit platonischen Begriffen und Vorstellungen von Dingen (res) wirklich eine Eigenheit Augustins, wie die kurze Darstellung auf S. 48 glauben machen könnte? Findet sie sich nicht auch in anderen spätantiken Texten, darunter auch Quellen von Contra Academicos, christlichen wie nichtchristlichen, von Philo und Clemens von Alexandrien über Cicero und Laktanz bis hin zu Porphyrius? Sollte man hier nicht Ähnliches mit Ähnlichem vergleichen? Entsprechendes gilt für die Nachwirkung der Schrift. Daß an einer bestimmten Stelle Spuren des Cogito (311: scio me vivere ...) auftauchen, muß nicht heißen, daß Augustin das ganze Argument einführt. Augustin will die Skepsis nie völlig in Frage stellen. Als Kriterium gegen stoisch-materialistische Lehrelemente ist sie ihm immer willkommen (32, Anm. 96; 48; 137), in den Spätschriften sogar zur Verteidigung seiner kompatibilistischen Erkenntnis- und Freiheitslehre gegen die Pelagianer, aber auch in der Schöpfungs- und Trinitätslehre. Es kann an besagter Stelle (311, Anm. 15) also nicht darum gehen, daß Augustin das Argument zum ersten Mal formuliert. Daß er dies bereits könnte, wenn er wollte, beweist er in De beata vita 2,7. Die Frage ist vielmehr, zu welchem Zweck er es jeweils einsetzt oder, wie an besagter Stelle, eben auch nicht einsetzt. Viele solche und ähnliche Such- und Fragestellungen werden im vorliegenden Kommentar andiskutiert.

Die Hauptaufgabe sieht Fuhrer aber vor allem darin, die historisch-philologischen Grundlagen aufzubereiten, die ein erfolgreiches Weiterarbeiten an ihnen in der einen oder anderen Richtung ermöglichen. Daß sie diese Aufgabe mehr als erfüllt, wird keinem Benutzer lange verborgen bleiben.